Agnes Lieberknecht / Yomb May
Wissenschaftliche Arbeiten formulieren
Ein Arbeitsbuch für Schreibkurse und Selbststudium
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
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© 2019 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG
Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen
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ISBN 978-3-8233-8267-6 (Print)
ISBN 978-3-8233-0143-1 (ePub)
Wissenschaftliche Texte sind selten beliebt und werden meist nicht gern gelesen. Sie gelten als trocken und kompliziert. Doch das liegt nicht so sehr an den Inhalten solcher Texte, sondern vielmehr an der Sprache, in der die Inhalte oft kommuniziert werden. Den Anspruch, wissenschaftliche Erkenntnisse sprachlich angemessen zu „verpacken“ und verständlich zu vermitteln, erfüllen nur wenige Wissenschaftler – zum Leidwesen der Leserinnen und Leser: Ein Großteil der Lehrbücher und anderer im Laufe des Studiums relevanten wissenschaftlichen Publikationen zeichnen sich durch eine verschraubte Sprache aus. Und nicht selten verfallen Studierende dem Irrglauben, sprachliche Komplexität sei ein Qualitätsmerkmal der Wissenschaft. Andererseits konzentrieren sich die zahlreichen wissenschaftspropädeutischen Publikationen auf das „wissenschaftliche Arbeiten“, d.h. auf die Arbeitstechniken, sodass „wissenschaftliches Formulieren“ kaum behandelt wird.
Das vorliegende Buch schließt diese Lücke. Es grenzt sich von Publikationen zum wissenschaftlichen Arbeiten durch seine thematische Ausrichtung ab: die Formulierung wissenschaftlicher Arbeiten. Viele Lehrbücher zu wissenschaftlichem Schreiben erschöpfen sich in der Aufstellung und Beschreibung von Kriterien, die eine ideale wissenschaftliche Arbeit ausmachen. Tatsächlich aber kommen Studierende mit diesen Anforderungen nur selten zurecht, weil sie häufig abstrakt bleiben, so zum Beispiel, wenn Studierende „treffsicher“ und „verständlich“ formulieren oder den „roten Faden“ einhalten sollen. Wie man im schreibpraktischen Kontext einen solchen roten Faden herstellt, warum eine treffsichere Formulierung überhaupt notwendig ist und wie man sie erzielt, gibt vielen Studierenden Rätsel auf.
Erfolgreiches Hochschulstudium steht und fällt mit der Beherrschung akademischen Schreibens. Und wissenschaftliche Arbeiten können nur gelingen, wenn sich der Verfasser mit der Sprache der Wissenschaft als seinem wichtigsten Handwerkszeug vertraut macht und sie richtig einsetzt. Deshalb will das vorliegende Buch Studierende für die sprachlichen Besonderheiten des akademischen Schreibens sensibilisieren.
Schreiben lernt man nur durch schreiben, „aber nur dann, wenn es reflektiertes Schreiben ist“ (Otto Kruse). Deshalb ist dieses Buch als Lehrwerk konzipiert, das die akademische Schreibfähigkeit in praktischer Absicht vermittelt, und zwar sowohl durch rezeptive als auch produktive Schreibübungen.
Das Buch gliedert sich in sieben Kapitel. Jedes Kapitel ist nach folgendem Prinzip aufgebaut:
Aufstellung und Erklärung der Regel (wir sagen, was gilt)
Erläuterung der Relevanz für das wissenschaftliche Schreiben (wir sagen, warum es so geht)
Veranschaulichung durch Beispiele (wir zeigen, wie es geht)
Übung zur Überprüfung der erworbenen Kompetenz (wir lassen ausprobieren, wie es geht)
Dieses Buch ist auf die Vermittlung akademischen Schreibens sowohl für wissenschaftspropädeutische Seminare als auch für Schreibkurse zugeschnitten. Es wendet sich gleichermaßen an Studierende aller Fachrichtungen, die im Selbststudium ihre Fähigkeit zum wissenschaftlichen Formulieren verbessern wollen.
