Y.K.Shali
Das Dorf der Frauen
Tumult
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Inhaltsverzeichnis
Titel Y.K.Shali Das Dorf der Frauen Tumult Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
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Impressum neobooks
Frauen und Kinder eilten, vor Freude jubelnd, in Richtung Bahnstation, als sie schon von weitem das Pfeifen eines Zuges vernahmen. Der hatte die Haltestelle noch nicht erreicht; das wussten die Frauen aber bereits. Sie wussten auch, dass zu diesem Zeitpunkt die Lok gerade nur soeben mit dem Kopf aus dem Tunnel hervorragte und dabei die Sonne und den halb ausgetrockneten kleinen Fluss, der durch die schöne Landschaft an ihrem Gebirgsdorf vorbeifloss, gesehen hatte und nun den Dorfbewohnern die freudige Rückkehr der Männer kundtun wollte.
Eine junge Mutter, die Hand ihrer kleinen Tochter in der ihren haltend, erreichte gerade rechtzeitig vor Einlauf des Zuges die Bahnstation, beugte sich über ihr Kind, und sagte, während sie sein Aussehen in Ordnung brachte:
»Papa kommt und wird sich sehr an seiner groß und hübsch gewordenen Tochter erfreuen!«
»Wo ist denn der Zug, Mama?«
»Er wird gleich kommen, mein Schatz!«
Die Mutter hob ihre Tochter gerne hoch, wenn auch unter Mühen, küsste sie, wies dann auf die Richtung, aus der jeden Moment der Zug erscheinen musste und sagte:
»Da!... Da!... Schau´ in die Ferne, mein Schatz! Gleich taucht dort der Zug auf, in dem Papa sitzt!«
Das Mädchen hörte auf, weiter ziemlich gelangweilt, in die Ferne, in der nichts zu sehen war, zu starren. Sie fragte:
»Meinst du Mama, Papa wird mir wirklich eine echte Barbie aus dem Ausland mitbringen?«
»Ja, mein Schatz! Wenn Papa sie dir versprochen hat, wird er sie dir bestimmt mitbringen.«
»Vielleicht bringt er sie doch nicht mit, Mama.«
»Es gibt keinen Grund, warum er das nicht tun sollte. Das Ausland ist voll von originalen Barbiepuppen.«
»Aber du hast immer gesagt, dass ich die Männer nicht ernst nehmen soll, sie machen einem tausend Versprechungen, halten aber keine davon?«
»Mein Schatz, ich habe gesagt, du muss die Männer nicht ernst nehmen, meinte damit aber natürlich nicht deinen eigenen Vater.«
»Was ist der Unterschied, Mama? Papa ist auch ein Mann, oder?«
»Schatz, ich habe über fremde Männer geredet. Es ist etwas anderes, wenn Väter ihren Kindern etwas versprechen. Schau` dahin!«
Als das Mädchen endlich den sich nähernden Zug sah, schrie sie vor lauter Aufregung:
»Ich habe ihn gesehen! Ich habe ihn gesehen! Er kommt …«
Sie stellte aber bald fest, dass ihre Mutter ihrer Aufregung keine gebührende Beachtung schenkte. Daraufhin würdigte sie den Zug keines Blickes mehr, hielt gekränkt ihre Hand vor die Augen der Mutter, hinderte sie dadurch beim Hinschauen und fragte:
»Mama, was, wenn Papa auch diesmal nicht zurückkommt?«
Die junge Mutter befürchtete in ihrem Innersten genau das, dennoch wollte sie an diese Vermutung noch nicht einmal denken. Sie runzelte ihre Stirn und zischte genervt:
»Psst! Sei still! Warte noch eine Minute! Habe ich dir seinen Brief nicht vorgelesen? Wie oft hat dein Papa ausdrücklich betont, dass er dieses Jahr wegen deines Geburtstages zurückkommt?«
»Nee! Nee! Ich glaube es nicht. Letztes Jahr hatte Papa das Gleiche gesagt, ein Jahr davor hatte er vielleicht auch das Gleiche gesagt. Weißt du Mama, Papa ist auch genauso wie die anderen Männer. Man muss ihn nicht ernst nehmen …«
