»Nehmen wir mal an, du willst etwas, das jemand anderes hat, oder hast eine Rechnung mit ihm offen, dann musst du ihn oder sie zu einem offiziellen Kampf in der Arena herausfordern.«
»Aber …« War das ihr Ernst? Schockiert sah Alexander sie an. Auf ihrem Gesicht zeigte sich kein Hinweis darauf, dass das Gesagte ein Scherz gewesen war. »Und in der Arena, da …«
»Geht es darum, wer den Platz am Ende noch verlassen kann«, unterbrach Rosa ihn mit einer energischen Handbewegung.
»Es geht darum, den anderen zu töten?«
»Worum denn sonst?« Fragend sah Rosa ihn an.
Alexander schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung.« Er überlegte. »Also ist das hier die Art und Weise, wie man mit jemandem abrechnen würde? Man fordert ihn heraus?«
»Ganz genau.«
»Und wie macht man das?«
Rosa seufzte. »Na ja, entweder man schickt demjenigen eine Einladung. Dann kann es aber sein, dass er sie einfach ignoriert. Oder man verkündet den Wunsch nach einem Duell öffentlich vor Zeugen. Dann kann sich keiner herauswinden.«
»Wurde Garrett schon mal herausgefordert?« Alexander versuchte, sich vorzustellen, wie ein solches Duell wohl ablief. Doch unmöglich.
»Oh ja, unzählige Male.« Rosa nickte bestätigend. »Ist ja auch nur verständlich, wer würde seine Position nicht wollen? Er ist einer der Caeles, ihr Anführer. Mehr Macht wirst du in Narau nicht finden.«
»Und er hat immer gewonnen?«
»Immer«, sagte Rosa ernst. »Nie hat einer der Herausforderer auch nur einen Schuss abgegeben. Ich kann dir eins sagen: Im Töten kann Garrett niemand etwas vormachen. Er ist unerbittlich.«
»Alle, die ihn herausgefordert haben, sind also tot?«
»Alle«, bestätigte Rosa. »Obwohl, nein, nicht alle. Einmal war es ein Kind. Garrett hat das Duell abgelehnt.«
Ein Kind? Kaum vorstellbar, dass ein Kind einen erwachsenen Mann herausforderte, um ihn zu töten. Oder getötet zu werden. »Mit welcher Begründung?«
»Er hat gesagt, dass der Junge nicht klar im Kopf wäre, dass er noch trauerte und das Ganze nicht durchdacht hätte.«
Dunkel und drohend tauchten die Mauern der Arena vor ihnen auf. Breite Holztore versperrten ihnen den Blick ins Innere.
»Und was ist da drin?« Fragend blickte Alexander die unüberwindbaren Wände hinauf.
»Ein Sandplatz und die Zuschauertribüne. Vielleicht hast du ja Glück und kriegst das noch zu sehen.«
Glück? Alexander wagte zu bezweifeln, dass er dann Glück hatte.
»Alexander?«
»Ja?«
Rosa stand plötzlich dicht vor ihm, ein wenig zu dicht für seinen Geschmack. Er sah den Staub auf ihren Wangen und in ihren Wimpern. Aufmerksam sah sie ihm in die Augen und legte den Kopf schief, dann stützte sie die Arme rechts und links neben seinem Körper gegen die Mauer. »Wir sind ganz allein«, murmelte sie mit halb geschlossenen Augen. »Fällt dir da nichts ein, was wir tun könnten?«
Jetzt, wo sie es sagte … Außer ihnen war niemand an der Arena, kein einziger Mensch war auf der Straße der Toten. Er war ganz allein mit Rosa. »Was …« Er räusperte sich. »Was meinst du damit?«
»Muss ich wirklich noch deutlicher werden?« Rosas Brust presste sich an seine und sie sah zu ihm auf. »Gibt es denn nichts, was du mit mir tun möchtest?«
Sanft fuhr sie mit ihrer Hand über seine Brust. Dann glitt sie tiefer, über seinen Bauch und noch tiefer. »Alex«, murmelte sie.
»Stopp!« Er griff nach ihrer Hand. Er konnte das nicht. Er wollte es nicht. Wie kam sie darauf, dass sie ihm das anbieten musste? »Warum machst du das? Hat Garrett dir das befohlen?«
»Was denn, Alex? Willst du mich etwa nicht?«
»Nenn mich bitte nicht so.« Das war Nics Name für ihn. Und es fühlte sich falsch an, dass Rosa ihn benutzte.
»Alex«, flüsterte Rosa wieder und streckte sich, um ihn zu küssen. Ihre Lippen streiften seine, doch er tauchte unter ihren Armen hindurch. »Nicht. Nic und ich …«
»Nic und du?« Rosas Ton war nun lauernd.
