Karl Blaser
Die Stille im Dorf
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Inhaltsverzeichnis
Titel Karl Blaser Die Stille im Dorf Dieses ebook wurde erstellt bei
Karl Blaser Karl Blaser Die Stille im Dorf Roman Impressum: Text: © Copyright by Karl Blaser, Köln www.karlblaser.de Umschlag: Harry Bessler-Herrmann, Köln Druck: epubli, ein Service der neopubli GmbH, Berlin Printed in Germany, 2018 ISBN: 978-3-7467-6102-2 „Die Sonne geht an keinem Dorf vorüber“ (Afrikanisches Sprichwort) Allen Frauen, denen Unrecht und Gewalt widerfährt
Prolog Prolog Wenn es Nacht wird, gehen die Menschen im Dorf spielen. So nennen sie es, wenn sie sich im Winter in ihren Häusern treffen, um sich Geschichten zu erzählen. Der Winter ist die Zeit alter Geschichten. Das Dorf erinnert sich. Nicht wie die Stadt, die alles vergisst. Da ist zum Beispiel die Geschichte von der Eule, die schon seit Jahr und Tag im Kirchturm wohnt. Die Kapelle ist mit grau-blauem Schiefer beschlagen, sie sieht aus, als sei sie mit lauter kleinen, sich überlappenden Pfannkuchen belegt. Die Glocke im Turm schlägt dreimal am Tag: Bim bam bim bam, bim bim bam bim bam, bim bam bim bam . Ihre hohen Töne ziehen über die grünen Hügel mit dem ewig grauen Himmel. Nur selten verirrt sich ein Fremder in diese Gegend, von der es heißt, dass sie trostlos sei und arm. Der Himmel über der Eifel ist einsam, und die Erinnerung kommt und geht wie ein alter Hund. Einmal, auf einem Jagdausflug, soll der deutsche Kaiser aus dem fernen Berlin zufällig hier im Dorf aufgetaucht sein. Hoch zu Ross sei er durch die schlammige Straße geritten, geradeaus, ohne abzusteigen. »Schade, dass hier Menschen wohnen«, soll Wilhelm II. in seinen Bart gegrummelt und nicht einmal dem Dorfvorsteher einen Blick zugeworfen haben. Von diesem Preußen war nichts zu erwarten, und doch haben sie dem Kaiser den Nürburgring zu verdanken. Er war es, der in dieser menschenleeren Gegend die Idee hatte, eine ewige Rennstrecke zu bauen. Hier und nirgendwo anders sollte sie entstehen. Das ist schon lange her. Aber die Menschen im Dorf haben die Geschichte vom Jagdausflug des Kaisers nicht vergessen, und sie erzählen sie sich noch heute, so wie die Geschichte von der alten Eule. Es heißt, wenn sie im stillen Flug den Kirchturm bei Tag verlässt, hat der Zimmermann einen neuen Sarg geleimt, noch bevor sie wieder zurück ist in ihrem Nest. Alles kündigt sich an: der lange Winter, der trockene Sommer, die fetten und die mageren Jahre, die Freude und der Schmerz, Krankheit, Leben und Tod, Krieg und Frieden. Das Dorf vergisst nichts.
Erstes Buch – Der Krieg Karl Blaser Die Stille im Dorf Dieses ebook wurde erstellt bei
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Zweites Buch – Aufbruch
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Drittes Buch – Entscheidungen
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Nachwort
Liste der wichtigsten Romanfiguren:
Impressum neobooks
Die Stille im Dorf
Roman
Impressum:
Text: © Copyright by Karl Blaser, Köln
www.karlblaser.de
Umschlag: Harry Bessler-Herrmann, Köln
Druck: epubli, ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Printed in Germany, 2018
ISBN: 978-3-7467-6102-2
„Die Sonne geht an
keinem Dorf vorüber“
(Afrikanisches Sprichwort)
Allen Frauen,
denen Unrecht und
Gewalt widerfährt
Wenn es Nacht wird, gehen die Menschen im Dorf spielen. So nennen sie es, wenn sie sich im Winter in ihren Häusern treffen, um sich Geschichten zu erzählen. Der Winter ist die Zeit alter Geschichten. Das Dorf erinnert sich. Nicht wie die Stadt, die alles vergisst.
