»Wer und was ich bin?« gab er Signor Donati zurück. »Gestatten Sie mir, mich vorzustellen, aber entschuldigen Sie, daß es mir unmöglich ist, Ihnen im Augenblick die Hand zu drücken!«
Er nannte seinen Namen und seinen Beruf. Signor Donati brach in ein schneidendes Gelächter aus.
»Psychoanalytiker! Und Sie rümpfen die Nase über die Astrologie. Ausgezeichnet! Als ob die Welt irgendeinen Unterschied zwischen Ihrer Wissenschaft und der meinen machen würde! Doch wenn ich es recht bedenke, macht sie einen. Sie nennt meine Wissenschaft alten Humbug und Ihre modernen Humbug! Das ist der ganze Unterschied.«
»Ich kümmere mich nicht darum, was die Welt sagt«, erwiderte der Doktor, der wirkliches Interesse an seinem Nachbarn zu nehmen begann. »Ich weiß ganz genau, was meine Wissenschaft wert ist. Aber was ich nicht begreifen kann, ist, wie jemand überhaupt die Astrologie eine Wissenschaft nennen kann, nachdem Kopernikus und Galilei die ganze Vorstellungswelt sprengten, auf der die Astrologie beruhte – nämlich, daß die Erde das Zentrum der Welt sei und die Planeten und die Sterne sich um uns bewegen! Können Sie das erklären, mein Herr?«
»Nichts ist einfacher«, erwiderte der Astrologe mit einem finsteren Lächeln. »Sie haben recht, wenn Sie sagen, daß das Weltbild der Astrologie geozentrisch ist. Aber das praktische Leben der Menschen wird immer geozentrisch bleiben. Für uns wird die Sonne ›aufgehen‹ und ›untergehen‹, ganz gleich, ob das Schein oder Wirklichkeit ist. Sowenig sich die Quantität Wärme und Licht, die unser Planet von außen empfängt, seit Kopernikus' Zeiten geändert hat, so wenig haben sich die übrigen außerirdischen Influenzen geändert.«
»Aber!« rief der Doktor und hätte sich bald in der Deckelöffnung des elektrischen Kastens selbst erwürgt. »Aber sagen Sie mir doch vor allem einmal eine Sache: Welche Verbindung existiert zwischen den Sternen am Himmel, die Sie Planeten nennen, und dem Schicksal eines neugeborenen Kindes? Welche Verbindung kann existieren?«
Der Astrologe lächelte so müde wie eine Kinderfrau, die durch ihr Metier gezwungen ist, den Wissensdurst eines eigensinnigen Schützlings zu befriedigen.
»Welche Verbindung existieren kann? Ach, diese ewig wiederkehrenden Einwände! Tausend Astrologen haben sie vor mir beantwortet, und tausend und aber tausend werden sie noch beantworten müssen. Ein skeptisches Geschlecht kämpft mit seiner Lust zu glauben und wagt es nicht, zu glauben! Ihre Frage, mein Herr, macht weder Ihnen selbst noch der Wissenschaft, deren Jünger Sie sind, Ehre. Denn wenn Ihre Frage irgend etwas ist, so ist sie unwissenschaftlich. Die Aufgabe der Wissenschaft ist nicht, zu spekulieren, wie es möglich ist, daß etwas geschieht, sondern festzustellen, was geschieht oder ob etwas geschieht, und in diesem Falle, unter welchen Voraussetzungen es geschieht. Wie ist es möglich, daß gewisse Ätherschwingungen auf der Netzhaut Bilder hervorrufen? Diese Frage geht die Optik nichts an; die Optik konstatiert, daß es geschieht, und sucht die Gesetze zu ergründen, in welcher Weise es geschieht. Warum sterben wir eigentlich? Es gibt auf der ganzen Welt keinen Biologen, der dafür eine völlig befriedigende Erklärung geben kann, aber die Tatsache selbst dürfte kaum jemand in Abrede stellen, nicht wahr? Die Astrologie, mein Herr – und hier rühre ich an den Kern der Sache – die Astrologie ist nicht ein ausspintisiertes theoretisches Lehrgebäude, sie ist eine Wissenschaft, deren Wahrheit durch die Erfahrung bewiesen wird. Wenn Sie so wie ich die Zehntausende von Horoskopen studiert hätten, die uns aus vergangenen Zeiten erhalten sind, und gesehen hätten, wie sie auf das Leben der Männer passen, denen sie gestellt wurden, dann würden Sie nicht mehr zweifeln, Sie würden sich Ihres Zweifels schämen. Nehmen Sie irgendeinen x-beliebigen Menschen, dessen Geburtsstunde Sie kennen, lassen Sie ihm von einem kundigen Astrologen sein Horoskop stellen, und sehen Sie dann, ob es nicht Punkt für Punkt auf sein Leben paßt, so wie es Ihnen bekannt ist! Haben Sie erst einen oder zwei Versuche gemacht, dann werden Sie es sich ein andermal überlegen, eine Sache im vorhinein für unmöglich zu erklären, weil sie im Widerspruch mit Ihrer ererbten Anschauung steht. Und wie alt ist übrigens Ihre ererbte Anschauung? Nicht viele Generationen, mein lieber Herr! Es sind noch keine hundert Jahre her, daß jedem Kinde einigermaßen angesehener Eltern bei seiner Geburt das Horoskop gestellt wurde.«
Er verstummte. Der Doktor blinzelte, wie es seine Gewohnheit war, wenn er sich anschickte zu sprechen.
