Der alte Müller, der die alte Mühle nur noch aus Nostalgie in Schuss hielt, war so taub wie Beethoven zum Schluss. Er verbrachte die meiste Zeit im Internet. Eine Nachbarin jedoch hatte die Pandas rufen gehört und hängte sich aus dem Fenster.
Der Müller kann euch nicht hören!, rief sie. Wenn ihr was von ihm wollt, müsst ihr ihm mailen!
Wie?, riefen die Pandas. Wir sollen dem Müller mailen, dass er uns Mehl bringen soll? Döfer geht’s wohl nicht!
Sie polterten mit ihren weichen Tatzen gegen die Mühlentür und brüllten sich die Seelen aus dem Leib. Keine Reaktion.
Na, rief die Nachbarin. Was hab ich euch gesagt?
Die Pandas sahen sich an. Einer sagte: Dann hören wir eben auf die Alte.
Die anderen brummten Zustimmung. Hast du die Mailadresse vom Müller?, fragten sie die Frau.
AlterMüller@web.de, rief sie.
Ein Panda rief einen Freund zuhause an und bat ihn, dem Müller zu mailen. Zwei Stunden später kam der alte Müller mit einem Mehlsack raus und die Pandas puderten sich mit dem Mehl die schwarzen Flecken weg. Dann stellten sie sich nebeneinander auf und einer von ihnen machte Fotos.
Macht ihr das aus Langeweile?, fragte die Nachbarin, die sich das Schauspiel aus der Nähe angeschaut hatte.
Was ist das denn?, fragten die Pandas.
Ihr wisst nicht, was Langeweile ist?, staunte die Frau.
Die Pandas schüttelten sehr vorsichtig die Köpfe. Sie bedankten sich beim alten Müller, indem sie ihm ganz vorsichtig die Hand schüttelten.
Als der Mann der Nachbarin von der Arbeit nach Hause kam, erzählte sie ihm die Geschichte.
Stell dir das mal vor: Der alte Müller hat siebzig Pandas die Tatzen geschüttelt und zwar so behutsam, dass sie ganz weiß geblieben sind. Das hättest du mal sehen sollen! Da hast du was verpasst!
Hab ich eben was verpasst, erwiderte der Mann verärgert. Einer muss das Geld verdienen.
Ein paar Ameisen hatten ihr Erspartes zusammengeschmissen und sich davon ein Stück Gartenschlauch gekauft, nur Schlauch pur, kein Anschlussstück, kein regulierbares Spritzteil, nichts weiter. Nun verbrachten sie ihre gesamte Freizeit in und auf dem Schlauch, nie hatten sie so viel Freude.
Dürfen wir auch mal?, fragten andere.
Ja ok, sagten die Ameisen. Aber nur 5 Minuten.
Auch den anderen Ameisen gefiel der Gartenschlauch und als die Zeit rum war, wollten sie noch länger bleiben.
Nein, sagten die Besitzerameisen. Wir brauchen den ganzen Schlauch, ihr stört. Schmeißt doch auch euer ganzes Erspartes zusammen und kauft euch euer eigenes Stück.
Wir würden uns nie einen Gartenschlauch kaufen, erwiderten die anderen.
Was denn dann?, fragten die einen.
Einen fetten roten Ferrari!, riefen die anderen und schmissen ihr Erspartes zusammen. Sie holten sich einen fetten roten Ferrari und parkten ihn direkt neben dem dunkelgrünen Gartenschlauch. Da kam ein junger Mann mit seinem kleinen Hund vorbei. Der Hund schnupperte an einem Reifen, leckte auch daran.
Hey!, riefen die Ameisen. Das ist kein Leckauto!
Entschuldigt bitte!, rief der Mann. Mein Hund fährt total auf Reifen ab.
Schon gut!, riefen die Ameisen.
Womit habt ihr so viel verdient, fragte der junge Mann, dass ihr euch so ein Auto leisten könnt?
Mit Arbeit, sagten die Ameisen. Wir können ja nichts anderes.
Ist doch ok, sagte der Mann im Weitergehen. Für ehrliche Arbeit muss sich niemand schämen.
Er bog mit seinem Hündchen um die Ecke und die Ameisen spielten im Ferrari weiter Verstecken.
Lebenskunde Anfang November
Wir hatten in Lebenskunde über St. Martin gesprochen und auf Schülerseite war die Meinung vorherrschend, dass es mit einem Stück Mantel nicht getan sein könnte.
Er hätte dem Bettler mindestens noch ein paar Goldstücke zustecken müssen, sagte Barbara. Als Heiliger muss man großzügig sein, da geht nicht Geiz ist geil.
