Gewann mit dem dämmernden Morgen der Tag wieder Macht über ihr aufgerissenes Wesen, wies sie mit Zorn die Verwirrung von sich, verwarf das Bild des Geliebten und stand auf, um ihren Geschäften nachzugehen. Doch ach, der Liebe konnte sie nicht mehr entrinnen. Die Liebe hatte sie unterworfen und gebunden, sie war so wirklich, so nah, so dringlich, daß alles andere daran verging, daß auch Verdacht und Zweifel wie Schatten verblaßten.
Sie tat Giovanni mit ihrem Mißtrauen Unrecht. Wohl hatte er für alle hübschen Mädchen ein Auge, und wohl auch ein Herz, aber Orsanna allein gebot seinem Blute, denn immer brannte er danach, zu erfahren, wie ihr hartes Wesen für ihn in Seufzen und Beben hinschmolz, immer wieder, nie genug. So dachte keines von ihnen weiter als bis zur nächsten Nacht. Ihre einzige Sorge war, Verhinderungen zu beseitigen und sich häufiger zu treffen. Beide waren ungestüm, heftig und ganz ineinander verstrickt, daß Fragen nach der Zukunft sie kaum streiften.
Erst mit der Zeit tauchte der Gedanke einer Heirat deutlicher auf und nahm Gestalt an. Ihr Zusammensein endete oft in vagen Vorschlägen, die eher ein gemeinsames Träumen als ein Pläneschmieden waren. Ob eine Ehe zwischen ihnen möglich wäre, wann und wie, das gab zu raten. Sie lachten noch über ihre Einfälle. Sie stritten im Scherz, als wäre die ganze Übung nur ein Spiel, ob Orsanna zu ihm ins Haus, oder aber Giovanni auf die Bargada zu ziehen hätte. In den Beteuerungen Giovannis, es sei keine Frage, daß die Frau dem Manne zu folgen habe, war aber je ein solcher Ernst, daß Orsanna stutzig wurde. Sie prüfte ihre Lage. Sie malte sich aus, wie es wäre, wenn sie von der Bargada weg zu Giovanni zöge, in das armselige Haus, es mit seiner Mutter, die fast ihre Schwester sein konnte, und seinen kleinen Geschwistern zu teilen und die Armeleutearbeit aufzunehmen, die sie dort erwartete: Im Gemeindewald Holz sammeln, bei Reicheren taglöhnern, hinter ein paar mageren Ziegen herziehen … nein … unmöglich … Der Geliebte hatte zu parieren. Und bald scheute sie sich nicht mehr, Giovanni mit einem deutlichen Antrag zu Leibe zu rücken. Er wehrte sich. Es kam zum Streit.
So, er wolle also nicht auf den Hof einheiraten. Warum nicht?
Um nicht derjenige zu sein, der mit leeren Händen gekommen, nur eben geduldet würde. Froh wäre man um seine Arbeitskraft.
Nur solange Friede herrsche. Bei der ersten Meinungsverschiedenheit müßte er hören, auch von Orsanna selber hören, er sei ein armer Schlucker und habe nicht mitzureden, sondern zu gehorchen. Er begehre nicht, der Knecht der eigenen Frau zu sein. Und wäre er das etwa nicht?
Orsanna wurde böse. Was fiel dem Jungen ein, ihr Hindernisse in Form dummer Empfindlichkeiten in den Weg zu legen? Natürlich war sie der Meister, wer sonst? Und natürlich hatte Giovanni, der so viel jüngere, ihr zu gehorchen, doch nicht umgekehrt! Heiratete sie etwa, um sich von einem Fremden im eigenen Hause befehlen zu lassen? Sie gab Giovanni ihre Enttäuschung über seinen Eigensinn zu fühlen, verschloß ihm ihre Türe und grollte, bis die Angst, ihn zu verlieren, sie wieder einlenken ließ. Der Zank zwischen ihnen verstummte aber nicht mehr. Die Frage der Heirat, so lange nicht gestellt, wurde zur einzigen Wichtigkeit. Bald war es, als kämen sie nur mehr zusammen, um sich zu streiten, wer dem andern folgen müsse, wobei es Orsanna immer deutlicher aufging, daß sie Giovanni nicht heiraten würde, wenn er nicht auf den Hof einzöge. Er hatte nachzugeben.
Doch Giovanni dachte nicht daran, nachzugeben. Knecht seiner Frau, Knecht der Alten, Knecht des angestammten Meisters Bernardo, der wohl weggezogen war, aber einmal wiederkehren konnte, was auch Orsanna dagegen behaupten mochte! Nein; wollte Orsanna nicht zu ihm ziehen, sollte sie es sein lassen. Es gab andere Mädchen, weniger hoffärtige, weniger herrschsüchtige.
