Nein, mit dem will ich definitiv keine nähere Bekanntschaft schließen …
Meteor landet direkt vor mir, ich breite blitzschnell den Schutzschild über ihn aus und hieve Steinwind auf seinen Rücken. Zum Glück ist mein Freund noch so weit bei Bewusstsein, dass er mir dabei etwas helfen kann.
Den Schmerz in meiner Seite ignorierend, steige ich ebenfalls hinter Steinwind auf Meteors Rücken. Noch ehe ich richtig sitze, erhebt sich der schwarze Greif mit einem lauten Kreischen und stößt sich mit seinen Löwenpranken vom Boden ab.
Während er sich in die Luft schraubt, ertönt wütendes Gebrüll unter uns und der Pfeilhagel setzt wieder ein. Aber ein paar Sekunden darauf sind wir schon zu weit weg und die Geschosse erreichen uns nicht mehr. Trotzdem halte ich den Schutzschild weiterhin aufrecht – sicher ist sicher.
Erst als wir durch die Öffnung in der Höhlendecke fliegen und uns der warme Schein eines Sonnenaufgangs empfängt, gestatte ich mir, durchzuatmen.
»Verflucht, war das knapp«, murmle ich, bevor ich über Steinwind zusammensacke, der bereits bewusstlos ist.
Einige Wochen zuvor …
Ich pariere den Schlag des Dunkelelfen mit meinem Schwert. Mein ganzer Arm erzittert unter der Wucht des Aufpralls, während das Klirren des Stahls in meinen Ohren schellt. Schweiß rinnt mir über das Gesicht und ich blinzle, damit er nicht in die Augen tropft.
Mein Blick ist auf mein Gegenüber gerichtet, das kaum eine Armlänge vor mir auf dem Trainingsplatz des Magierzirkels von Merita steht und mich mit stoischer Miene ansieht. Aber nichts anderes bin ich vom ehemaligen Assassinen namens Schatten gewohnt, der mir in den vergangenen sieben Jahren hier im Zirkel mehr ans Herz gewachsen ist, als ich jemals zugeben würde.
Schon bei unserer ersten Begegnung war ich fasziniert von ihm. Von seiner unnahbaren Art, dem Schmerz, der ab und zu in seinen Augen aufblitzt, und der geheimnisvollen Melancholie, die ihn umgibt. Natürlich auch von seiner Kampfkunst und dem gestählten Körper. Wahrscheinlich ist das der Grund, wieso ich mich vor ein paar Jahren etwas verjüngte, um ebenfalls attraktiv zu bleiben. Eine Möglichkeit, die mächtigen Magiern wie mir erlaubt, rein äußerlich so jung auszusehen, wie wir uns fühlen.
In den vergangenen Jahrhunderten habe ich mich sehr oft verjüngt. Zu oft? Womöglich … aber als Tochter des ehemaligen Zirkelleiters von Arganta sehe ich es als meine Pflicht an, auch optisch ein passables Erscheinungsbild abzugeben. Daher wirke ich rein äußerlich wie eine junge Frau Mitte zwanzig, obwohl ich schon so viele Jahrhunderte lebe.
Ich weiß, dass ich mit der schlanken Figur und den für meine dunkelbraune Haut außergewöhnlich blauen Iriden attraktiv bin. Etwas, das auch der Elf, gegen den ich gerade einen erbitterten Trainingskampf ausfechte, bemerkt zu haben scheint. Selbst wenn er erst seit ein paar Jahren zu Gefühlen fähig ist, nachdem die Assassinengilde von Karinth diese beinahe in ihm ausgelöscht hätte, registriere ich eine Veränderung an ihm, sobald er mich ansieht. Wenn er mir so nahe ist wie jetzt gerade.
Ich starre in seine roten Augen, mit denen er mich ebenso intensiv mustert wie ich ihn. Wir kämpfen in der beginnenden Abenddämmerung, daher trägt er keinen Sichtschutz, um seine Dunkelelfenaugen vor dem Licht der Sonne abzuschirmen, das ihn ansonsten blendet. Sein Gesicht wäre anmutig, würde nicht eine wulstige Narbe, die von der Stirn über seine Nase bis zum Kinn führt, es verunstalten. Er hat sich bisher geweigert, sie durch einen Heiler komplett entfernen zu lassen, doch was andere abschrecken würde, macht ihn für mich nur noch interessanter.
»Seid Ihr etwa bereits müde?«, frage ich ihn höhnisch, als er mich kraftvoll von sich wegdrückt und wieder etwas Distanz zwischen uns schafft.
