»Das ist ›Dodge City‹. Hier befinden sich sämtliche Geschäfte, außer den gefährlichen.« Rosa deutete auf die Überführung über ihren Köpfen. Alexander blickte erneut empor. Die Rauchschwaden noch immer dicht, doch nun erkannte er auch Menschen dort oben. »Vielleicht gehen wir später noch hoch, früh am Morgen dort aufzutauchen, ist üblicherweise eine schlechte Idee.« Sie wandte sich von ihnen ab und das Tuch um ihren Körper schwang umher.
»Was gibt es denn hier für Geschäfte?« Interessiert versuchte Alexander, irgendwelche Schilder zu entziffern. »Können wir vielleicht einmal rundherum gehen?«
Rosa zuckte mit den Schultern. »Klar, gerne. Die meisten sollten auch schon geöffnet haben, vielleicht können wir auch gleich einen Blick hineinwerfen, falls ihr euch dafür interessiert.«
Alexander war neugierig, was in Narau verkauft und hergestellt wurde, und nickte begeistert.
Gemeinsam wandten sie sich nach rechts und gingen die unebene Straße entlang, die ebenso wie die Gebäude rechts und links aus porösem schwarzen Stein bestand.
»Was ist das eigentlich?«, fragte nun Nic und deutete auf das Gestein unter ihren Füßen. »Ihr baut ja anscheinend alles damit.«
»Ja, hier gibt es ja auch kaum etwas anderes. Das ist Basalt. Er stammt aus dem Vulkan. Wir können ja die Stadt nicht ständig verlassen, um Zeug zum Bauen zu suchen, auch wenn es dann hier schöner aussehen würde.«
Schöner vielleicht nicht, dachte Alexander, aber weniger düster. Das dunkle Grau und Schwarz des Gesteins verlieh der gesamten Stadt eine unwirkliche Atmosphäre, so als würde es nie wirklich hell.
Auf ihrem Rundgang passierten sie einige Läden, die Waffen, Möbel, Gläser, Nahrung und Medizin verkauften. Dann erreichten sie ein Gebäude, vor dem eine knöchelhohe Konstruktion aus silbernem Metall stand. Als Alexander sich ihr näherte, um es genauer zu betrachten, stieß es Laute aus, die stark an ein Bellen erinnerten. Jetzt erst erkannte Alexander die Ohren, die Schnauze und die vier kurzen Beine. Das hier war ein Hund, allerdings ein Hund aus Metall.
»Wahnsinn!« Er kniete sich nieder. Mit einer Hand stützte er sich am Boden ab, mit der anderen wollte er dem Hund über den Kopf streichen, doch der stieß ein tiefes Knurren aus. Rosa und Nic lachten, als er seine Hand ruckartig zurückzog.
»Davon lässt du dich einschüchtern?«, fragte Rosa noch immer lachend.
Unsicher blickte Alexander zwischen ihr und dem Metallhund hin und her. »Ähm …«
»Du Angsthase! Das ist nur Zerberus, Pawlow hat ihn zur Demonstration hier draußen aufgestellt. Der tut nichts, darauf wurde er nicht programmiert.«
»Ich bevorzuge ›konditioniert‹«, ertönte eine tiefe brummige Stimme vom Eingang des Gebäudes. »Das beschreibt sehr viel exakter, was ich hier mache.« Die Worte des Mannes klangen seltsam abgehackt, als versuchte er, jedes einzeln korrekt auszusprechen, doch es mangelte ihm am Gefühl für die Sprache.
»Guten Morgen, Pawlow!«, begrüßte Rosa ihn höflich und trat einen Schritt zurück. Sie senkte den Blick. »Das sind Nic und Alexander, sie kommen aus einer anderen Stadt und werden zwei Wochen bei uns bleiben.«
Pawlow grunzte abwertend. »Hab schon von euch gehört. Was wollt ihr hier? Was erhofft ihr euch, hier zu finden?«
»Gar nichts. Wir mussten nur weg aus unserer Stadt«, gab Alexander unumwunden zu.
»Habt wohl was ausgefressen, was?« Der Mann hinter dem dichten buschigen Bart starrte sie mit durchdringenden blauen Augen an.
»Nein, wir …«, versuchte Nic sich zu verteidigen, doch Pawlow unterbrach sie gleich wieder.
»Es ist mir völlig egal, was ihr getan habt. Ihr seid hier, Garrett hat euch seine Erlaubnis gegeben, das muss reichen. Genießt euren Aufenthalt.« Er wandte sich von der kleinen Gruppe ab und wollte zurück ins Dunkel seines Ladens gehen. »Tut mir leid … Herr Pawlow?« Alexander hatte noch zu viele Fragen, um den Mann jetzt schon wieder gehen zu lassen.