Kam er auf seiner Arbeitstour vor der Wirtschaft «Zur Post», die nun von der alten Paulina und ihrer Tochter Alda betrieben wurde, vorbei, setzte er sich gerne hinein. Der Wein war gut, und das Mädchen gefiel ihm nicht schlecht. Solange er in der Wirtsstube saß, lachte sie übers ganze Gesicht. Hatte die Mutter draußen zu tun, ging Alda auf den Fußspitzen bis zu seinem Stuhl und lehnte sich an ihn, der es nicht versäumte, ihre runde Weichheit tastend zu prüfen … Vielleicht waren es auch die Gespräche der Frauen, die ihn fesselten. Sie wußten vieles. Sie wußten alles, auch über die Bargada alles, über ihre frühern und jetzigen Bewohner, über Orsanna … Er konnte von diesen Dingen nie genug hören. Und er brauchte nicht zu fragen, die Frauen wurden nicht müde, zu erzählen. Eine seltsame Begebenheit reihte sich an die andere, und wenn Giovanni etwa auflachte, das sei alles Unsinn, so tischten sie gleich noch weit Besseres auf. Ja, er solle nur lachen! Da gab es ein Fenster im zweiten Stock der Bargada; es war nur angemalt des guten Aussehens wegen, aber – wer hätte es nicht schon gesehen – zu Zeiten, wenn einer der Armini am Sterben lag, dann leuchtete es auf, als brenne dahinter ein Licht … In einem solchen Hause sei nicht gut verkehren … Und hatte sich da nicht die Paulina doch einst überreden lassen, bei den Armini einzutreten und Kaffee zu trinken? Die alte Giulia hatte ihn selbst gekocht und schenkte ihn ein. Oben darauf legte sie ein wenig geschlagenen Rahm, mit Brotkrumen vermischt, und wünschte guten Appetit. Gleich verging der Paulina jedes Gelüste auf den Trank. So nimm doch, nimm, sagte die Giulia und stützte sich dabei auf ihre Ellenbogen, nimm doch, nimm, es soll dir gut tun. Und während Paulina aus Furcht ein paar Schlücke nahm, sah sie die Giulia immerzu sonderbar an. Gerade in den Mund sah sie ihr, das war es, zwischen den Zähnen hindurch in den Mund. Und als Paulina endlich aufstehen, danke sagen und gehen konnte, da war ihr so übel, daß sie nur knapp bis zur Fuchsenbrücke kam. Dort mußte sie sich übers Geländer neigen und mit Wucht alles von sich geben, was sie eben eingenommen … Ob es nun ratsam war, in dem Haus etwas zu genießen?
Giovanni schüttelte den Kopf und sagte etwas von verrückten Weibern. Aber da kam er an die Rechte. Gleich fing Paulina wieder an: Und der Peppo selig, hatte er es nicht erfahren, ob es ratsam sei, etwas mit Arminis zu tun zu haben? Er spottete, alle seien Narren, und er wage es wohl, sich eine Ziege aus Arminis Stall zu kaufen. Eine Ziege sei eine Ziege, und wenn sie gut sei, so sei sie es, woher sie auch komme. Und um zu beweisen, daß er recht habe, ging er da nicht hin und kaufte sich die langhaarige, schwarze Ziege von Tomaso, jene seidenweiche, in die er sich dann so vernarrte, daß er darüber alles vergaß, sogar seine eigene Frau, daß es gesagt sei … Nein, nein … es war besser, man hielt sich abseits! Halb um Orsannas Sippe zu verteidigen, halb um mehr noch von diesen Geschichten zu erfahren, gab Giovanni einmal zu, er sei auch schon auf der Bargada ein und aus gegangen – was die Frauen wußten und weshalb sie mit solchem Eifer gegen die Arminis loszogen C; er trete etwa in die Küche und sitze zu den Alten, und ihm sei noch nie etwas Absonderliches aufgefallen. Da kreischte Paulina auf und versteckte das Gesicht in den Händen, während Alda breit das Kreuz schlug. «Nie gehört, wie es im Keller schnarcht und gähnt?» rief sie mit einer Stimme, die sich überschlug. «Gott steh dir bei, die Bärin, du wirst sie noch kennenlernen …»
Giovanni fuhr es kalt über den Rücken. Er faßte das Tischblatt mit beiden Händen, als wolle er ein Stück herausbrechen. Nun sei es aber genug des Blödsinns, rief er aus. Das Glucksen im Keller sei ein Wetterzeichen. Genau wie hier in der Wirtschaft «Zur Post» die hintere Wand feucht anlaufe, wennʼs regnen wolle, so sei dann das Geräusch dort zu hören. Er wolle zahlen. Doch es schüttelte ihn. Er blieb sitzen und bestellte frischen Wein, obschon er wußte, daß Orsanna auf ihn wartete.
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