Die schwülwarme Luft, die hier im Süden Altras herrscht, wird gegen Abend zum Glück vom Meer her abgekühlt, ansonsten wäre ein Training auf dem Außengelände eine noch größere Tortur als ohnehin schon. Doch ich mag es, mich so lange zu verausgaben, bis ich jeden Muskel spüre und alle meine Glieder wie Pudding anmuten. Dann fühle ich mich lebendig.
Der salzige Geschmack der Gischt, die von den Wellen über die Insel getragen wird, auf welcher der Magierzirkel steht, legt sich auf meine Zunge, als ich mir über die Oberlippe lecke. Mit dem Unterarm fahre ich mir über die Augenpartie, um sie vom Schweiß zu befreien und klare Sicht zu bekommen.
»Ich sorge nur dafür, dass Ihr Euch nicht übernehmt«, knurrt der Dunkelelf und streicht sich eine Strähne seines weißen Haares hinter das spitze Ohr.
Obwohl er einwandfrei alle Sprachen Altras spricht, höre ich immer noch einen leichten Akzent heraus, der verrät, dass er in Karinth aufwuchs. Wann und wie er zur Assassinengilde kam, hat er mir bisher nicht erzählt und wird er wohl auch niemals tun. Er redet ohnehin kaum über seine Zeit als Auftragsmörder.
Aber das ist für mich in Ordnung – nicht jeder hat den Drang, seine Vergangenheit aufzuarbeiten, und den Dunkelelfen würde es wohl zerstören, finge er einmal damit an. Was er erlebt und getan hat, übersteigt das, was ein Mensch – oder Elf – normalerweise verkraftet.
Ich stelle mich wieder in die Startposition und halte mein Schwert so, dass ich sofort parieren könnte, wenn Schatten mich angreift. Dem lauernden Ausdruck auf seinem Gesicht nach zu schließen, sucht er nach einer Lücke in meiner Deckung. Die wird er allerdings nicht finden – ich bin nicht nur mit Magie, sondern auch mit dem Schwert eine ernst zu nehmende Trainingspartnerin.
Um ihn aus der Reserve zu locken, vollführe ich einen raschen Ausfallschritt, was seine beeindruckenden Reflexe zutage bringt. Innerhalb eines Lidschlags steht er wieder vor mir, doch darauf hatte ich abgezielt. Ich wirble herum, um ihn in die Flanke zu treffen, da spüre ich seinen Arm, der sich quer über meinen Hals schlingt, und werde im nächsten Moment mit dem Rücken gegen seine Brust gedrückt. Mein Hinterkopf prallt dabei an seine Schulter.
»Ihr braucht anscheinend eine Pause«, höre ich seine Stimme nahe an meinem Ohr. Sein Atem verpasst mir einen Schauer, den ich gerade nicht zulassen will.
»Lasst mich los!« Ich knirsche verärgert mit den Zähnen, presse die Lippen zusammen und versuche, mich aus seinem Griff zu winden.
Doch je mehr ich mich zur Wehr setze, desto stärker schnürt sein Arm mir die Luft ab. Keuchend ringe ich nach Atem.
»Glaubt Ihr etwa, Euer Feind lässt Euch los, nur weil Ihr darum bettelt?«, raunt Schatten.
Seine Lippen berühren kurz meine Ohrmuschel. Nicht um mich zu küssen, sondern um seine Macht zu demonstrieren.
Wie ich diesen Dunkelelfen hasse!
Na gut. Das stimmt nicht so ganz. Ein Teil von mir genießt die ungewöhnliche Nähe zu ihm viel zu sehr und verleitet mich dazu, die Gegenwehr auf ein Minimum zu beschränken. Gerade so, dass er mich noch festhalten muss – aber nicht ernsthaft genug, um tatsächlich von ihm loszukommen.
»Lasst Euer Schwert fallen«, fordert er mit rauer Stimme.
»Niemals!«, stoße ich hervor.
Die Muskeln seines Unterarms spannen sich noch stärker an und jetzt kriege ich wirklich keine Luft mehr. Dunkelheit beginnt mein Sichtfeld einzuschränken.
Dieser Scheißkerl wird mich tatsächlich so lange würgen, bis ich bewusstlos bin!, schießt es mir durch den Kopf und ich bekomme es doch noch mit der Angst zu tun.
Schatten ist wie ein domestizierter Tiger. Wenngleich ihm die Krallen gestutzt wurden, so bleibt er ein Raubtier, das man nicht unterschätzen darf.
Ein Training mit ihm gleicht einer Gratwanderung, wie mir gerade wieder bewusst wird. Der Dunkelelf wurde in der Assassinengilde zu einer Waffe geschmiedet und ich befinde mich in seiner Gewalt. Das ist definitiv nicht der richtige Moment, um über irgendwelche Machtverhältnisse zu diskutieren.
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