Jedem Teammitglied wird ein bestimmter Textabschnitt (ein Minithema) oder ein Kapitel eines Textes zugeordnet. Das heißt, der zu erarbeitende Inhalt muss in sinnvolle Teile gegliedert werden können, die zusammen wie bei einem Puzzle (engl. jigsaw) wiederum ein Gesamtes bilden.
Die Studierenden bearbeiten den vorgegebenen Inhalt zunächst allein (Phase 1) und besprechen sich dann mit den Experten und Expertinnen aus anderen Teams, die zum gleichen Thema gearbeitet haben (Phase 2). In dieser Phase muss auch diskutiert und festgelegt werden, wie das neue Wissen in den Stammgruppen weitervermittelt wird. Dieser Phase muss besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, da die Studierenden nicht automatisch über Vermittlungskompetenz verfügen. Bei ersten Erfahrungen lohnt es sich deshalb, dass die Dozierenden mit Rollen und klaren Anweisungen sowie Strategien für die Vermittlung (zum Beispiel durch das Erstellen einer concept map) unterstützende Maßnahmen anbieten. An diese Phase anschließend, kehren die Studierenden in ihre ursprünglichen Gruppen zurück und vermitteln das erworbene Wissen in der letzten Phase (Phase 3) ihrer Stammgruppe. Der Wechsel zwischen der Wissenserarbeitung in themengleichen sogenannten Expertengruppen und der Wissensvermittlung in Stammgruppen stellt das grundlegende Prinzip des Gruppenpuzzles dar: Lernende agieren als Lehrende und reflektieren die gemachte Erfahrung. Das Gruppenpuzzle findet beispielsweise seinen Abschluss, indem das gesamte Wissen individuell überprüft wird.
4.2 Student-Teams-Achievement-Divisions (STAD) nach Slavin
Ziel der zweiten Instruktionsform ist es, dass sich Studierendenteams gemeinsam auf einen Test vorbereiten, bei dem es darum geht, ein möglichst gutes Gesamtergebnis aller zu erzielen. Nach Slavin (1993) müssen drei Bedingungen erfüllt sein, um effektives Kooperatives Lernen zu ermöglichen:
➤teambezogene Belohnung
➤individuelle Verantwortlichkeit
➤gleiche Erfolgschancen für alle (die Bewertung sollte so erfolgen, dass alle Anteile zum Gruppenergebnis beitragen können)
Belohnt wird deshalb bei der Instruktion STAD (auch group rally genannt) nicht die Einzelleistung, sondern das Gruppenergebnis (teambezogene Belohnung), das sich jedoch aus den Einzelleistungen zusammensetzt (individuelle Verantwortlichkeit).
Abbildung 4:Anleitung für Gruppenauftrag STAD
Anhand von Texten oder mittels direkter Instruktion der Lehrperson erfolgt eine Einführung in die Grundlagen eines Themas oder einer Fragestellung. Dann haben die Studierenden beispielsweise eine Woche Zeit, um sich auf eine Lernkontrolle oder Prüfung vorzubereiten. Der erste Test oder die erste Prüfung findet statt, die Lehrenden verteilen Punkte für sinnvolle oder passende Antworten und Erklärungen. Wenn die Ergebnisse nicht genügend sind, kann die Instruktion STAD zur Anwendung kommen. Die Studierenden werden darüber instruiert, dass innerhalb eines bestimmten Zeitraums ein zweiter Test, eine weitere Lernkontrolle stattfindet. Das Ziel ist, dass sich dann alle verbessern. Das Lernen und Üben, die Vorbereitungen für diese erneute Durchführung finden ausschließlich in der Lerngruppe statt. Es steht den Studierenden frei, wie sie sich beim Lernen gegenseitig unterstützen, welche Methoden und Strategien sie anwenden und wie sich organisieren.
Für die Bewertung zählt der gesamte Lernforschritt der Gruppe, nicht die einzeln erreichte Punktzahl. X hat beim ersten Test 9 Punkte erreicht und macht in der zweiten Lernkontrolle 12 Punkte. Damit hat er oder sie 3 Punkte für die Gruppe erbracht. Mit diesem Vorgehen wird der Lernfortschritt bewertet. Die beste(n) Gruppe(n) wird/werden bestimmt und die Reflexion über erfolgreiche Strategien und Vorgehensweisen runden die Lerneinheit ab.