»Aber«, begann er.
Signor Donati fiel ihm ins Wort.
»Lassen Sie mich die Sache so einfach wie möglich formulieren. Glauben Sie an Chance und Pech?«
»Chance und Pech – hm –«
»Glauben Sie, daß es Menschen gibt, die ihr ganzes Leben lang vom Pech verfolgt werden, und andere, denen alles ›gut ausgeht‹, jedesmal, wenn die Möglichkeit vorhanden ist, daß eine Sache gut oder schlecht ausgehen kann?«
Der Doktor räusperte sich. Aber der Astrologe nahm ihm das Wort aus dem Mund, bevor jener ihn noch geöffnet hatte.
»Wenn Sie nicht glauben, daß es Menschen gibt, die zum Glück, und andere, die zum Unglück geboren sind, so sind Sie skeptischer als die Versicherungsgesellschaften, mein Herr! Sowohl die amerikanischen wie die deutschen Versicherungsgesellschaften führen gerade aus diesem Gesichtspunkt eine Statistik über ihre Versicherten. Sie wissen, daß es gewisse Personen gibt, die immer von einem Auto überfahren werden, wenn nur irgendeine Möglichkeit dazu vorhanden ist, oder einen Ziegelstein auf den Kopf bekommen, wenn es stürmt. Und bevor sie noch lange bei ihnen versichert waren, haben die Gesellschaften erkannt, ob die Leute zu dieser Kategorie gehören, und sie müssen dementsprechende Prämien bezahlen. Fragen Sie, welchen Agenten Sie wollen, und Sie werden hören, daß das wahr ist!«
Endlich gelang es dem Doktor, zu Wort zu kommen.
»Und all das beruht auf der Stellung der Gestirne bei unserer Geburt? Sie müssen schon entschuldigen, aber ...«
Das magere Gesicht des Astrologen nahm langsam die Farbe der Bronze an. Das war offenbar seine Art zu erröten.
»Daß das auf der Stellung der Gestirne bei unserer Geburt beruht, habe ich nicht gesagt. Den innersten Grund des Welträtsels vermesse ich mich nicht zu lösen. Was ich sage, ist, daß man aus der Stellung der Gestirne in der Geburtsstunde sehen kann, wie das Leben sich gestalten wird. Verstehen Sie den Unterschied?«
»Ich glaube wohl«, sagte der Doktor und grübelte ein Weilchen für sich selbst. Plötzlich leuchtete sein Gesicht auf.
»Aber!« rief er mit leuchtenden Augen. »Aber das ist ja großartig! Ein armer Teufel kommt zu Ihnen, um sich sein Horoskop stellen zu lassen. Sie lesen in den Sternen, daß das Unglück Ihres Klienten vorübergehend ist, er ist unter einer glücklichen Konstellation geboren, eigentlich ist er zu Ehren, Macht und großen Reichtümern ausersehen! Sie helfen ihm gegen das Versprechen einer Beteiligung an den Reichtümern, die ihn erwarten, Sie finanzieren ihn, und wenn die Zeit gekommen ist, beheben Sie Ihre Belohnung! Das Leben ist eine Rennbahn, sagt man, eine Wettrennbahn, und wir gewöhnlichen Menschen können nur schwer wissen, wer siegen wird. Aber Sie! Sie werfen einen Blick auf den Sternenhimmel und sind sofort orientiert. Sie können auf einen Outsider nach dem anderen setzen und heimsen Ihren wohlverdienten Gewinn ein! Das ist großartig! Das ist grandios!«
»Ihre Rasse verleugnet sich nicht«, sagte der Astrologe mit einem säuerlichen Lächeln. Sie sehen die Sache sofort aus dem ökonomischen Gesichtswinkel. Lassen Sie mich Ihnen sagen, daß ich nicht das Geld habe, meine Klienten zu finanzieren. Die Wissenschaft wirft ihren Adepten ein mageres Einkommen ab – wenigstens meine Wissenschaft.«
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