Da ist zum Beispiel die Geschichte von der Eule, die schon seit Jahr und Tag im Kirchturm wohnt. Die Kapelle ist mit grau-blauem Schiefer beschlagen, sie sieht aus, als sei sie mit lauter kleinen, sich überlappenden Pfannkuchen belegt. Die Glocke im Turm schlägt dreimal am Tag: Bim bam bim bam, bim bim bam bim bam, bim bam bim bam . Ihre hohen Töne ziehen über die grünen Hügel mit dem ewig grauen Himmel. Nur selten verirrt sich ein Fremder in diese Gegend, von der es heißt, dass sie trostlos sei und arm. Der Himmel über der Eifel ist einsam, und die Erinnerung kommt und geht wie ein alter Hund.
Einmal, auf einem Jagdausflug, soll der deutsche
Kaiser aus dem fernen Berlin zufällig hier im Dorf aufgetaucht sein. Hoch zu Ross sei er durch die schlammige Straße geritten, geradeaus, ohne abzusteigen. »Schade, dass hier Menschen wohnen«, soll Wilhelm II.
in seinen Bart gegrummelt und nicht einmal dem Dorfvorsteher einen Blick zugeworfen haben. Von diesem Preußen war nichts zu erwarten, und doch haben sie dem Kaiser den Nürburgring zu verdanken. Er war es, der in dieser menschenleeren Gegend die Idee hatte, eine ewige Rennstrecke zu bauen. Hier und nirgendwo anders sollte sie entstehen. Das ist schon lange her. Aber die Menschen im Dorf haben die Geschichte vom Jagdausflug des Kaisers nicht vergessen, und sie erzählen sie sich noch heute, so wie die Geschichte von der alten Eule.
Es heißt, wenn sie im stillen Flug den Kirchturm
bei Tag verlässt, hat der Zimmermann einen neuen Sarg geleimt, noch bevor sie wieder zurück ist in ihrem Nest. Alles kündigt sich an: der lange Winter, der trockene Sommer, die fetten und die mageren Jahre, die Freude und der Schmerz, Krankheit, Leben und Tod, Krieg und Frieden.
Das Dorf vergisst nichts.
April 1944
Der Fisch war schuld, dass Margarete kopfüber aus dem Fenster fiel. Wie so etwas geschehen konnte? Ohne dass sie jemand geschubst oder gestoßen hatte?
Das ist eine gute Frage.
Es ist der Anfang dieser Geschichte.
»Geh und hol die Heringe aus der Tonne im Keller«, befiehlt die Mutter, die in der Küche das Essen vorbereitet, schon zum wiederholten Mal. Anna schleudert ihrer Tochter einen giftigen Blick entgegen.
Margarete rümpft trotzig die Nase.
»Du weißt doch, dass ich Hering nicht ausstehen kann.«
»Morgen ist Karfreitag«, raunzt Anna. »Langsam müsstest du wissen, dass an Karfreitag Fisch gegessen wird. Nirgendwo, auf keinem Tisch hier in der Gegend, wirst du morgen Fleisch auf dem Teller finden.«
»Ich hasse Hering! Ich hasse Hering!«
Margarete schmollt. Sie stampft mit dem Fuß auf
den knarrenden Holzboden.
»Und ich kann es nicht leiden, wenn du nicht hören willst«, antwortet die Mutter. »Eine Frau muss lernen, zu gehorchen. So störrisch wie du bist, kriegst du nie einen Mann.«
Ihr Vater Johann, der ebenfalls am Küchentisch sitzt und mit Jupp und Rudi am heiligen Nachmittag Karten spielt, wirft der Tochter einen strengen Blick zu.
»Stimmt. Deine Mutter hat Recht. Nun geh schon und hol den Hering aus dem Keller«, sagt Johann in scharfem Ton.
Jupp und Rudi konzentrieren sich auf das Blatt in ihren Händen. Ihnen ist es egal, was bei Familie Gross an Karfreitag auf den Tisch kommt. Unruhig rutschen sie auf ihren Stühlen hin und her. Das Spiel läuft nicht gut. Sie haben schlechte Karten auf der Hand.
Draußen erwacht der Frühling.
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