Der Lehrer schüttelte den Kopf.
Ihr müsste die Geschichte historisch richtig einordnen. Das war doch finsterstes Mittelalter, da war das Leben eines armen Teufels gar nichts wert. Kennt ihr denn nicht die germanischen Sagen, die nordischen Heldenepen? Da wurden Menschen abgeschlachtet wie heutzutage die Schweine und die Hühner.
Und die Puten!, rief Jens dazwischen.
Exakt, sagte der Lehrer. Da galt das Recht des Stärkeren und sonst gar nichts. Und Martin war Soldat, vergesst das bitte nicht. Ihr habt doch noch die Bilder dieser deutschen Soldaten in Afghanistan vor Augen, die neulich für Empörung sorgten. Und die Soldaten damals waren noch viel härter drauf, oder glaubt ihr, die hätten mit Holzschwertern gekämpft?
Das verstehe ich nicht, sagte Lola. Wie kann denn ein Heiliger Soldat sein?
Gute Frage!, rief der Lehrer. Hat jemand eine Antwort?
Ich meldete mich und sagte, dass im Prinzip jede Berufsgruppe Heilige stellen könne, bis auf die Zuhälter vielleicht.
Der Lehrer sagte: Ja, schon. Doch das hilft uns nicht weiter. Wir überlegten.
Ich hab’s!, rief Heiko. Der wurde erst in dem Moment zum Heiligen, als er den Mantel teilte, oder?
Exakt!, rief der Lehrer. Das war die Wende! Vorher war Martin ein ganz normaler römischer Offizier, für den so ein Bettler ein atmendes Stück Dreck darstellte. Und plötzlich sieht er in ihm den leidenden Mitmenschen und hilft. Das ist der Punkt. Sehr gut, Heiko!
Wir alle sahen Heiko an. Er lächelte.
Bist du jetzt stolz?, fragte Linda.
Was soll das, Linda?, rief der Lehrer. Selbst beteiligst du dich kaum am Unterricht. Nimm dir an Heiko ruhig ein Beispiel. Wenn ihr alle so konzentriert mitarbeiten würdet, hättet ihr vom Leben schon viel mehr kapiert.
Ich will das nicht kapieren, sagte Linda kühl und ruhig. Was soll denn daran toll sein, wenn ein Bedürftiger von einem Besatzer einen halben Umhang kriegt? Da hat der Staat doch wohl voll versagt, wenn jemand halbnackt im Schnee rumsitzen muss.
Du hast Recht, sagte der Lehrer. Die Römer hatten kein funktionierendes Sozialsystem. Aber das können wir ihnen nicht vorwerfen, weil so etwas noch gar nicht erfunden war. Es gab weder Hartz IV noch Sozialhilfe. Das hieß damals Almosen und lief auf Spendenbasis.
Almosen?, fragte Lennart. Was ist das denn für ein komisches Wort? Hat das was mit Moos zu tun?
Wird mit nur einem O geschrieben, sagte der Lehrer. Das kommt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie Erbarmen.
Na, passt doch!, rief Linda. Ist ja auch erbärmlich, was es bei uns an Sozialhilfe gibt!
Linda!, rief der Lehrer. Sei nicht ungerecht. Unser System ist eins der besten der Welt und es ist nicht unsere Schuld, wenn viele der Bedürftigen ihr Geld für Unterhaltungselektronik, Telefone, Tabak und Drogen ausgeben, anstatt ihren Kindern dafür gesundes Essen zu kaufen.
Die haben wenigstens noch Kinder!, rief Jens. Die anderen sind nicht so doof.
Jens, bitte!, rief der Lehrer. Das ist ja unerträglich. Du weißt ja gar nicht, wie dumm diese Bemerkung war. Es sind doch nicht nur sozial schwache und geistig benachteiligte Leute, die Kinder bekommen. Unsere Verteidigungsministerin z.B., das weiß doch jeder, die ist achtfache Mutter.
Sieben!, riefen alle.
Ich wollte nur testen, sagte der Lehrer, ob ihr euch überhaupt für Politik interessiert. Bravo! Also Jens, das war nichts. Wenn du selbst Kinder hättest, wüsstest du, wie viel Freude sie machen. Du siehst das viel zu negativ. Du müsstest dich generell mal fragen, ob du das Leben liebst oder ob du mehr darunter leidest. Und wenn du mehr darunter leidest, dann solltest du dich der Frage stellen, ob du mehr an anderen leidest oder an dir selbst. Und wenn ...
Da ging die Pausenklingel. Wir standen auf.
Stellt euch alle diese Fragen!, rief der Lehrer. Das ist die Hausaufgabe.
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