Arthur Clarke - Das Lied der fernen Erde

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Die erste Version dieses Romans, eine Kurzgeschichte von 12500 Wörtern, wurde von Februar bis April 1957 geschrieben und in dem amerikanischen Magazin „IF“ (Juni 1958) und im englischen Magazin „Science Fantasy“ (Juni 1959) veröffentlicht. Einfacher findet man sie vielleicht in meinen bei Harcourt, Brace, Jovanovich erschienenen Sammlungen ‚The Other Side of the Sky‘ (1958) und ‚From the Ocean, Front the Stars‘ (1962).
1979 entwickelte ich das Thema in einem kurzen Filmentwurf, der im Magazin „Omni“ (Bd. 3, No. 12, 1980) erschienen ist. Seither wurde diese Version in der illustrierten Sammlung meiner Kurzgeschichten ‚The Sentinel‘ bei Byron Preiss/Berkley (1984) veröffentlicht, zusammen mit einer Einführung, die erklärt, wie sie entstanden ist und wie sie völlig unerwartet dazu führte, daß ‚2010: Odyssee Zwei‘ geschrieben und verfilmt wurde.
Dieser Roman, die dritte und endgültige Fassung, wurde im Mai 1983 begonnen und im Juni 1985 fertiggestellt.

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Arthur C. Clarke

Das Lied der fernen Erde

Tamara und Cherene, Valerie und Hector gewidmet — für ihre Liebe und Loyalität.

Nirgendwo im gesamten Weltraum oder auf tausend Welten wird es Menschen geben, mit denen wir unsere Einsamkeit teilen können. Es mag Weisheit geben; es mag Macht geben; irgendwo im Weltraum stehen vielleicht große Instrumente — und starren vergeblich herüber auf unser schwebendes Wolkenwrack, und ihre Benutzer empfinden die gleiche Sehnsucht wie wir. Trotzdem, wir haben unsere Antwort bekommen, in der Natur des Lebens und in den Prinzipien der Evolution. Über Menschen, die anderswo leben und über diese Antwort hinaus werden wir nie etwas erfahren…

Loren Eiseley The Immense Journey (1957)

Ich habe ein böses Buch geschrieben und fühle mich doch makellos wie das Lamm.

Melville an Hawthorne (1851)
Roman

Deutsche Erstausgabe

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

Titel der englischen Originalausgabe: Songs of a distant Earth

Deutsche Übersetzung von Irene Holicki

VORWORT DES AUTORS Dieser Roman basiert auf einer Idee die ich vor fast - фото 1

VORWORT DES AUTORS

Dieser Roman basiert auf einer Idee, die ich vor fast dreißig Jahren in einer Kurzgeschichte mit dem gleichen Titel (Sie ist jetzt in meiner Sammlung ‚The Other Side of the Sky‘ enthalten) entwickelt habe. Die jetzige Fassung wurde jedoch direkt — und negativ — von der jüngsten Flut von Weltraumopern im Fernsehen und auf der Kinoleinwand inspiriert. (Frage: Was ist das Gegenteil von Inspiration — Expiration?)

Ich bitte, mich nicht mißzuverstehen: Ich habe die besten ‚Star Trek‘-Folgen und die Lucas Spielberg Epen sehr genossen, um nur die berühmtesten Beispiele des Genres zu erwähnen. Aber diese Werke sind Fantasy, keine Science Fiction im strengen Sinne. Es scheint inzwischen fast sicher, daß wir im realen Universum die Lichtgeschwindigkeit niemals überschreiten können. Selbst die allernächsten Sternsysteme werden immer um Jahrzehnte oder Jahrhunderte auseinanderliegen; kein Flug mit Warp Sechs wird uns jemals rechtzeitig zur nächsten Folge in einer Woche von einer Episode zur anderen bringen. So hat der große Produzent im Himmel seine Programmplanung eben nicht eingerichtet.

Im letzten Jahrzehnt kam es auch in der Einstellung der Wissenschaftler gegenüber dem Problem der extraterrestrischen Intelligenz zu einer bedeutsamen und ziemlich überraschenden Veränderung. Das ganze Thema gelangte (außer bei so dubiosen Typen wie zum Beispiel den Autoren von Science Fiction) erst ab etwa 1960 zu Ansehen: Schklowskiijs und Sagans ‚Intelligent Life in the Universe‘ (1966) ist hier der Meilenstein.

Aber jetzt hat eine Gegenreaktion eingesetzt. Daß man in unserem Sonnensystem keine Spur von Leben gefunden und auch keinerlei interstellare Funksignale entdeckt hat, die unsere großen Antennen eigentlich mühelos auffangen müßten, hat einige Wissenschaftler zu der Behauptung veranlaßt: „Vielleicht sind wir wirklich allein im Universum…“ Dr. Frank Tipler, der bekannteste Vertreter dieser Meinung hat (zweifellos absichtlich) die Sagan-Anhänger schockiert, indem er eine seiner Abhandlungen mit dem provozierenden Titel ‚Es gibt keine intelligenten Extraterrestrier‘ versah. Carl Sagan und andere behaupten (und ich schließe mich ihnen an), daß es noch viel zu früh ist, um so weitreichende Schlüsse zu ziehen.