»Wir sind …« Er stockte. »Ich weiß nicht, was wir sind, aber das ist egal. Ich werde es noch herausfinden.«
»Aber das hier stört doch dabei nicht.« Rosa drehte sich um und lehnte sich gegen die Mauer. »Ich verrate ihr nichts.«
»Rosa, was ist hier los?« Dachte sie wirklich, er wäre so einfältig, zu glauben, dass sie sich unwiderstehlich zu ihm hingezogen fühlte?
»Ich will …« Sie brach ab. Ein bitteres Lachen. »Ach, verdammt. Ich will hier raus. Und du wirst bald wieder wegfahren. Nimm mich mit!« Flehend sah sie ihn an. »Nimm mich mit und du bekommst von mir, was du willst. Hier.« Sie griff nach seiner Hand und legte sie auf ihre Brust. »Bring mich nur hier weg, weg von Garrett.«
Hastig zog Alexander seine Hand zurück. Wie stellte sie sich das vor? Sollte er sie etwa in seinem Gepäck aus Narau herausschmuggeln? Oder vielleicht Garrett bitten, sie ihm als Gastgeschenk mitzugeben?
»Rosa, das wird …«
»Psst.« Mit wachsamen Augen musterte sie den Himmel und wich vor ihm zurück.
»Was denn?« Alexander suchte ebenfalls den Himmel ab. Aber er sah nichts, was Rosas Beunruhigung erklärte.
»Geier.« Rosa leckte sich die Lippen. »Das ist schlecht.«
Nun entdeckte auch Alexander mehrere schwarze Vögel, die ein Stück entfernt am Himmel kreisten.
»Wieso?«
»Komm mit. Wir gehen nachschauen.« Entschlossen hielt Rosa auf die Stelle zu, an der die Vögel ihre Kreise zogen.
Sie hatten schon mehr als die Hälfte der Arena umrundet, als Rosa endlich stehen blieb. Hier wuchsen einige Büsche in die Höhe, und Alexander konnte nichts mehr sehen, außer den dornigen Ranken direkt vor ihm. Aber er konnte etwas riechen. Etwas, das ihm schrecklich vertraut war. Dort. »Rosa.« Er deutete auf die Büsche und die deutlich sichtbare Schneise aus abgeknickten Zweigen. Jemand hatte sich vor Kurzem hier durchgekämpft.
»Wir müssen nachschauen, vielleicht braucht jemand Hilfe.« Rosa kaute auf ihrer Lippe herum, nickte aber.
Alexander biss die Zähne zusammen, als sich die Dornen einer Pflanze mit langen Ranken durch das Hemd in seinen Unterarm bohrten. Er riss den Arm zurück und besah sich den Schaden. Ein Stück vom Stoff fehlte und drei tiefe Kratzer waren zu sehen. Träge liefen mehrere kleine Blutstropfen über seine Haut und fielen zu Boden, wo bereits alte, eingetrocknete Flecken zu sehen waren.
Ein leises Rascheln ertönte auf der linken Seite. Vorsichtig, um sich nicht noch einmal zu stechen, bog Alexander die Zweige zur Seite. »Was …« Er taumelte rückwärts, riss sich Hemd und Hose an den scharfen Dornen auf und fiel schließlich hart auf den Rücken. Zwei riesenhafte Vögel erhoben sich mit kräftigen Flügelschlägen über ihm in die Luft und stießen krächzende Laute aus.
»Rosa!«, schrie er, als er es geschafft hatte, sich aus seiner Schreckensstarre zu lösen. »Rosa!« Er hörte Blätter knirschen und Äste brechen, als Rosa sich zu ihm durchschlug.
»Warum hast du geschrien?«
Alexander holte tief Luft.
»Du zitterst ja«, stellte Rosa fest und er sah hinunter auf seine Hände. Tatsächlich … Hastig drückte er sie an seine Brust.
»Sie ist hier. Gleich hinter diesem Busch.« Er räusperte sich und rappelte sich wieder vom Boden auf.
»Dem hier?«
Alexander nickte. Er sah dabei zu, wie auch Rosa sich ihren Weg durch das dichte Buschwerk bahnte und lauschte ängstlich. Hatte er wirklich das gesehen, was er geglaubt hatte, zu sehen? Vielleicht hatte ihm seine Fantasie ja nur einen Streich gespielt?
»Oh nein!«, hörte er Rosa sagen. »Oh nein, oh nein, oh nein.« Mit bleichem Gesicht tauchte sie wieder hinter dem Busch auf. Es war also tatsächlich das gewesen, was er gedacht hatte. »Meinst du, es ist …«, begann er, doch Rosas Kopfschütteln ließ ihn innehalten.
Читать дальше