Eine ungeschminkte, in sich gekehrte und deprimiert wirkende Frau in den Dreißigern, die neben der jungen Mutter und deren Kind stand und ebenfalls gespannt nach dem Zug Ausschau hielt, wurde auf die Beiden aufmerksam. Sie begrüßte erst die Mutter, wechselte ein paar Worte mit ihr, wie es eben in einem kleinen Ort, wo jeder den Anderen zumindest flüchtig kennt, üblich ist. Dann wandte sie sich dem kleinen Mädchen zu, streichelte über sein Haar und sein Gesicht und sagte freundlich:
»Oh, du meine Süße, sei nicht ungeduldig! Dein Papa kommt gleich! Wann hast du denn Geburtstag?«
Das kleine Mädchen machte Anstalten, sich hinter ihrer Mutter zu verbergen, dennoch antwortete sie leise:
»Morgen.«
»Oh, schön! Morgen?! Wie alt wirst du denn morgen, meine Süße?«
Das Mädchen zeigte ihr ihre Finger und antwortete:
»Fünf. Wartest du auch hier auf deinen Papa?«
»Hahaha… Nein meine Süße! Ich warte auf den Papa meines Jungen.«
»Warum ist dein Junge nicht mitgekommen, um seinen Papa zu empfangen? Mag er keine Barbie?«
»Es ging ihm nicht gut, meine Süße. Daher habe ich ihn zu Hause gelassen.«
Als das Thema sich um ihren Sohn drehte, verlor die Frau das Interesse an der Fortführung des Gesprächs und sie wandte sich in Richtung des einfahrenden Zuges. Das Mädchen fand gerade in dieser Dame eine nette Gesprächspartnerin, daher fuhr sie fort:
»Wird der Papa deines Sohnes heute wirklich zurückkommen?«
Die Frau antwortete seufzend:
»Vielleicht, meine Süße. Vielleicht. Er hat gesagt, dass er zurückkommt. Das ist das vierte Jahr, dass er …«
Die junge Mutter, die über das Gespräch zwischen ihrer Tochter und dieser deprimiert aussehenden Frau nicht besonders glücklich war, unterbrach sie und sagte beschwichtigend:
»Gott möge geben, dass alle zurückkehren!«
Als die Türen des Zuges geöffnet wurden, stiegen, entgegen aller Erwartung, nur ein paar Männer aus. Der Lokführer, der aus dem Fenster blickte, sah, dass das freudige Empfangsgetümmel nachgelassen, und die Enttäuschung der Frauen und Kinder anfing, langsam Gestalt anzunehmen. Er zog seine Augenbrauen nach oben, atmete tief ein und seufzte voller Mitleid. Das kleine Mädchen schlang ihre Arme um den Hals ihrer verzweifelten Mutter; besorgt tröstete sie sie, während sie auf die Tränen starrte, welche ihrer Mama langsam die Wange herunterflossen.
»Sei nicht traurig Mama! Papa hat doch genug Dollars geschickt. Bestimmt konnte er keine echte Barbie finden, deswegen ist er auch dieses Jahr nicht zurückgekommen. Vielleicht wollte er wie der Mann der netten Frau, die eben bei uns war, abwarten bis vier Jahre vorbei sind und erst dann zurückkommen. Gehen wir nach Hause Mama! Komm´, lass´ uns gehen!«
Die Mutter des Mädchens sah keinen Sinn mehr darin, weiter auf dem Bahnsteig zu warten. Sie wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht, warf einen neidvollen, zugleich nachdenklichen Blick auf die deprimiert aussehende Frau, die dabei war, ihren Mann zu umarmen, und bahnte sich mit ihrer Tochter einen Weg durch die Menschenmenge nach Hause.
Andere Frauen, deren Männer nicht zurückgekommen waren, gingen auf die Heimkehrer zu, begrüßten diese herzlich und fragten nach ihren eigenen Ehemännern. Alle Frauen und sogar die meisten der Männer wussten bereits, dass diese herzlichen Begrüßungen und die Nachfragen, trotz aller echten Sorgen und Sehnsüchte, eine Mitteilung, eine Einladung, eine indirekte, höfliche Aufforderung und ein Hinweis darauf waren, von ihnen besucht zu werden. Die anwesenden Männer sollten, mit irgendeiner Ausrede, wie zum Beispiel dem Überbringen einer Nachricht, eines Briefes, oder zumindest einiger beschwichtigender Worte der Abwesenden, den einsamen und männerlosen Damen einen Besuch abstatten. Ein Besuch, der die Monate oder Jahre andauernde Langeweile und Sehnsucht der Frauen zu vertreiben, nein zu verdrängen vermochte.
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