Inzwischen tobt der Streit; wie ganz richtig gesagt wurde, wird jede Antwort ehrfurchteinflößend sein. Die Frage kann nur durch Beweismaterial entschieden werden, nicht durch irgendwelche logischen Ableitungen, so plausibel sie auch immer sein mögen. Ich sähe es gerne, wenn man die ganze Debatte ein oder zwei Jahr zehnte lang wohlwollend vernachlässigen würde, während die Radioastronomen, wie Goldgräber beim Sandwaschen, in aller Ruhe den Sturzbach von Geräuschen durchsieben, der sich aus dem Himmel über uns ergießt.

Dieser Roman ist unter anderem ein Versuch von mir, ein völlig realistisches Stück Literatur über das Thema interstellare Raumfahrt zu schaffen — genau wie in ‚Prelude to Space‘ (1951) habe ich bekannte oder vorhersehbare Technologien verwendet, um die erste Reise der Menschheit von der Erde weg zu schildern. In diesem Buch gibt es nichts, was bekannten Prinzipien widerspricht oder sie leugnet; die einzige wirklich gewagte Extrapolation ist der ‚Quantenantrieb‘, und selbst der hat höchst achtbare Väter (Siehe Danksagungen). Sollte er sich als Hirngespinst herausstellen, so gibt es mehrere mögliche Alternativen; und wenn wir Primitiven aus dem 20. Jahrhundert sie uns vorstellen können, so wird die Wissenschaft der Zukunft ohne Zweifel etwas viel Besseres entdecken.

Arthur C. Clarke Colombo, Sri Lanka 3.7.1985

Erster Teil

Thalassa

1. Am Strand von Tarna

Schon bevor das Boot durch das Riff kam, sah Mirissa, daß Brant wütend war. Die gespannte Haltung, in der er am Steuer stand — allein die Tatsache, daß er das letzte Stück der Durchfahrt nicht Kumars fähigen Händen überlassen hatte — zeigte, daß ihn etwas aus der Fassung gebracht hatte.

Sie trat aus dem Schatten der Palmen und ging langsam zum Strand hinunter, der nasse Sand klebte an ihren Füßen. Als sie das Wasser erreichte, war Kumar schon dabei, das Segel einzurollen. Ihr kleiner Bruder — jetzt war er fast schon so groß wie sie und bestand nur aus Muskeln — winkte ihr fröhlich zu. Wie oft hatte sie sich gewünscht, daß auch Brant Kumars gelassene Gutmütigkeit hätte, die offenbar keine Krise jemals stören konnte…

Brant wartete nicht ab, bis das Boot auf den Sand auflief, sondern sprang schon ins Wasser, als es ihm noch bis zur Taille reichte, und kam zornig spritzend auf sie zugewatet. Er hatte ein verbogenes Metallstück mit zerrissenen Drähten in der Hand und hielt es hoch, damit sie es sich ansehen konnte.

„Schau nur!“ schrie er. „Jetzt haben sie es schon wieder gemacht.“

Mit der freien Hand deutete er zum nördlichen Horizont hinüber. „Diesmal lasse ich es ihnen nicht mehr durchgehen! Und die Bürgermeisterin kann, verdammt noch mal, sagen, was sie will!“

Mirissa trat beiseite, als der kleine Katamaran sich langsam, wie ein urzeitliches Seeungetüm bei seinem ersten Ansturm aufs feste Land, auf seinen rotierenden Außenbordrollen den Strand hinaufschob. Sobald es über der Hochwasserlinie war, schaltete Kumar den Motor ab, sprang heraus und trat neben seinen noch immer vor Wut kochenden Kapitän.

„Ich sage es Brant immer wieder“, meinte er, „es muß ein Unfall gewesen sein — vielleicht ein nachschleifender Anker. Warum sollten die Nordleute so etwas schließlich absichtlich machen?“

„Das kann ich dir schon sagen“, gab Brant zurück. „Weil sie zu faul sind, um sich die Technik selbst zu erarbeiten. Weil sie Angst haben, daß wir zuviele Fische fangen. Weil…“ Er sah, wie der andere grinste und schleuderte das Durcheinander aus zerrissenen Drähten nach ihm. Kumar fing es mühelos auf.

„Wie auch immer — selbst wenn es ein Unfall ist, sie sollten hier gar nicht ankern. Das Gebiet ist auf der Karte deutlich markiert: ZUTRITT VERBOTEN — FORSCHUNGSPROJEKT. Also werde ich trotzdem Protest einlegen.“

Brant hatte seine gute Laune schon wiedergefunden; selbst seine heftigsten Wutanfälle dauerten selten länger als ein paar Minuten. Um ihn in Stimmung zu halten, strich Mirissa ihm mit den Fingern über den Rücken und redete mit ihrer sanftesten Stimme auf ihn ein.

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