„Ja“, sagte ich lahm, „wie denn sonst? Es tut mir leid – ehrlich! Ich – ich hab viel über dich nachgedacht – über uns beide! Ich vermisse dich! Ich hab dich die ganze Zeit vermisst!“
„Ach ja, jetzt auf einmal?“
„Wieso denn, auf einmal?“
„Na, damals klangst du aber anders!“
„Vergiss den ganzen Schmarrn, den ich zu dir gesagt hab! Vergiss es einfach! Lass uns … also, wenn wir noch einmal, ganz einfach … “
„Ganz einfach so? Als ob nichts gewesen wäre?“
Ich nickte automatisch, ohne zu bedenken, dass wir ja nicht skypten und sie mich nicht sehen konnte. „Ja“, beeilte ich mich zu sagen.
„Hm. Das ist aber gar nicht so einfach, weißt du …?“
Ich begann zu schwitzen. „Ähm – also … wenn du inzwischen schon ‘nen andren hast, also … das würd ich natürlich …“ Ich begann zu faseln.
„Nein – hab ich nicht.“ Und dann, etwas verletzt: „Ich hab die Zwischenzeit genutzt und eine Ausbildung zur Erzieherin angefangen!“
„Erzieherin?“
„Ein altmodischeres Wort dafür ist Kindergärtnerin!“
„Ah ja?“
Jetzt nur keinen Fehler machen. Das Reizwort „Kinder“ stand wieder im Raum … damals für mich ja der Hinderungsgrund, unsere Beziehung fortzusetzen: ihr Kinderwunsch, ihre ganze kinderliebe Art … sie war der reinste Kindernarr, ich damals hingegen nicht. Inzwischen sah ich vieles anders, war bereit, auf sie zuzugehen.
„Ja – das ist doch toll – ich weiß ja, wie sehr du – wie viel das Thema für dich bedeutet … “
Sie wirkte ratlos am anderen Ende der Leitung, konnte ja nicht wissen, ob das nur reine Lippenbekenntnisse waren oder ich inzwischen meine Einstellung zu dem Thema geändert hatte. Meine Einstellung zum Leben selbst. Als Ausweich-Reaktion, wie mir schien, fragte sie daher, ehe die Pause am Hörer peinlich lang wurde: „Und du? Was hast du so gemacht?“
Es klang nur mäßig interessiert, eher als Höflichkeitsfloskel.
„Ich – ich hatte ‘nen Unfall – also, schon ‘nen schweren Autounfall, weißt du? Wär‘ fast dabei draufgegangen – aber jetzt ist alles wieder soweit okay …!“, beeilte ich mich hinzuzufügen. Denn ich hörte jäh aufflammendes echtes Interesse bei ihr heraus, da sie einen kleinen Aufschrei nur mühsam unterdrückte.
Rasch erzählte ich ihr von meiner Reise in die USA und meinem Mietwagen in New York und dem Unfall, den ich nur knapp und glimpflich überlebt hatte.
„Na – dann hattest du ja echt ‘nen Schutzengel bei dir!“, sagte sie nachdenklich. Ihre Stimme klang jetzt ganz verändert.
„Einen? Vermutlich mehrere …!“, sagte ich aufrichtig. Was ich ihr verschwieg, war, dass es jener schwere Unfall war, der mir als Flashback sogar eine Rückführung in mein voriges und auch noch vorvoriges Leben gebracht und mir somit überraschende Einblicke in mein früheres Leben als Indianer und davor auch als Adler gewährt hatte. Ich fand, zu viel auf einmal sollte ich ihr auch nicht zumuten.
Nachdem ihre aufrichtige Sorge, die ich aus ihrem Tonfall heraushörte, das Eis bei uns gebrochen hatte, fühlte ich mich zum nächsten Vorstoß ermutigt. Ich sagte, so ganz leichthin, als läge für mich gar nicht so viel Entscheidendes in diesem Vorschlag: „Ich finde, wir könnten uns doch einfach mal wieder treffen … meinst du nicht?“
„J-ja …“, stimmte sie zu.
Ihr kurzes Zögern entging mir nicht. Aber sie hatte „ja“ gesagt. Mein Puls begann zu rasen. Ich würde den angerichteten Schaden wiedergutmachen, mich nicht mehr aufführen wie der Elefant im Porzellanladen – und ich hatte viel emotionales Porzellan bei ihr zerschlagen, sie zutiefst verletzt, das fühlte ich nun und spürte auch aufrichtiges Bedauern. Gedankenlos hatte ich dahingelebt, die Freundin an meiner Seite war nichts als Kurzweil gewesen, eine nette Begleiterin für die Disco und andere Freizeit-Aktivitäten. Nun begann ich, sie ernsthaft als eigenständige Person wahrzunehmen, als mögliche Partnerin. Und ich beschloss, mich diesmal der Verantwortung für einen Weg zu zweit zu stellen.