Zugunsten der besseren Lesbarkeit haben wir uns dafür entschieden, in diesem Buch die männliche („Leser“) und weibliche Form („Leserin“) abzuwechseln. Bei beiden Schreibweisen sind jeweils alle Geschlechter mitgemeint.
Bayreuth, im September 2019 Agnes Lieberknecht, Yomb May
1 Die Sprache der Wissenschaft
Inhalt des Kapitels:
1.1 Was ist Wissenschaft?
1.2 Maximen der Wissenschaftlichkeit
1.3 Merkmale der Wissenschaftssprache Deutsch
1.4 Wissenschaftssprache vs. Alltagssprache
Um die Frage zu klären, wie man wissenschaftliche Texte angemessen formuliert, muss zunächst einmal ein wichtiger Zusammenhang erläutert werden: der zwischen Sprache und Wissenschaft. Dafür ist es erforderlich, sich klar zu machen, was Wissenschaft überhaupt ist bzw. was sie leisten muss. Daraus ergibt sich die Vorstellung, dass der Gebrauch einer spezifischen Sprache notwendig ist, um die Ziele wissenschaftlichen Arbeitens erfüllen und die Ergebnisse angemessen kommunizieren zu können.
Das folgende Kapitel klärt deshalb folgende Fragen:
Was ist Wissenschaft?
Welche Maximen muss wissenschaftliches Arbeiten erfüllen?
Welche sprachlichen Ausdrucksmittel sind dafür zweckdienlich?
Um die Spezifik der Wissenschaftssprache zu erfassen, wird schließlich ein Blick auf die Unterschiede zur Alltagssprache geworfen.
1.1 Was ist Wissenschaft?
Wer sich mit der Wissenschaftssprache befassen oder sich diese aneignen will, muss sich zunächst darüber im Klaren sein, was Wissenschaft überhaupt ist. Denn erst wenn man eine Vorstellung davon hat, was Wissenschaft zu leisten hat, kann man den sprachlichen Anforderungen gerecht werden, die an die Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse gestellt werden.
Die Frage, was Wissenschaft ist, wird nicht einheitlich beantwortet. Das liegt nicht zuletzt daran, dass verschiedene Disziplinen unterschiedliche Gegenstände behandeln und je ein eigenes Verständnis von Wissenschaft pflegen. Dennoch gibt es auch Versuche, einen disziplinübergreifenden Minimalkonsens in der Definition des Wissenschaftsbegriffs zu formulieren. Dieser liegt in dem Anspruch aller wissenschaftlichen Disziplinen begründet, „Erkenntnis durch rationale, intersubjektiv explizierbare Methoden zu erreichen.“ (Westmeyer 1994:475)
Die drei folgenden Definitionsansätze bieten ein disziplinübergreifendes Verständnis des Wissenschaftsbegriffs an:
Definition 1:
„Wissenschaft hat das Ziel, die Welt (auch ferne Welten) und das Leben auf der Erde zu erforschen, Unbekanntes zu entdecken und dabei Wissen zu sammeln, auszuwerten, anzureichern und nutzbringend durch Veröffentlichungen und Lehre zu transferieren.“ (Balzert 2011:7)
Definition 2:
„Wissenschaft hat es grundsätzlich mit der Beobachtung, Analyse und Erklärung von Natur-, Geistes- und Kulturphänomenen zu tun.“ (Schiewe 2007:32)
Definition 3:
„Wissenschaftlern [geht es] darum […], Zusammenhänge in der Welt aufzudecken und zu beschreiben, um dadurch allgemeingültige Merkmale und Mechanismen herauszustellen.“ (Auer/Baßler 2007b:12)
Übung 1:
a) In den drei Definitionen werden jeweils Tätigkeiten genannt, die typisch für wissenschaftliches Arbeiten sind. Arbeiten Sie diese heraus und tragen Sie sie in die folgende Tabelle ein.
|
wissenschaftliche Tätigkeiten |
Definition 1 |
|
Definition 2 |
|
Definition 3 |
|
b) Erläutern Sie, welches gemeinsame Grundverständnis von Wissenschaft in diesen drei Definitionen ausgedrückt wird.
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