»Ja, du hast recht.«
»Sie haben also bereits einen Mordfall gelöst?« Doktor Holmes wusch eines der Instrumente und wandte sich interessiert zu ihnen um. »Richtig gelöst?«
»Ganz genau.« Alexander wusste nicht warum, doch er genoss es, Holmes seinen Erfolg auf die Nase zu binden. »Wir sind den Spuren gefolgt und haben den Mörder mehrerer Frauen entlarvt.«
»Bewundernswert.« Holmes nickte anerkennend. »Das klingt aufregend.«
»Das war es auch. Ein wenig zu aufregend vielleicht.« Nic stand an der Tür. »Wollen wir dann?«
»Ja, Garrett muss es erfahren.«
Wenige Minuten später erreichten sie Garretts Haus und Rosa öffnete ihnen die Tür. Aus dem Wohnzimmer hörten sie Stimmen. Garrett war also zu Hause. Sie betraten das Zimmer, in dem Garrett und seine Frau saßen und erhitzt zu diskutieren schienen. Auch heute trug Apolonaria ein kurzes Kleid, dieses Mal in einem dunklen Grün.
»Stimmt es, was wir gehört haben?«, fragte sie, sobald sie das Zimmer betreten hatten. »Eine Leiche? Ihr habt eine Leiche gefunden?«
»Ja«, bestätigte Nic. »Neben der Arena.«
»Ist es –« Apolonarias Stimme brach.
»Ist es Jace?« Garrett war aufgestanden. »Ist es unsere Tochter?«
»Nein«, antwortete Alexander leise. »Sie ist es nicht. Die Tote ist nicht weiß.«
Garretts Frau schluchzte auf. Garrett nickte nur und setzte sich wieder. »Gut.«
»Kommt so etwas öfter vor? Gibt es hier häufiger … gewaltsame Todesfälle, bei denen die Opfer einfach liegen gelassen werden?«, fragte Nic. Irritiert zogen sowohl Garrett als auch Apolonaria eine Augenbraue in die Höhe. Alexander kam sich vor, als würden sie vor einer Art von Gericht stehen, das sie beurteilen sollte, und er spürte, dass sie bei dieser Beurteilung nicht gerade gut wegkamen.
»Ob so etwas öfter vorkommt?« Apolonarias Mund verzog sich zu einem spöttischen Grinsen. »Das hier ist Narau, natürlich gibt es hier des Öfteren gewaltsame Tode, aber was glaubst du eigentlich, was wir sind? Barbaren? Wir lassen die Toten doch nicht auf der Straße liegen. Unglaublich.«
Kopfschüttelnd blickte sie ihren Mann an. Der richtete sich auf und lehnte sich ein Stück nach vorn, die Arme stützte er auf den Knien ab. »Nein, es kommt nie vor. Die ganzen Jahre, die wir nun hier wohnen, gab es keinen Mord, bei dem der Täter sich nicht dazu bekannt hat, keinen Mord, der keinen triftigen Grund hatte. Diese Gemeinschaft basiert auf Ehrlichkeit. Ja, auch wenn euch das seltsam vorkommen mag.« Er fixierte Alexander. Anscheinend hatte Garrett gesehen, wie er skeptisch die Mundwinkel verzogen hatte.
»Tut mir leid, ich …«
»Das muss es nicht«, unterbrach ihn Garrett. »Natürlich lief es vor dem Krieg anders, aber wir haben einfach erkannt, dass Gewalt in der Natur des Menschen liegt und sie zu unterdrücken alles noch schlimmer macht. Die Dinge eskalieren. Und dann verlieren vielleicht Unschuldige ihr Leben.« Einen Moment lang starrte er blicklos in eine Ecke des Raums. Alexander hatte das Gefühl, er hätte vergessen, dass sie alle anwesend waren, dann jedoch richtete er seine Augen wieder fest auf Alexanders Gesicht.
»Ich will die Leiche sehen.« Garrett stand entschlossen auf.
»Ich denke nicht, dass der Anblick …«
Garrett unterbrach Nic mit einem strafenden Blick. »Glaubst du wirklich, ein wenig Blut macht mir etwas aus? Denkst du etwa, ich bin zu weich für diesen Anblick?«
Nic schüttelte den Kopf und schwieg. Garrett verließ den Raum und Alexander und Nic folgten ihm.
Garrett betrat vor ihnen die Praxis von Holmes und sah sich um. Sogleich kam der Arzt herbeigelaufen und verbeugte sich tief vor dem Anführer der Stadt.
»Garrett, ich freue mich immer wieder über einen Caeles in meiner bescheidenen Praxis, es ist mir eine Ehre –«
»Ja, spar dir das Holmes«, knurrte Garrett und spazierte an dem Mann vorbei in den Obduktionsraum. Holmes warf Nic hinter Garretts Rücken einen Blick mit hochgezogener Augenbraue zu und rollte mit den Augen, dann folgte er Garrett. Alexander betrat als Letzter den Obduktionsraum.