4.3Die komplexe Instruktion nach Cohen
Die komplexe Instruktion ist eine Unterrichtsstrategie, die auf zwanzigjähriger Forschung basiert und von der Soziologin Elizabeth Cohen an der Stanford University in Kalifornien entwickelt wurde (Cohen 1993). Bei der komplexen Instruktion kreist jede kooperative Lerneinheit um eine zentrale Idee (big idea), die sich in einer komplexen Fragestellung spiegelt, wie z.B. Warum wandern Menschen? oder Wie funktioniert Kommunikation? Komplex bedeutet in diesem Zusammenhang, dass das Problem nicht auf einem einfachen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang beruht. Vielmehr gibt es verschiedene Gründe und Möglichkeiten des Umgangs mit der gestellten Aufgabe oder dem formulierten Problem sowie unterschiedliche Vorgehens- und Lösungsvarianten.
Nach einführenden Aktivitäten (Grundlagenwissen erarbeiten, Regeln und Muster aufzeigen, einen Museumsbesuch durchführen etc.) folgt eine kooperative Lernphase. Die speziellen Aufgaben der einzelnen Gruppenmitglieder werden bei der komplexen Instruktion durch die Übernahme einer der Aufgabenstruktur angemessenen Rolle ( Kapitel 3.6) strukturiert. Materialien sind pro Gruppe nur einmal vorhanden. Es ist wesentlich, dass alle ihr Wissen in die Gruppe einbringen und notwendige Informationen beisteuern. Der Auftrag und die Zielerreichung muss verhandelt und von allen Beteiligten verstanden und nachvollzogen werden. Von Anfang an muss interagiert werden. Jede Gruppe ist als Team für die Präsentation verantwortlich und steht zur Beantwortung von Fragen zur Verfügung.
Abbildung 5:Beispiel eines Gruppenauftrages im Rahmen komplexer Instruktion
Für jede Gruppe (ideale Gruppengröße: fünf Mitglieder) ist ein eigener Arbeitsauftrag zu formulieren. Die Gruppenaufträge unterscheiden sich in der dritten Teilaufgabe, der Überführung der Inhalte in ein bestimmtes Produkt. Damit die Präsentation dieser Produkte möglichst reibungslos verläuft, ist die Reihenfolge der Gruppen bereits festgelegt (Nummer am rechten oberen Rand des Arbeitsauftrages, Abbildung 5). Der schriftlich formulierte Gruppenauftrag ist immer nach demselben Prinzip aufgebaut:
4.4Aufbau eines Gruppenauftrags (komplexe Instruktion)
Teilauftrag 1 (Vorwissen aktivieren)
Die erste (und zweite) Aufgabe ist für alle Gruppen gleich. Sie führt ins Thema ein, holt Vorwissen ab, ermöglicht Austausch und lässt alle zu Wort kommen. Für diese Phase eignet sich z.B. die Taktik Platzdeckchen (S. 28).
Teilauftrag 2 (Inhaltskarte: zu erlernendes [Fach-]Wissen)
In einem zweiten Schritt befasst sich die Gruppe mit einer von der Lehrperson gestalteten Inhaltskarte. Eine Inhaltskarte stellt auf ein bis zwei Seiten das Wesentliche zum Thema dar und dient der Wissenserweiterung. Ist etwas neu für die Gruppe? Welche Fragen wirft die Inhaltskarte auf? Diskursiv einigt sich die Gruppe auf zentrale Inhalte und Aussagen zur gestellten Frage.
Teilauftrag 3 (Anwendung, Umsetzung, Transfer und Synthese)
In der letzten Phase der komplexen Instruktion soll das bisher erarbeitete Wissen zur Anwendung kommen. Es geht um den Transfer von Wissen, es geht um eine Syntheseleistung. Im Gegensatz zu den ersten zwei Schritten unterscheidet sich die dritte Aufgabenstellung für jede einzelne Gruppe, indem diese unterschiedliche Zugänge ermöglicht. Zum Thema Kinderrechte kann zum Beispiel von einer Gruppe ein Hörspiel geschrieben oder ein Plakat gestaltet und von einer anderen ein Interview oder ein Gespräch am Kaminfeuer erarbeitet werden.
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