Aber neeeihen … von alldem wollten meine Begleiter natürlich nichts wissen. Sogar mein Kumpel Steinwind hat sich auf die Seite der störrischen Magierin und ihres noch viel stureren Begleiters geschlagen. Diesem Dunkelelfen, der jetzt mit Sicherheit irgendwo da draußen in der Finsternis bei seinen Artgenossen hockt und sich ins Fäustchen lacht, weil er uns Tölpel in einen Hinterhalt zu locken vermochte.
Falls er überhaupt ein Lachen zustande bringt. Ich bezweifle stark, dass seine Mundwinkel über die notwendigen Muskeln verfügen, sich überhaupt zu heben. Er wirkt ebenso grimmig wie seine Kumpane, die uns mit einem Mal umzingelt hatten.
Statt zu jagen, sind wir selbst gejagt und in diese unterirdische Höhle verschleppt worden.
Scheiße!
Wütend schlage ich mit der Faust gegen die Felswand, an der ich lehne, und spüre kaum den Schmerz, der dabei durch meine Hand zuckt.
Es ist schweinekalt in der kleinen Zelle, in der ich vor wenigen Minuten mit Kopfschmerzen aufgewacht bin. Aber der Pelzumhang, der mir zum Glück nicht abgenommen wurde, schützt etwas davor, mir den Hintern abzufrieren.
Meine Gedanken rasen und wollen einfach nicht zur Ruhe kommen. Dies wäre wirklich ein guter Zeitpunkt für meine Tabakpfeife, die mir so oft im Leben schon geholfen hat, einen klaren Kopf zu kriegen, und die ich natürlich bei unserem Gepäck ließ, das irgendwo über mir an der Oberfläche zwischen einigen Felsen liegt.
Wie bei den Göttern sollen wir hier wieder rauskommen? Bisher habe ich stets einen Plan gehabt, aber jetzt? Mir ist bekannt, was Dunkelelfen mit Menschen anstellen – Magier hin oder her. Sie machen sie zu Sklaven, brechen ihren Willen und ihre Zauberkraft. Oder verzehren sie bei lebendigem Leib. Es ist kein Ammenmärchen, das weiß ich.
Ich habe mich ein bisschen über Dunkelelfen informiert, ehe ich mich bereit erklärte, mit diesem ›Schatten‹, den die Herrscherin von Altra als ihren Vertrauten und neuen Lieblingselfen auserkoren hat, von Merita aus über das Talmerengebirge in den Norden zu reisen.
Unser Ziel ist Fayl. Eine Region Altras, in der es immer noch Unruhen gibt, seit das Land vor acht Jahren einen Machtwechsel erfuhr.
Der Auftrag der Herrscherin lautet, mit dem dort ansässigen Zirkelleiter Venero zu sprechen und ihn zu überreden, dem Magierbündnis beizutreten, das den Frieden für Altra bringen soll.
Jede der sechs Regionen unseres Landes wurde früher von einem Zirkelleiter regiert. Seit dem Umbruch ersetzen in Lormir, Arganta, Chakas und Merita jeweils fünf Zirkelräte, die der neuen Herrscherin unterstellt sind, diesen Posten. Wenn erst mal Fayls Unterstützung gesichert ist, stehen die Chancen beträchtlich besser, Oshema – die einzige Region, die noch gegen die neuen Strukturen rebelliert –, zum Schweigen zu bringen.
Ob wir jemals in Fayl ankommen, ist jedoch äußerst fragwürdig.
Unsere Mission beinhaltet ein hohes Risiko, das war uns allen bewusst, als wir aufgebrochen sind. Lucja, Schatten und Steinwind zu Pferd, ich auf meinem Königsgreif namens Meteor.
Die Zeiten sind rau, die Söldner, die nach einem Kampf lechzen, weit verstreut. Viele Krieger wittern seit dem Machtwechsel ihren Vorteil, wenn sie sich auf die eine oder andere Seite schlagen und dies mit möglichst dramatischen Kampfberichten untermauern.
Wir waren nur zu viert. Je kleiner unsere Gruppe, desto unauffälliger könnten wir uns nach Fayl schleichen. Desto geschützter wären wir vor feindlichen Augen.
Dachten wir.
Falsch gedacht.
Ein größerer Trupp hätte uns in diesem Fall eindeutig Vorteile verschafft. Jetzt sitzen Steinwind und ich irgendwo mitten in den Talmeren Hunderte von Fuß unter den verfluchten Gesteinsschichten in Zellen fest und warten darauf, dass Dunkelelfen uns die Herzen rausschneiden, um sie zu essen – oder uns zu Sklaven machen. Ein Schicksal kaum besser als das andere.
