Conny Bischofberger - Herzschweißen

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Erfolgreich, lebensfroh und unabhängig: Das ist Isabella Mahler, eine Frau von 57 Jahren, Chef-Interviewerin und Kolumnistin einer großen Tageszeitung. Die Liebe ist für sie kein Thema mehr, die Mutter zweier erwachsener Söhne geht ganz in ihrem Job, ihren Reisen und ihrem unkonventionellen Leben in einer WG auf. Bis sie im Frühstücksfernsehen Christoph Regner, den Chef von Amnesty International, sieht. Er berührt etwas in ihr. Sie schreibt ihm ein Mail, das er sofort erwidert. Zwischen den beiden entwickelt sich eine Sprache voller Zärtlichkeit und Poesie. Nach Hunderten Mails und zwei Begegnungen ist Isabella außer sich vor Glück. Doch dann bricht Christophs Sprache plötzlich ein und er verschwindet aus ihrem Leben. Als sie sich auf die Suche nach ihm macht, dringt sie in sein und auch ihr Innerstes vor.

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Conny Bischofberger Herzschweißen Alle Rechte vorbehalten 2020 edition a - фото 1

Conny Bischofberger:

Herzschweißen

Alle Rechte vorbehalten

© 2020 edition a, Wien

www.edition-a.at

Cover: Valeriya Gridneva

Satz: Sophia Stemshorn

ISBN gedruckte Ausgabe 978-3-99001-462-2

ISBN E-Book 978-3-99001-463-9

E-Book-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

»Jede Geschichte, die wir über uns erzählen, kann nur in der Vergangenheit erzählt werden. Sie spult sich von dort, wo wir heute stehen, nach rückwärts ab, und wir sind nicht mehr ihre Akteure, sondern ihre Zuschauer, die sich entschieden haben zu sprechen.«

– Siri Hustvedt, Was ich liebte

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

EPILOG

1

»Meine Nerven möchte ich haben«, seufzte Isabella und strich sich eine goldblonde Strähne aus dem Gesicht. Eine Stunde vor der Deadline um 19.30 Uhr haderte sie noch immer mit dem Einstieg in ihre Kolumne. »Die ersten Worte sind entscheidend«, hörte sie ihre Lehrmeisterin Nana Paulischek sagen, »mit denen fängst du deine Leser wie mit einem Lasso. Sind sie überraschend, witzig oder berührend, dann folgen sie dir.«

Ein Foto auf Isabella Mahlers Schreibtisch, goldgerahmt, und ein Aschenbecher aus dem Café de Flore in Paris St. Germain erinnerten an die legendäre Journalistin. »Wenn ich einmal nicht mehr schreibe, bin ich tot«, stand in einem von Nanas letzten Mails aus dem Wiener Allgemeinen Krankenhaus. Zwei Tage, nachdem sie ihre letzte Kolumne übermittelt hatte, starb sie an Lungenkrebs.

Nur Nana hatte hier im sechsten Stock des Media Quarter Vienna rauchen dürfen. Einmal fiel in der brütenden Julihitze die Klimaanlage für zwei Tageszeitungen und einen privaten Fernsehsender aus, weil sich Nana eine Marlboro Rot nach der anderen angezündet hatte und Isabella das Fenster aufreißen musste, um nach Luft zu schnappen. »Mon dieu«, murmelte Nana, sie hatte ihren Wohnsitz an die Seine verlegt und erwies der Redaktion nur noch selten die Ehre des persönlichen Erscheinens, »darf man hier eigentlich gar nichts mehr?«

Isabella hatte ihre letzte Zigarette ausgedämpft, nachdem ein Schwangerschaftstest sich clearblue verfärbt hatte. Das war jetzt auch schon ein Vierteljahrhundert her.

Zehn Jahre nach Nanas Tod war diese Frau in Isabellas Leben noch immer präsent. Ihre Liebe zur Sprache, der mädchenhafte Trotz, ihr herber Charme. »Wem gilt deine Sehnsucht?«, wollte sie von Isabella einmal ganz unvermittelt wissen. Sie fragte nie etwas ohne Grund. »Eigentlich niemandem mehr«, hatte Isabella wahrheitsgetreu geantwortet.

Sie war glücklich ohne Partner. Stolz auf zwei fantastische Söhne, der Kindesvater war ihr irgendwann abhandengekommen. Ein späterer Prinz taugte nicht. Sie vermisste nichts. Und außerdem, wann hätte sie bitteschön Zeit für Rendezvous und Romantik oder, Gott behüte, mehr als das?

In ihrem Kopf begannen sich die einzelnen Gedanken langsam dem Hauptstrang zuzuordnen. Ihr Blick fiel auf das Zitat, das wie eine Mahnung an der Tür zu ihrem Büro klebte. »Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige« – Voltaire.

