Wenn ich als Teenager alleine zu Hause war, verbrachte ich Stunden auf dem Fußboden des Esszimmers und starrte auf die zahlreichen Diagramme und Zeichnungen und Fotos. Schamlose Schamhaare, die sich stolz zwischen Frauenbeinen kräuselten, und Zeichnungen von Brüsten. Es gab auch ausführliche medizinische Beschreibungen von Geburten und Fotos von schreienden Babys, eingerahmt von den Beinen ihrer Mütter, aber ich dachte nicht darüber nach, wie sich das wohl anfühlt oder wie anstrengend es sein mag oder was eine Öffnung von zehn Zentimetern Durchmesser bedeutet.
Ich bestaunte das alles, auch wenn ich fand, dass der Vorschlag, mir mithilfe eines Spiegels meinen Muttermund anzusehen, ein bisschen weit ging. Allein schon aufgrund des Winkels erschien mir das undenkbar.
Das erste Mal, dass ich überhaupt in Betracht zog, diese Region in Augenschein zu nehmen, war um 9 Uhr morgens am Tag, nachdem die Wehen begonnen hatten, als die Hebamme Kay mir anbot, mithilfe eines Spiegels zu sehen, wie mein Sohn aus mir herauskam. Aber das Risiko, mein bestes Stück in diesem Zustand zu betrachten, erschien mir, selbst wenn ich das Zittern hätte beenden können, einfach zu groß. Ich versuchte zu scherzen und meinte, der Zeitpunkt, an dem noch irgendetwas hätte bewundert werden können, sei wohl definitiv verstrichen, aber ich sprach wohl so undeutlich, dass mein Mann für mich übersetzen musste: „SIE WILL ES NICHT SEHEN.“
Selbst in diesem Moment, vollgepumpt mit Pethidin, traumatisiert, triefend und pressend, wusste ich es bereits. Ich wusste, dass etwas kaputt gegangen war und dass nicht nur die Hebammen alle Hände voll zu tun haben würden, um mich zusammenzuflicken. Ich wusste allerdings nicht, dass es gar nicht so einfach ist, den Schaden zu beurteilen, wenn man nicht weiß, wie es vorher da unten aussah.
1989–1991, Spielplätze verschiedener weiterführender Schulen
Meine Freundinnen und ich halten uns jetzt täglich auf dem Laufenden darüber, was sich in unseren Schlüpfern abspielt. Ob wir unsere Tage schon haben oder vielleicht kurz davorstehen, was wir aus unseren klebrigen Unterhosen ablesen können.
Wir sind auf der weiterführenden Schule, und mittlerweile haben wir alle die Broschüre des Tamponherstellers angefordert. Wir besitzen alle die gleichen rosafarbenen Plastikdöschen, in denen unsere kostenlosen Proben vor neugierigen Blicken verborgen bleiben. Diskretion ist in meinen Teenager- und Twen-Jahren das A und O. Die Hersteller von Hygieneprodukten verfolgen die Marketingstrategie, dass niemand wissen oder erahnen soll, wann wir unsere Tage haben.
Ein Hersteller setzt sogar auf eine durchsichtige Verpackung. Die Information befindet sich auf der Außenfolie, und wenn man sie entfernt, bleibt nur eine kleine blaue Packung übrig, in der sich alles Mögliche befinden könnte. Alles.
Es sind Geheimnisse, die Mädchen hinter vorgehaltener Hand teilen. Und obwohl es gegen unser eigentliches Bedürfnis geht, das darin besteht, fasziniert über Schmierblutungen, rosa Fäden und Ausfluss zu sprechen, gehen wir offenen Auges einen absurden und gefährlichen Pakt des Stillschweigens ein. Wir Frauen und Mädchen werden die Klappe halten und diese ganzen körperlichen Dinge klaglos aushalten, damit es ja nicht peinlich wird für die Jungs. Wir werden ebenso klaglos Mehrwertsteuer auf Tampons zahlen und ein Schweigen wahren, das am Ende Auswirkungen auf alle hat.