Doch nach diesem ersten Anruf hörte ich zunächst einmal – gar nichts. Das Gespräch war doch geglückt – oder? Hatte ich mir da zu viel eingebildet? Oder hatte sie es sich inzwischen wieder anders überlegt? Wollte sie sich vielleicht doch nicht auf eine erneute Beziehung mit mir einlassen?
Darüber zerbrach ich mir tage- und besonders nächtelang den Kopf. Ruhelos wälzte ich mich im Bett umher und die Gedanken kreisten in meinem Kopf. Vielleicht erschien ich ihr ja zu opportunistisch, zu unzuverlässig? Einmal Beziehungskrise – immer kriselnd? Es war immerhin ein schwerer Affront gewesen, als ich damals einfach mit ihr Schluss gemacht hatte, ohne dass sie sich etwas hätte zuschulden kommen lassen … ich hatte sie ja einfach fallen lassen wie eine heiße Kartoffel …
Die Tage der Unsicherheit und des quälenden Zweifels schlichen dahin wie auf lautlosen Katzenpfoten. Den Mut, nochmals bei ihr anzurufen, brachte ich nicht auf. Wenn sie es nicht von sich aus tat – wie könnte ich da nachhelfen …? Mit jedem Tag wurde ich niedergeschlagener.
Dann – an einem Donnerstag – kam der erlösende Anruf. Ich erkannte ihre Nummer auf dem Display und brach in Jubelrufe aus, allein schon, weil sie sich meldete – doch die Jubelrufe blieben mir im Hals stecken: Ich wusste ja noch gar nicht, was sie mir genau mitteilen würde!
Bange nahm ich das Gespräch entgegen. Der zarte Faden zwischen uns durfte jetzt nicht reißen!
Mir rasten Schauer von Eisnadeln durchs Blut, mein Magen verkrampfte sich und fühlte sich an wie eine Schlangengrube.
„Hallo – Jochen?“
„Ja, hallo Illona! Freut mich, dass du anrufst – echt!“
Meine aufrichtige Freude musste sie einfach heraushören. Ich vernahm ein kleines Lachen.
„Ich wollte dich nur mal fragen, ob wir uns halt mal wieder treffen. Ich hab drüber nachgedacht, du. Wir probieren es einfach nochmal. Aber, ich warne dich –“, und mir gefror das Blut in den Adern –, „kein kitschiges teures Candle light-Dinner oder sonstiger Pomp! Dann sind wir sofort geschiedene Leute!“
Wir machten eine Uhrzeit aus, und sie legte auf. Ich drückte das Gespräch weg und stieß eine Faust in die Luft. „Jippiiiiie!“
Natürlich hatte ich jetzt große Angst, unser Wiedersehen könne zum Fiasko werden. Nur jetzt ja nichts verpatzen! Doch ich wollte mir meine innere Anspannung nicht anmerken lassen. Ich gab mich betont locker, als ich sie um die Straßenecke biegen sah. Wir hatten einen Treff in der Fußgängerzone in der Altstadt ausgemacht, in einem kleinen Café einer amerikanischen Kette, und danach wollten wir am Fluss entlangbummeln – wie ich hoffte, Hand in Hand oder sogar Arm in Arm …
Ich lud sie ein, klar, und sie lehnte das ebenso klar ab. Na gut – ich zuckte die Achseln. Konnte ja noch kommen. Nur ja jetzt keinen Druck machen. Vielleicht behielt sie sich die letzte Entscheidung noch vor … Mochte sie also ihren ersten Kaffee und Cupcake noch selber zahlen …
Fast kam ich mir vor wie jemand, der wegen guter Führung Freigang hat – jederzeit konnte ich von ihr in das Gefängnis meiner Einsamkeit zurückgeschickt werden … diesmal lag der Spielball in unserer Beziehung eindeutig in ihrem Feld, und das wusste sie.
Sie wirkte unbefangener als ich – vermutlich, weil sie ja die innere Freiheit hatte, zwischen mir und nicht mir zu wählen – während ich von ihrer Wahl innerlich abhängig war und um ihr Urteil über mich bangte.
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