Relativiert sich damit die Bedeutung der Sphäre der Sprache, zu der ja auch Mehrsprachigkeit (und deren Poetik) gehört? Der von CelanCelan, Paul verwendete Begriff des Geschehens und des Geschehenen könnte in diese Richtung gelesen werden. Geschehen ist etwas anderes als Geschichte, etwa in der strukturalen Erzähltheorie, wo das Geschehen als sinnindifferentes Ereignis verstanden wird, dem erst durch die sprachliche Konstruktion einer Geschichte als narrativer Zusammenhang Sinn gegeben wird. Eingedenk der Formulierung CelanCelan, Pauls von der „Asche ausgebrannter Sinngebung“, die im Text von 1948 in engster Verbindung mit den Erkenntnisbedingungen des Sprechenden steht, ließe sich die These aufstellen, dass die Sphäre der Sprache vom Geschehen selbst, das jegliche Sinngebung zerstört hat, in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Dies betrifft auch die Frage der Mehrsprachigkeit. 1961 antwortet CelanCelan, Paul auf eine zweite Umfrage der Pariser Librairie Flinker , die dem „Problem der Zweisprachigkeit“ gewidmet ist, lapidar: „An Zweisprachigkeit in der Dichtung glaube ich nicht.“17 Was in CelanCelan, Pauls kurzer Stellungnahme folgt, ist eine ziemlich unwirsche Bemerkung über die „Doppelzüngigkeit“ und die „freudige Übereinstimmung mit dem Kulturkonsum“.18 Die in solchen Kontexten entstehenden Wortkünste wissen sich, so CelanCelan, Paul mit einer kritischen Spitze gegen die Konjunkturen des Literaturbetriebs, „polyglott und polychrom“19 zu etablieren und in Szene zu setzen. Als Gegenbegriff zu der von ihm abgelehnten „Zweisprachigkeit in der Dichtung“ bringt CelanCelan, Paul nicht etwa Einsprachigkeit ins Spiel, was vor dem Hintergrund der skizzierten Poetik einer in sich mehrsprachig verfassten Lyrik auch absurd wäre, sondern einen anderen Begriff. Er schreibt: „Dichtung – das ist das schicksalhaft Einmalige der Sprache.“20
Der Begriff des „Einmaligen“, der von CelanCelan, Paul mit dem Zusatz des Schicksalhaften versehen wird und offenkundig poetologisch zu verstehen ist, lässt sich mit Jacques DerridaDerrida, Jacquess Celan-Lektüre in Beziehung setzen. Ohne auf die gerade zitierte Stelle bei CelanCelan, Paul zu verweisen, beginnt DerridaDerrida, Jacques seine Analyse des Gedichts „Schibboleth“ mit einer Erörterung der zeitlichen Bestimmung des Wortes „Mal“ (frz. fois ).21 Auf die zweite Bedeutung des Wortes „Mal“, das im Deutschen auch ‚Zeichen‘, ‚Fleck‘ und ‚verfärbte Hautstelle‘ im Sinne eines ‚Wundmals‘ meint, geht DerridaDerrida, Jacques interessanterweise nicht ein. Ob diese zweite Bedeutung für CelanCelan, Pauls Dichtungsbegriff des „schicksalhaft Einmalige[n]“ entscheidend ist und damit erneut ein Fingerzeig auf das der Sprache und Dichtung unverfügbare Geschehen gegeben ist, durch das Sprache und Dichtung selbst in Mitleidenschaft gezogen werden, wäre zumindest zu erwägen. Dann trüge die in sich mehrsprachig verfasste Dichtung CelanCelan, Pauls, die sich von marktgängigen und kulturindustriellen Formen des Polyglotten und Polychromen zu unterscheiden sucht, unauslöschlich Spuren einer Verletzung oder Verwundung in sich, die auf der „Oberfläche des Sprechbaren“22 nirgends manifest würde.
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