Wir sind Müllmänner und -frauen. Wir kippen sie über den Tellerrand. Wir kehren sie in den Orkus. Wir schaffen das Ewiggleiche ab. In uns kommt die Natur, kommt die Welt zu sich. Alles Bisherige war Vorgeschichte. Vertane Zeit, zerstörte Welt .
Wir läuten keine neue Epoche ein. Wir verkünden das Ende aller Epochen. Das Reich der Zerstörung muß vernichtet werden. Unsere Zeitgenossen sind die Fußtruppen der Zerstörung. Folglich müssen auch sie vernichtet werden .
Wir haben unsere Lage erkannt und sind nicht aufzuhalten. Wir sind wenige. Wir brauchen keine Unterstützer. Wir kämpfen nicht um Mehrheiten. Wir brauchen keine Anerkennung .
Unsere Bestimmung ist die Liquidierung des industriellen Lebens, der industriellen Lüge, des industriellen Bewußtseins. Wir machen mit der Gattung Schluß. Ob irgendwann einmal eine Gesellschaft entstehen wird, die sich die Natur nicht zum Feind macht, ist unwichtig. Wichtig ist nur, daß das gegenwärtige System zertreten wird. Wichtig ist das Gedeihen der Insekten .
Deep Green Resistance
Madame hat eine Liaison und erteilt einen Auftrag. Wagnerianer im Blühnbachtal
„Ich bin zu früh! Ist das schlimm?“
Madame trug ein dunkelblaues, hochgeschlossenes Kostüm. Das Meisterstück eines Couturiers. Ein funkelndes Collier zierte ihren Hals. In das schwarz gefärbte Haar waren zwei Wellen eingearbeitet. Sie setzten das ovale Antlitz mit den fein geschnittenen Zügen, den nicht zu schmalen Lippen und der griechisch anmutenden Nase auf das Vorteilhafteste in Szene. Vor mir stand eine wunderschöne Frau im goldenen Alter.
Ich muß aufspringen und ihr den Stuhl zurechtrücken, zuckte es durch meinen Kopf. Da ich dazu nicht in der Lage war, machte ich mit aller Grandezza, die ich aufbringen konnte, eine einladende Geste mit der rechten Hand. Mit der linken knüllte ich das Manifest zusammen und stopfte es in Josefs Netz.
Wie aus dem Nichts tauchte Herr Kálmán auf, zog den Stuhl zurück und Madame setzte sich. Danach nahm der Chauffeur im Nebenraum Platz. Doch so, daß der Tisch, an dem Madame und ich saßen, für ihn gut einzusehen war. Seine Vergangenheit beim ungarischen Staatsschutz konnte er auch nach all den Jahren nicht leugnen.
„Daß ich die Etikette mißachte, mag Ihnen zeigen, wie besorgt ich bin“, eröffnete Madame das Gespräch. Ich neigte den Kopf.
„Es gibt für das Nicht-Erscheinen meines Bekannten zwei mögliche Erklärungen, und beide sind für mich katastrophal“, fuhr sie fort. „Welche der beiden zutrifft und ob es nicht doch eine dritte Erklärung gibt – das müssen Sie, geschätzter Groll, herausfinden.“
Sie beugte sich vor und sprach mit verminderter Lautstärke weiter. Ihrer rauchigen Stimme war anzuhören, daß diese Frau gewohnt war, einen Großbetrieb zu leiten. „Sie müssen wissen, daß mich mit diesem Gentleman, der auf dem Anwesen seiner Eltern in den Cotswolds am Fluß Avon aufwuchs und in Oxford studierte, mittlerweile aber in Küssnacht am Vierwaldstättersee lebt, eine langjährige Beziehung verbindet, für die das Wort Zuneigung eine Untertreibung wäre.“ Und nach einer Pause setzte sie hinzu: „In den Maßen des Anstands natürlich, mein Bekannter ist verheiratet. Glücklich verheiratet. Kinder soll es auch geben. Wie viele, vergesse ich immer.“
Ich konzentrierte mich auf jedes Wort. Madame duldet es nicht, wenn ich in ihrer Gegenwart Notizen mache. Sie entnahm ihrer Handtasche ein hellbraunes Lederetui, öffnete es, schrieb mit ihrer Füllfeder einen Namen auf die Rückseite eines Strafmandats und schob es mir zu. Ich prägte mir den Namen ein: Liam Ferguson. Dann nahm sie das Mandat wieder an sich und steckte es in ihre Handtasche.
