Funny van Dannen - An der Grenze zur Realität

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Funny van Dannen meldet sich wieder mit neuen Geschichten zu Wort, Geschichten von einem Hund, der einer alten Frau als Wiedergutmachung dafür, dass er sie umgerannt hat, einen Heiratsantrag macht, von drei Karpfen, die schon im Oktober Weihnachten feiern wollen und einen Baum fällen, von einem süßen Zombie, der niemandem etwas zu Leide tun kann, Funny van Dannen lauscht Gesprächen am Küchentisch über Ossis, die wieder so viel ficken wie früher, weil sie so wenig Geld und Arbeit haben wie damals in der DDR, er protokolliert Gespräche über Gläubischkeit und Ehebruch und kommt zu dem Schluss: «Wenn die Welt ein Paradies wäre und es gäbe keinen Grund, sich über irgendetwas zu ärgern, würde ich auf einem Löwen über schneeweiße Strände galoppieren und den Delphinen Rauchzeichen geben.»
Funny van Dannens Geschichten strahlen eine schöne, gelassene Melancholie aus, sie stecken voller Überraschungen und funkeln vor hintergründigem Witz.

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Funny van Dannen

An der Grenze zur

Realität

Über dieses Buch

Text …

In der Natur

Eine kleine Gurkenwalherde hatte die Orientierung völlig verloren und sich in einen Baggersee verirrt.

Haut ab, ihr Schlampenficker!, rief ein vereinsamter Angler. Ihr vertreibt den Hecht!

Du willst einen Hecht fangen?, fragte die Leitkuh. Wozu denn? Suchst du einen Freund?

Der Angler lachte: Ich will ihn essen, du dumme Kuh! Und jetzt haut ab!

Er schlug mit dem Käscher nach ihr.

Wir suchen den Essigsee, sagte die Leitkuh. Kannst du uns nicht helfen?

Essigsee? Nie gehört, sagte der Angler.

Sucht ihr den Essigsee?, fragte ein Rehkitz, das sich in der Nähe aus Rohrkolben ein Geweih bastelte.

Sag schon, rief der Angler, ich will, dass sie verschwin­den!

Er ist ausgetrocknet, sagte das Rehkitz und setzte sich das Rohrkolbengeweih auf. Wie seh ich aus?

Unmöglich!, riefen alle Gurkenwale. Total doof.

Und wie findest du mich, Angler?, fragte das Kitz.

Mir gefällt’s, brummte der angegraute Mann. Du hast Talent.

Was ist das? Talent?, fragte das Reh.

Wenn man was kann, sagte der Mann, das ist Talent.

Die Wale lachten. So eine miese Erklärung hab ich ja noch nie gehört, rief die Leitkuh. Wenn man was kann! Dann hast du auch Talent zum Kacken, was?

Die Wale grölten. Das Rehkitz wurde ganz nervös. Die Äuglein blitzten, die zarten Hufe trappelten hyperaggres­siv auf dem kieseligen Untergrund, dann krümmte es den Rücken wie eine böse Comic-Katze. Die Zeit stand still. Als es sich wieder entspannte, trieben die Gurkenwale leblos am Ufer. Der Angler stand von seinem Hocker auf und trat gegen die Köpfe der klobigen Tiere.

Sind sie tot?, fragte er das Rehkitz.

Es war verschwunden. Das Kolbengeweih lag am Boden. Der Angler setzte es sich auf. Es passte. Er ging ans Wasser und betrachtete sein Spiegelbild.

Wenn ich einmal tot bin, dachte er, werden sie glauben, dass mein Leben sehr gewöhnlich war. Aber heute steh ich hier am Wasser wie noch niemand vor mir.

Er nickte heftig. Die Kolben fielen auf das Wasser, die Wale wachten auf.

Was war das denn?, fragte die Leitkuh.

Der Angler packte seine Sachen und rief vom Auto aus: Danke für die schöne Zeit!

Märzgeflüster

Als es Frühling wurde, überfiel mich eine große Heiter­keit. Ich war so fröhlich, dass ich Gott bat, mir ein gelbes Auto zu schenken.

Du musst fleißig arbeiten, sagte Gott. Dann kannst du dir bald ein Auto kaufen.

Aber dann wird nicht mehr Frühling sein, sagte ich. Und ob das Auto dann gelb sein wird? Wohl eher schwarz oder silber, wie die meisten Autos hier. Denn so heiter wie heute bin ich nicht alle Tage, um ehrlich zu sein, so bin ich nur ganz selten.

Selber schuld, sagte Gott. Es ist für alles gesorgt. Du musst die Möglichkeiten nur nutzen.

Ach, sagte ich. Hör auf! Ich kann dein Gefasel nicht mehr hören. Die Menschheit ist in einem elenden Zustand. Du hast was falsch gemacht!

Alle Geschöpfe sind zufrieden, sagte Gott, nur ihr Men­schen meckert rum. Ich habe mir große Mühe mit euch gegeben, aber viele wollen nicht begreifen, dass Leben Kämpfen heißt. Sie sind träge.

Viele können es gar nicht begreifen, erwiderte ich. Sie sind zu doof oder zu sanftmütig. Denen hättest du mehr von was-auch-immer mitgeben müssen.