Ich fahre mir mit beiden Händen über das Gesicht, konzentriere mich und suche mit dem Geist nach demjenigen meines Greifs Meteor. Wir müssen jedoch so tief unter der Erde sein, dass es aussichtslos ist, eine Verbindung zu ihm herzustellen.
Normalerweise teilen Greife mit ihren auserkorenen Reitern nicht nur ihre magischen Kräfte, sondern es ist auch möglich, mit diesen wunderschönen Wesen über Gedanken zu kommunizieren – nun ja, Greife schicken eher Bilder als Worte. Aber man gewöhnt sich rasch daran und es fühlt sich falsch an, Meteors Präsenz nicht zu spüren. Seit ich mich vor drei Jahren mit ihm verbunden habe, war sein Geist täglich bei mir. Ein Leben ohne ihn ist nicht mehr vorstellbar.
Ein Greif bindet sich nur ein einziges Mal an einen Menschen – immer an einen Magier, so wie ich es bin. Diese Verbindung ist so tief und innig, wie es ansonsten keine mir bekannte Symbiose auf der Welt gibt. Wir teilen gewissermaßen unsere Gedanken, Gefühle und er kann seine magischen Kräfte für mich öffnen, sodass ich Zauber zu wirken vermag, die jegliche Vorstellungskraft übersteigen. Da es sich bei Meteor obendrein um einen Königsgreif handelt, ist er ein besonders edles Tier mit gewaltiger Macht.
Aber das ist nicht der Grund, warum ich ihn so liebe. Seine störrische und gleichzeitig liebevoll-fürsorgliche Art sowie sein Humor waren es, die mich vom ersten Moment an, als ich ihn im Greifenorden von Chakas sah, fasziniert haben. Zugegeben, auch sein schwarzer Löwenkörper und die anthrazitfarbenen Federn, die seine Flügel und den Adlerkopf zieren, haben es mir angetan. Ich mag nun mal schöne Dinge und Meteor ist eines der bezauberndsten Geschöpfe, das die Götter je erschaffen haben.
Er hat die Größe eines kleinen Ponys und ermöglicht es mir problemlos, auf ihm zu reiten – und zu fliegen. Oh, wie ich das Fliegen auf ihm liebe! Wir sind uns obendrein auch charakterlich äußerst ähnlich. Beide besitzen wir einen Hang dazu, uns in verzwickte Situationen zu begeben, sind selbstbewusst und scheuen uns nicht vor neuen Erfahrungen und Abenteuern.
Ja, Meteor hat mein Herz im Sturm erobert. Hoffentlich geht es ihm gut … ich ließ ihn zurück, als ich Lucjas Schreie hörte.
Wäre ich bloß nie nachschauen gegangen …
»Néthan?« Die Stimme meines Kumpels Steinwind dringt an mein Ohr.
Dass er meinen alten Namen verwendet, widerstrebt mir zwar, doch ich habe es aufgegeben, ihm zu erklären, dass ich inzwischen lieber Léthaniel genannt werde. Steinwind und ich kennen uns schon so lange, dass es ihm schwerfällt, meine Namensänderung zu verinnerlichen. Aber seit unserem letzten Abenteuer fühlt es sich einfach falsch an, weiterhin als Néthan herumzulaufen.
Womöglich habe ich doch mehr mit diesem Schatten-Assassinen gemeinsam, als mir lieb ist …
Ich versuche zu ergründen, wie weit mein Freund von mir entfernt sein mag. Vielleicht ein Dutzend Schritt? Oder weniger? Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, dies festzustellen, denn die ganze verdammte Umgebung ist finster. Dunkelelfen sehen besser, wenn sie keine Fackeln entzünden – was man von mir als Mensch nicht behaupten kann. Dennoch habe ich es bisher nicht gewagt, eine Feuerkugel zu bilden.
»Verdammt, macht mal einer Licht?«, beschwert sich Steinwind wie aufs Stichwort.
Er ist kein Magier wie ich, sondern ein normaler Mensch und kann daher keine Lichtkugel herbeizaubern.
Nun gut normal ist wahrscheinlich untertrieben – er ist der stärkste und größte Mensch, der mir jemals begegnet ist. Ich vermute ja immer noch, dass er von den Riesen abstammt, die auch irgendwo hier im Talmerengebirge ihr Zuhause haben sollen. Noch nie hat jemand von uns einen Riesen gesehen, also lassen sich diese Gerüchte nicht prüfen. Und Steinwind schweigt über seine Herkunft – hat selbst mir, seinem langjährigen Freund, nie die Frage beantwortet, ob an den Klatschgeschichten etwas dran sei. Geschweige denn, seinen richtigen Namen verraten.
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