Nun hatte ich den Namen. Aber bei den Festspielen finden sich nicht wenige Besucher ein, für die Karten unter falschen Namen hinterlegt sind. Im Festspielbüro sind Dutzende Leute damit beschäftigt, die Bedürfnisse der betuchten Klientel zu bearbeiten. Für Sponsoren und deren Entourage galt das in verstärktem Maß. Nicht alle führenden Herren aus Hochfinanz und Politik verbringen die Festspieltage mit den Ehegattinnen. Sollten diese aber doch bei den Galavorführungen dabei sein, sehen die Geliebten die Vorstellungen eben bei der zweiten oder dritten Aufführung. Und irgendwann findet auch der gefragteste Vorstandsvorsitzende Zeit, sich mit seiner Favoritin in diskrete Innenstadthotels zurückzuziehen. Das Hotelpersonal verfügt über eine große Expertise im Organisieren von verschwiegenen Etablissements. Die Schwester meines Freundes Poschacher Toni arbeitet seit drei Jahrzehnten im Festspielbüro, ihr ist nichts Menschliches fremd. Ich würde mich also an sie wenden. Der von Madame so schmerzlich vermisste Herr wird wohl einen anderen Termin der Verabredung mit Madame vorgezogen haben, dachte ich. Ob geschäftlich oder privat, war offen. Andererseits beschlichen mich angesichts dieser ersten Arbeitshypothese sehr bald Zweifel.
„Ich lege für ihn die Hand ins Feuer, was Umgangsformen und Höflichkeit anlangt“, sprach Madame. „Selbst wenn etwas Unvorhersehbares dazwischengekommen wäre – er hätte sich gemeldet und sei es nur durch eine Kurznachricht“, nahm Madame meinen Einwand vorweg. „Ich befürchte das Schlimmste. Ach ja, ich vergaß hinzuzufügen, wo er logiert: Im Goldenen Hirsch, von der Blauen Gans, in der ich immer abzusteigen pflege, ist das nur einen Katzensprung entfernt.“ „Warum schicken Sie Ihren Herrn Kálmán nicht in den Hirschen? Er kann sich genauso gut wie ich nach Ihrem Bekannten erkundigen.“
„Kann er nicht“, wehrte Madame ab. „Die beiden kennen sich. Es wäre nicht gut, wenn er ihn sieht. Ich will nicht, daß mein Freund glaubt, ich spioniere ihm nach. Das haben wir in drei Jahrzehnten nicht gemacht, und ich habe keine Lust, am Rande des Alters damit zu beginnen.“
Ihre Selbsteinschätzung war originell. Ich weiß nicht, wie oft sie ihren 75. Geburtstag gefeiert hat. Sie sah mich eindringlich an. Und dann sagte sie in einer Mischung aus Befehl und Bitte: „Sie werden herausfinden, wo mein Freund sich aufhält.“ Mit einer Handbewegung schnitt sie meine Antwort ab. „Sparen Sie sich Ihre Einwände, sie werden nicht akzeptiert. Danke für das Gespräch. Wir treffen uns morgen im Mirabellgarten, beim Durchgang zum Mozarteum. 11 Uhr. Vormittag! Dann bekommen Sie einen Vorschuß. Vielleicht haben Sie ja schon erste Erkenntnisse vorzuweisen.“
Ich kannte den bei Elevinnen und Eleven des Mozarteums beliebten Rendezvous-Platz. Er war regensicher und schwer einzusehen, da nimmt man den Luftzug in Kauf.
Als der Dozent und ich den Weg nach Salzburg antraten, dämmerte es bereits. Zumindest den Eingang ins Blühnbachtal wollte ich meinem Begleiter aber doch zeigen. Auf mich übte dieses schroffe und düstere Tal seit meiner Kindheit eine unerklärliche Anziehung aus, es war aber nicht jene Art von Anziehung, wie sie pittoreske Sehnsuchtsorte ausüben, sondern es war eine seltsam angstbesetzte und verunsichernde Anziehung. Als wäre ich in einem früheren Leben vor dem zerklüfteten Taleinschnitt geflüchtet und hätte eine Aufgabe von existentiellem Gewicht zurückgelassen, eine Aufgabe, deren endgültige Erledigung noch ausstand.
Schräg gegenüber vom Haupteingang des Eisenwerks Weinberger zweigte in der Arbeitersiedlung Tenneck die Straße ins Blühnbachtal ab. Ich wollte schon abbiegen, da sah ich vor einer Tankstelle drei schwarze Mercedes-Geländewagen mit verdunkelten Fenstern. Großgewachsene Männer in schwarzen Uniformen drängten sich um das vordere Schlachtschiff; sie versuchten fieberhaft, dessen Scheiben und einen Kotflügel mit Spray und Tüchern zu reinigen. Ich bat den Dozenten, im Shop eine Notration für ein Abendessen zu holen. In großen Schritten eilte er zum Eingang, er wurde ihm von zwei Hünen verwehrt. Die beiden trugen Maschinenpistolen und machten sich gar nicht erst die Mühe, die Waffen zu verbergen. Der Dozent lief zum Wagen zurück und schwang sich auf den Beifahrersitz. Jetzt erst sah ich, daß vom vorderen Auto eine dunkle Flüssigkeit tropfte. Die zwei Uniformierten kamen auf uns zu, sie hatten ihre Maschinenpistolen im Anschlag. Den Motor starten, den Gang einlegen und den Renault auf der Bundesstraße beschleunigen war eins. Wir fuhren in Richtung Pass Lueg. Nach wenigen Kurven und einer Querung der gischtgrünen Salzach erreichten wir die Autobahnauffahrt. Erst als wir mehrere Tunnel passiert und bei Golling freies Land gewonnen hatten, verringerte ich die Geschwindigkeit und reihte mich in eine LKW-Schlange ein.
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