Das alte Pflanzenwissen wurde während der Hexenverfolgungen nahezu ausgemerzt und musste der neuen Religion weichen. Dennoch suchten die Menschen bei Epidemien wie Pest oder Cholera Hilfe und Schutz im Duft von Wacholder, Baldrian, Pfefferminze, Kamille oder Kampfer. Hildegard von Bingen, Paracelsus, Dr. Samuel Hahnemann und Pfarrer Kneipp begleiteten das Räuchern aus dem Mittelalter in die Medizin unserer Zeit.
Heute: Zwischen Tradition und Esoterik
Bei uns im Dorf wurden Haus und Stall jedes Jahr zu Weihnachten mit Myrrhe und Weihrauch oder selbst gemachten »Aflkerzen« aus Fichtenharz, Kräutern und Heublumen traditionell ausgeräuchert. Am Dreikönigstag kamen die Sternsinger mit Weihrauch und Segensliedern ins Haus, und wenn ein Gewitter nahte, warf meine Mutter getrocknete Weidenkätzchen und Buchsbaumzweige vom Osterbuschen ins Herdfeuer.
Heute sind Räuchernde überall zu finden: daheim, um in der Familie und Beziehung Positives zu bewirken, in Schulen, um das Lehren, Lernen und das Miteinander zu unterstützen. In Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern, um Helfenden und Hilfsbedürftigen mehr Kraft zu geben. In Büros und Betrieben, um dem Arbeitsleben besser gewachsen zu sein. In Hotels, um das Wohlbefinden der Gäste zu fördern. Am Bauernhof, im Stall, in Tierarztpraxen, Seminarhäusern, in Kirchen und Tempeln und zur Unterstützung in allen Lebenslagen. Der Beruf des Räuchermeisters, den es einst im alten Ägypten gab, etabliert sich heute langsam wieder.
Leider ist der Begriff Esoterik heute sehr umstritten, wir dürfen uns aber daran erinnern, dass die Geheimwissenschaften die Vorläufer unserer heutigen Wissenschaften sind. Natürlich gibt es hier wie da »schwarze Schafe«, deswegen ist es uns beim Räuchern besonders wichtig, eine Verbindung zwischen Tradition, esoterischer Energiearbeit und moderner Wissenschaft zu schaffen.
SEELENFUNKE
URLAUB FÜR DIE SEELE
Zu welchem Land fühlst du dich besonders hingezogen? Verwende die Räucherdüfte dieses Landes als Reiseleiter. Lass dich von Gewürzen, Speisen, Aromen, Farben und Klängen des Landes inspirieren.
Das Riechen – Wissenswertes aus der Forschung
Das Riechen kam aus dem Wasser, aus den Tiefen des Urmeeres, der Dunkelheit und Stille. Die ersten Lebewesen nutzten das Wasser, um chemische Botschaften auszusenden, die nur durch die passenden Sensoren von ihresgleichen aufgenommen und verstanden wurden. So fanden sie Nahrung, erkannten Feinde und konnten sich fortpflanzen. Die meisten dieser Rezeptoren sind unverändert und wurden an die Säugetiere und an den Menschen weitervererbt.
Als dieses Leben an Land ging, wurde die Luft zum Träger der Duftmoleküle. Um herbeigewehte Informationen auffangen zu können, entwickelten sich spezielle vorstehende Organe: die Nasen. Das Vorderhirn war lange Zeit nur für das Riechen zuständig gewesen. Als mehr Reize von Augen und Ohren verarbeitet werden mussten, verlagerte es sich nach hinten und wurde zum Riechkolben (Bulbus olfactorius). Die explodierende Geruchsvielfalt musste abgetastet werden, und in den Nasen entstanden immer neue Rezeptoren.
Wahre Supernasen sind Ratten und Mäuse (1200 verschiedene Riechrezeptoren), gefolgt von Hunden und Katzen (ca. 800–900) und Affen mit ca. 500. Bei uns Menschen bilden mehr als 350 Rezeptoren ein Duftalphabet, mit dem unser Geruchssinn Abertausende Kombinationen wahrnehmen und spezifizieren kann.
Wie die Düfte in die Nase passen
Erst 1991 wurden diese Rezeptoren von der Forscherin Linda Buck in New York entdeckt. Sie liegen in der Zellmembran der Riechsinneszellen in unserer Nasenschleimhaut und nehmen die Duftmoleküle nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip und elektrischer Ladung auf. Nur die Hauptkomponenten des Duftmoleküls müssen passen, der Rest darf variieren. So können wir z. B. verschiedene Apfelsorten ihrer Gattung zuordnen.