Der große Mann wandte sich auf der Türschwelle noch einmal um. »Ja?«
»Das haben Sie gemacht?«
»Ja, das ist meiner.« Pawlow musterte ihn misstrauisch.
»Ich dachte eigentlich, die Golems in unserer Stadt wären schon gut gemacht, aber Zerberus wirkt so echt.«
»Ja, er ist gut. Aber ich kann noch mehr. Andere Tiere. Aber ganz besonders stolz bin ich auf die Gears.«
»Stolz.« Rosa schnaubte. »Du verdienst am meisten mit ihnen, das ist alles.«
Pawlow ging nicht auf ihre Worte ein.
»Gears?« Nic trat näher. »Was sind Gears?«
»Das, junge Dame, sind Gears.« Pawlow deutete über die Schulter in seinen Laden auf ein Wesen aus Metall, das fast die gleiche Größe und Statur hatte wie ein Mensch.
»Die sehen beinahe aus wie unsere Golems.« Alexander wandte sich an Nic. »Oder?«
»Stimmt, sehr ähnlich. Wozu dienen sie?«
»Die meisten kaufen sie für schwere Arbeiten. Manche auch zum Schutz.«
»Also sind sie unseren Golems wirklich sehr ähnlich. Aber sie wirken feiner, besser abgestimmt. Und auch die Gesichter …« Alexander wusste, was sie meinte. Das »Gesicht« des Gears war detailliert ausgearbeitet und die menschlichen Züge wirkten geradezu erschreckend real. Wäre die metallische Farbe nicht gewesen, hätte man es beinahe für ein menschliches Gesicht halten können.
»Darf ich Sie noch etwas fragen?« Nic war auf den Gear zugetreten und hatte die Hand erhoben, doch sie berührte die Maschine nicht. »Sie sagten ›konditionieren‹, was meinten Sie damit?«
»Das zu erklären, würde vermutlich etwas länger dauern.«
»Es würde mich wirklich interessieren.« Nic sah sich zu Alexander um. »Dich nicht auch?«
Alexander zuckte mit den Schultern. »Na ja …«
»Ich habe eine Idee.« Mit Schwung klappte Nic ihr Notizbuch zu. »Ich bleibe hier. Dann können wir uns noch unterhalten. In Ordnung?« Sie deutete auf Pawlow. »Und ich kann hier den Ring abgehen und alle Geschäfte eintragen, wie wäre das?«
Sie wollte allein hierbleiben? Hier bei Pawlow? Unsicher sah Alexander Rosa an. Diese nickte zufrieden. »Eine gute Idee. Dann gehen Alexander und ich durch die beiden letzten Ringe zur Arena und kommen danach wieder zurück. Er kann dir dann ja alles erzählen.« Als Nic sich wieder zu Pawlow umdrehte, zwinkerte Rosa Alexander zu. Mit einem unguten Gefühl stimmte er zu, Nic allein zu lassen.
»Den Weg müssten wir in einer halben Stunde schaffen. Vielleicht sogar in fünfundzwanzig Minuten, wenn wir uns beeilen. Das schaffen wir noch.« Rosa ließ eine filigrane Uhr an einer Kette zurück in den Ausschnitt ihres Kleides rutschen.
Nur fünfundzwanzig Minuten klangen gut. Alexander hatte das Gefühl, dass sie sich lieber beeilen sollten, denn der Gedanke daran, Nic in Narau allein zu lassen, beunruhigte ihn mehr und mehr.
»Dann lass uns losgehen«, drängte er deshalb und lief bereits zum Ausgang des Viertels.
»Du wartest hier auf uns?«, erkundigte sich Rosa fröhlich bei Nic.
»Natürlich. Ich will mir nur die Gears und die Geschäfte näher ansehen. Geht ruhig.« Sie wedelte mit der Hand, als würde sie eine Fliege verscheuchen wollen. Rosa zuckte die Achseln und lief Alexander hinterher.
»Willkommen in Fort Sumner!« Lächelnd breitete Rosa die Arme aus und deutete die neue Straße entlang.
Alexander ließ seinen Blick erst in die eine, dann in die andere Richtung schweifen. Die Gebäude hier waren höher als in Dodge City, zwar nicht höher als im Zentrum der Stadt, doch immer noch beeindruckend. Er sah an der Fassade eines Hauses empor. Sie war mit dem seltsamen schwarzen Glas verkleidet, dass es überall in der Stadt gab.
»Obsidian«, kommentierte Rosa. »Oder Rabenstein. Das kommt von dem Vulkan«, fügte sie hinzu, als er sich wieder zu ihr umdrehte.
»Das ist wirklich schön«, erwiderte er und trat einen Schritt zurück, um das Haus als Ganzes betrachten zu können. Die Nachbarhäuser waren nicht mit Obsidian verkleidet, stattdessen bestanden ihre Fronten aus dem groben schwarzen Stein, der auch als Baumaterial für die Straße verwendet worden war.
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