»Nein, das ist wirklich nicht Jace.« Lautstark stieß Garrett einen Schwall Luft aus. »Gott sei Dank! Das wäre wirklich eine Katastrophe gewesen.« Er wandte sich von dem Tisch ab, auf dem die Leiche lag. »Was hat man ihr nur angetan?« Er schüttelte den Kopf und stützte sich am Metalltisch ab.
Nic wiegte den Kopf von einer auf die andere Seite. »Wir wissen es nicht genau. Es sieht aus, als wäre sie gefoltert worden. Bist du sicher, dass du sie nicht kennst? Vielleicht hat sie irgendwelche körperlichen Merkmale, die uns bei der Identifizierung helfen können.« Alexander bemerkte, dass Nic inzwischen zum »Du« mit Garrett übergegangen war.
»Nein, nein.« Garrett schüttelte vehement den Kopf. »Ich habe nichts gesehen, was euch helfen könnte.« Betreten schwiegen sie alle einen Moment. »Augenblick mal, ihr habt gesagt, sie war vermutlich keine Weiße.«
»Ja, ihre Knochenstruktur war anders.«
»Wenn das stimmt, war sie eine Sklavin, vielleicht auch die Tochter einer Sklavin, wir wissen ja nicht, wie alt sie war. Fast nur Weiße gehören zur normalen Bevölkerung. Vielleicht solltet ihr euch in Deadwood genauer umsehen.«
Das war endlich ein hilfreicher Hinweis und Alexander warf Nic einen Seitenblick zu, woraufhin sie kaum wahrnehmbar nickte. Ja, sie würden die Sklaven befragen müssen.
Unglücklicherweise wollten die Sklaven aber nicht mit ihnen reden. Sie misstrauten den seltsamen Fremden.
Entgegen Nics Meinung holte Alexander schließlich Rosa dazu, die einige der Sklaven dazu bringen konnte, doch mit ihnen zu sprechen.
Es war tatsächlich ein Mädchen aus Deadwood verschwunden. Eine Sklavin namens Mica, die bei Pawlow gearbeitet hatte. Allerdings wurde sie bereits seit mehreren Wochen vermisst, und niemand hatte mehr damit gerechnet, dass sie wieder auftauchen würde. Die meisten, mit denen sie danach sprachen, gaben an, dass sie geglaubt hatten, Mica wäre fortgelaufen und hätte der Stadt für immer den Rücken gekehrt.
Als sie Deadwood wieder verließen, war Alexander schockiert davon, wie egal es den Bewohnern von Narau offensichtlich war, dass eine der ihren einfach aus ihrer Mitte verschwand und nicht wieder auftauchte. Selbst die Nachricht von Micas Tod hatte die Leute kaum erschüttert.
»Und jetzt?«, fragte er Nic resigniert.
»Na, weiter«, erwiderte sie und deutete in Richtung Mitte der Stadt.
Verständnislos sah er sie an. »Womit genau sollen wir denn weitermachen?«
»Die Sklaven haben Pawlow erwähnt. Wenn sich keiner aus Deadwood für ihren Tod interessiert, vielleicht dann ja derjenige, für den sie gearbeitet hat.«
Das war zwar eine gute Idee, aber er glaubte nicht daran. Ihre Sklaven waren den Menschen hier völlig egal, nicht wichtiger als ein Möbelstück. Nic wollte das offenbar immer noch nicht einsehen. Oder vielleicht wollte sie auch nur noch mehr Zeit bei Pawlow und seinen Maschinen verbringen.
»Ja, wir könnten Pawlow einen Besuch abstatten.« Insgeheim hatte er ohnehin gehofft, den Maschinenbauer noch einmal wiederzusehen, hauptsächlich, um sich seinen Laden mal selbst von innen anzusehen. Er wollte sehen, was hier in Narau alles gebaut wurde.
»Da bin ich raus, ich gehe zurück zum Haus. Ihr solltet beide besser um sechs da sein, da gibt es Abendessen.« Rosa deutete zurück ins Zentrum der Stadt.
»Warum willst du nicht mit zu ihm kommen? Vielleicht könntest du uns helfen.« Alexander zog seine Taschenuhr aus der neuen Hose und prüfte die Zeit, die ihnen noch bis zum Essen blieb.
»Glaub mir, das ist besser so. Pawlow … ich würde sagen, er kann mich nicht ausstehen. Aber ich wünsche euch viel Erfolg, bis später.« Rosa winkte ihnen mit einer Hand, wandte sich halb um und zwinkerte Alexander kaum merklich zu.
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