Undankbarer!, sagte Gott.

Er grollte.

Du bist dumm und sanftmütig und dennoch hast du eine Frau gefunden, die dich liebt. Du hast dich fortgepflanzt, was willst du denn noch?

Aber die anderen!, sagte ich. All die Unglücklichen!

Denk einfach mal an dich, sagte Gott. Liebst du dich überhaupt?

Nein, sagte ich, warum sollte ich?

Aus Nächstenliebe, sagte er. Jeder ist sich selbst der Nächste!

Ich war von dieser Interpretation von Nächstenliebe überrascht und sagte: Liebe ist ein großes Wort.

Ein großes Gefühl, sagte Gott.

Ein großer Gedanke, sagte ich.

Eine große Sauerei, sagte Gott.

Eine große Geschichte, sagte ich.

Falsch, sagte Gott, um Sauerei zu steigern, hättest du »eine riesengroße Scheiße« sagen müssen.

Eine riesengroße Scheiße, sagte ich.

Planetenkotze!, rief Gott.

Und ich rief: Sonnenkotze!

Siehst du?, sagte Gott. Geht doch!

Auf einem Tisch

Eine feste Kiwi und eine dunkelblonde Wimper streiten sich über das Wesen der Welt. Die Kiwi findet die Welt lustig und sehr erfüllend: Immer, wenn mich etwas berührt, könnte ich platzen vor Glück!

Wart’s ab, meint die Wimper. Spätestens wenn sie dir mit dem Schälmesser auf die Pelle rücken, wirst du dich sehr anders fühlen! Und wenn sie dich gegessen haben, wirst du völlig auseinandergenommen und was von dir übrigbleibt, kann Gottseidank nicht vor Glück platzen.

Wer will mich essen?, fragt die Kiwi.

Menschen, sagt die Wimper. Große Wesen aus Fleisch und Blut!

Meinst du Koteletts?, fragt die Kiwi.

Du bist so doof! ruft die Wimper. Aber mit mir willst du über so etwas Wichtiges wie das Wesen der Welt diskutieren! Du solltest bescheidener sein! Also, pass auf: Menschen sind keine Koteletts, sie essen Koteletts, manche jedenfalls. Kiwis und Koteletts sind als Nahrung sozusagen Kollegen.

Kollegen, sagt die Kiwi langsam und ausgesprochen liebe­voll. Kollegen. Ist das ein Gen?

Nein!, ruft die Wimper, das hat mit Genen nichts zu tun! Die Menschen essen Kiwis und Koteletts und Brot und Wurst und Ei und Reis.

Und Kollegen, sagt die Kiwi.

Die Wimper will weg. Verdammt! Kein Wind, kein Luft­hauch! Kann hier mal bitte jemand ein Fenster aufreißen!, ruft sie. Doch es ist Nacht und alles still.

Warum essen uns die Menschen?, fragt die Kiwi.

Menschen müssen essen, erklärt die Wimper, sonst ver­hungern sie, also, sie sterben und werden zu Staub.

Wie schön!, ruft die Kiwi. Ich möchte auch zu Staub werden!

Kommt noch, sagt die Wimper.

Wie aufregend!, ruft die Kiwi. Ich könnte platzen vor Aufregung!

Bitte nicht, sagt die Wimper. So ganz bist du mir lieber.

Und woher weißt du so viel?, fragt die Kiwi. Oder tust du nur so schlau?

Ich war mal Teil eines Menschen, erzählt die Wimper. Mit meinem Volk beschützte ich ein Auge.

Die Kiwi staunt. Vor wem?

Fäuste, Steine, Raketen, sagt die Wimper. Vögel, Blitze, Meteoriten. Das ganze fliegende Gesocks.

Du bist klein, wendet die Kiwi ein.

Wir waren viele, entgegnet die Wimper. Dann fiel ich aus, jetzt bin ich frei.

Frei!, ruft die Kiwi. Was du für Wörter kennst!

Was heißt denn das schon wieder? Ich bin nicht mehr am Menschen dran, erklärt die Wimper, und du nicht an der Pflanze. Wir sind frei, wir können gehen, wohin wir wollen.

Ich kann nur rollen, sagt die Kiwi. Aber nur wo’s schräg ist oder wenn mich jemand schubst. Kannst du dich selbst bewegen?

So gut wie, meint die Wimper. Ich arbeite eng mit der Luft zusammen.

Es wird hell, bemerkt die Kiwi. Ich liebe das.

Das nennt man Tag, sagt die Wimper, das kommt vom Sonnenlicht.

Ich liebe Tags!, ruft die Kiwi.

Das heißt Tage!, schreit die Wimper. Tage!!! Lern endlich Deutsch, du dummes Obst!

Tu ich doch die ganze Zeit, sagt die Kiwi leise. Wie heißt der Himmel jetzt? Die Wimper schweigt.

Ach bitte!, ruft die Kiwi. Nur dieses eine Wort noch!

Morgenrot!, schreit die Wimper. Morgenrot!!!

Menage à trois

Zwei Steinbeißer hatten sich gleichzeitig in eine alte mor­sche Schiffsplanke verliebt und kämpften um sie. Das Holz hasste Gewalt und bot an, sich mit beiden gleichzeitig zu paaren.

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