Dann war sie so weit.

»Wer schon bisher wenig Hoffnung in den Ibiza-Untersuchungsausschuss gesetzt hatte, dessen Erwartungen wurden diese Woche noch untertroffen«, tippte sie in ihren Computer, Calibri, 12 Punkt, 1400 Anschläge inklusive Leerzeichen. Mehr als einen Gedanken zu Ende spinnen konnte man da nicht. Aber das in allen Farben und Facetten. Sie spürte die Wut der Fernsehzuschauer, die am Abend zuvor ein unverschämter Ministerauftritt ausgelöst hatte und sie kleidete diese Wut über die Ignoranz gegenüber dem demokratischen Instrument eines U-Ausschusses in Worte.

Für dein Publikum schreiben, nicht für die asozialen Netzwerke. Auch so ein Stehsatz von Nana. In alle Richtungen denken, nicht nur in die eine, vermeintlich richtige. Oberstes journalistisches Prinzip. Schreiben war immer Lust und Qual zugleich. Isabella ging darin vollkommen auf. Meistens jedenfalls.

Dann flossen die Gedanken, die Worte folgten einem inneren Takt. Mit dem letzten Satz ließ sich Isabella wie immer besonders viel Zeit. Nichts fand sie ärgerlicher als Texte, die am Schluss einfach ausrannen, abrupt endeten, das Publikum enttäuscht zurückließen.

»Das Geschwafel war einfach unerträglich«, brachte sie die Story schließlich auf den Punkt.

Sie ließ den Fluss der Worte noch einmal auf sich wirken, den Bogen zwischen Anfang und Ende, machte die Klammer fest, die alles zusammenhielt, und fühlte den Rhythmus. Gute Texte sind wie Musik, sie spielen dir beim Lesen eine Melodie vor.

Die Wanduhr zeigte 19.15 Uhr. Sie wartete bis 19.19 Uhr, Isabella hatte ein Faible für schöne Zahlen, und stufte die Kolumne elf Minuten vor der Abgabefrist auf Korrektur.

Dann packte sie den Stoß Zeitungen und Magazine, die sie noch lesen wollte an diesem 28. November, und die Mappe mit den Briefings für ihr nächstes Interview in ihre leicht strapazierte, roséfarbene Tasche und stieg in den Lift.

2

Im Dorf ihrer Kindheit hatte sie sich immer schon fremd gefühlt. Nachzüglerin einer Bubenfamilie, gezeugt, als die Mutter frühmorgens ins Schlafzimmer oberhalb der Gastwirtsstube wankte und der Vater schon auf dem Weg hinunter in den Weinkeller war, um sein Tagwerk zu beginnen. »Nicht geplant« sei sie gewesen, das hatte sie als kleines Mädchen nur zu oft gehört. Ihre Existenz hatte sie einem kurzen Begehren auf einer Holzstiege zu verdanken.

So fühlte sich Bella in dem Dorf und in der Familie mit fünf älteren Brüdern: Zufällig hineingeboren. Als sie 14 Tage alt war, ließ die Mutter den Kinderwagen samt Säugling wegschaffen. Aufgezogen wurde Bella von ihrer Tante, die sie Mama nannte und über alles liebte.

Bella, warum schaust du so böse? Auf Familienfotos sah man ihre dunkelbraunen Augen unter dem brünetten Pagenkopf richtig funkeln.

Bella, wo warst du schon wieder so lange? An manchen Tagen hüpfte Bella auf den Steinen im Bach das ganze Tal hinein bis zum großen Wasserfall. Sie fing mit bloßen Händen Forellen aus dem kalten Wasser und schlug sie auf einem Stein tot.

Bella, was schreibst du da? In einem kleinen Büchlein notierte sie sich interessante Worte, um sie später in ihren Aufsätzen zu verwenden. Sie wollte schon mit zehn Jahren Schriftstellerin werden.

Im Wirtshaus der Eltern wurde viel gesungen, getanzt und getrunken. Bella dachte lange, Betrunkensein sei ganz normal und Nüchternheit der bedauernswerte Zustand nach dem Genuss von Alkohol. Wie Leihpersonal wurde die kleine Bella regelmäßig abgeholt, nicht einmal die geliebte Tante konnte das verhindern, dann musste sie im Wirtshaus Teller waschen, Aschenbecher putzen, Wein ausschenken, beim »Bunten Abend« im Dirndl Heimatlieder singen. Und wenn die begeisterten Gäste eine Runde spendierten, da musste auch sie Schnaps trinken. Obstler, Williams, Kirsch. Mit den Jahren wurde sie immer trinkfester. Alkohol entfaltete bei ihr nie die übliche Wirkung. Nur bei Champagner stellte sich später jene süße Benommenheit ein, die Menschen dazu verleitet, viel zu viel zu trinken.

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