Aber der Duft kann noch deutlich mehr: Gerüche dringen über die Atemluft in unsere Nasenmuschel, münden über einen Kanal im Rachen und treffen im Mund auf unseren Geschmacksinn. Erst durch das Riechen werden wir zu Feinschmeckern, und umgekehrt können Duftmoleküle von Speisen »hintenherum« in unsere Nase gelangen.
Den Geruchssinn erforschen – mit einem Stück Apfelstrudel
Die verführerische Duftwolke von frischem Apfelstrudel erwischt mich, als ich vor dem PC sitze. Tausende von Duftmolekülen tanzen durch die Luft und finden ihren Weg in mein linkes gerade aktives Nasenloch.
Erst in etwa 1,5 Stunden ist wieder das andere dran,
Pech gehabt.
Am Dach der Nasenhöhle angelangt, warten 20–30 Millionen Riechzellenmit ihren über 350 Rezeptoren, um die Moleküle zu empfangen. Sie sind in eine feine Schleimschicht eingebettet, und die verschieden geformten Moleküle heften sich nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip an die Rezeptoren. Ich stelle mir vor, da gibt es runde »Schlüssellöcher«, in die fruchtige Äpfel passen, spitze für die würzige Schärfe des Zimts und wellenförmige für Vanille. Über die untere Nasenmuschel atme ich normal weiter, aber durch intensives Schnuppern locke ich die Duftspur in meine obere Nasenmuschel. Riechzellen sind kurzlebig, werden nur etwa einen Monat alt, erneuern sich ständig. Dadurch können wir unser Riechvermögen erhalten, auch wenn wir einmal schädliche Substanzen eingeatmet oder eine Infektion ausgeheilt haben.
Die Duftmoleküle des Apfelstrudels haben mittlerweile angedockt, und die »Duftinfo« wurde an die Zellen weitergeleitet. Jetzt sind die Zellen »aufgeregt« und wollen unbedingt das Gehirn informieren. Dazu müssen aber die Moleküle von einer analogen in eine digitale Form umgewandelt und in Nervenbahnen durch das Siebbein geleitet werden. So landet der Geruchsreiz im Riechkolben– hier endet der Job der Riechnerven meiner Nase. Geschafft: Der Apfelstrudelduft ist in meinem Kopf.
Im Riechhirnwerden die Informationen über die Intensität und das »Mmmh« oder »Bäh« eines Duftes ausgewertet. Haben wir die Nase voll, oder möchten wir noch hinterherschnuppern? Ist ein Duft, unserer individuellen Erfahrung nach, angenehm oder unangenehm? Jetzt übernehmen die Synapsen des Gehirns in sogenannten Riechknäueln (Glomeruli olfactorii) die Weiterleitung der Info in das Großhirn (Neocortex), und endlich ist es so weit: Ich realisiere den Duft! Zuerst im limbischen System(griech. limbus = Saum), das entwicklungsgeschichtlich zu den ältesten Arealen des Gehirnes zählt, und dann wird der Mandelkern (Amygdala) aktiviert. Eigentlich gibt es zwei davon, und sie beherbergen Emotionen, Instinkte und Triebe. Wenn ein Geruch Gefahr vermittelt, geht in der Amygdala sofort die Post ab und bringt uns dazu zu flüchten, anzugreifen oder zu erstarren – in diesem Fall löst sie einen »Angriff« auf den Apfelstrudel aus. Dann erwacht auch das »untere Zimmer« im limbischen System – der Hypothalamus. Er ist das Schaltzentrum für das vegetative Nervensystem und die Hormonzentrale des Körpers. Emotionen und Triebe werden in bewusste Handlungen umgesetzt – ich gehe also in die Küche. Der Hypothalamus regelt auch Hunger und Durst, Schlafen und Wachen und die Lust auf Sex – und das, ohne nachzudenken, eben einfach »der Nase nach«. Der Geruchssinn hat als einziger Sinn direkten Zugriff auf diese Schaltzentrale und wird nicht bewusst gesteuert.
Und plötzlich tauchen Erinnerungen auf: die Küche meines Elternhauses, meine Mutter in ihrer Schürze, sie knetet den Teig. Das alte Volkslied, das wir so gern beim Kochen gesungen haben, ist wieder präsent. Es ist, als ob ich den Strudelteig von damals wieder auf meinen Händen spüre. Mein Hippocampus, der seinen Namen der Seepferdchen-Form verdankt, hat sich eingeschaltet. Er ist mein Gedächtnis, der Platz des Lernens, meine räumliche Orientierung und innere Landkarte. Die Hormone, die durch diese umfassenden Duft-Erinnerungen vom Hypothalamus produziert wurden, verteilt die Hypophyse nun im Körper. Mir knurrt der Magen, mein Herz klopft vor Liebe für meine Mutter, und wie eine Umarmung wärmt mich wohliges Gefühl von innen: Ich bin zu Hause. Und du hast hoffentlich Lust auf Apfelstrudel bekommen!
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