In den 1990er-Jahren bin ich besessen vom Feminismus, weil mich die Widersprüche der Frauenwelt irritieren. Obwohl wir es ablehnen, uns abfällig über schlecht gelaunte menstruierende Frauen zu äußern, lachen dennoch alle, als unsere Sozialkundelehrerin von einem Mädchen an ihrer vorherigen Schule erzählt, das dachte, man müsse die Binden mit dem Klebestreifen an den Schamlippen befestigen anstatt an der Unterhose. Und ich denke so bei mir: „Es haben halt nicht alle drauf.“
Bis dahin hatte ich noch nie eine Schachtel „Tena Lady“ gesehen oder überhaupt nur von Einlagen bei Blasenschwäche gehört. Damals sorgten eher die aufgeklärten Anzeigen des britischen Herstellers Bodyform für Menstruationsprodukte für Wirbel. Aber das lag nicht an mir, denn Inkontinenz wurde seinerzeit totgeschwiegen. Bizarr, aber wahr: Als in den 1980er-Jahren die ersten Einlagen für Inkontinenz auf den Markt kamen, mussten Marktforscher vorab die örtliche Polizei informieren, wenn sie Befragungen an der Haustür durchführen wollten – für den Fall, dass brave Hausfrauen und ältere Damen bei der reinen Erwähnung eines solchen Produkts die 110 wählen würden. Auch heute noch sehen Marktforscher das Thema als tabubeladen an – ein Bereich, in dem Vorsicht und Feingefühl geboten sind und das Finden einer repräsentativen Gruppe von Befragten schwer sein kann. Ein Bewusstseinsschub in den späten 2010er-Jahren bringt womöglich langsam Bewegung in das Thema.
Als wir im Sexualkundeunterricht zum Thema „Wachstum“ kommen, beschriften wir ein Diagramm mit den korrekten Begriffen der Fortpflanzungsorgane und versuchen, das Kichern um uns herum zu ignorieren. Die Würgelaute, die jedes Mal aus den hinteren Reihen kommen, wenn das Wort „Vagina“ fällt, und die schmatzenden Geräusche, wenn der Zeigestift sich auf ein Geschlechtsteil auf dem Overhead-Projektor richtet.
Ich nenne die Jungen in unserer Klasse „sexistisch“, aber außer ein paar strengen Blicken passiert nicht viel. Sie bezeichnen mich im Gegenzug als „Maggie Thatcher“.
„Fickt euch doch!“, denke ich und schmettere die einzige Bemerkung zurück, die mir gerade einfällt und wenigstens ein bisschen unter der Gürtellinie liegt: „Wer von euch ist noch einmal während des Geburtsvideos in Ohnmacht gefallen?“
An ihrem 15. Geburtstag verpacke ich das Geschenk für meine beste Freundin in das Informationsblatt aus der Tamponpackung – ein ironischer Seitenhieb und ein Beispiel für Recycling. Sie packt es unter Erröten und Kichern aus, bevor wir mehr über Sex lernen, indem wir uns in der Zeitschrift More die „Position der Woche“ anschauen, fasziniert von den Winkeln und Querschnittsbildern, die zeigen, wie ein Penis in so vielen unterschiedlichen Stellungen perfekt in eine Vagina passt. Popstars raten uns, unsere Geschlechtsteile zu trainieren, indem wir mitten im Pinkeln den Strahl anhalten, damit wir besser beim Sex werden, und wir entdecken überall Vulvas: In den Blumengemälden von Georgia O’Keefe, in der Optik, wie schottische Witwenschleier fallen, und in Edvard Munchs Bild „Der Schrei“.
Mit 15 Jahren ist das für mich mehr als genug.
Als ich so mit meinem Baby auf dem Sofa sitzend an die Vergangenheit denke, wird mir bewusst, dass ich durch die Experten, die mit mir zusammen an meiner Inkontinenz arbeiten, einen neuen Blick auf die Dinge bekommen habe. In jungen Jahren inkontinent zu werden, ist eine wesentlich härtere Nummer als zur Menstruierenden zu werden. Zuerst lerne ich, dass Verdauungs- und Fortpflanzungsapparat mehr miteinander zu tun haben als ich angenommen hatte. Ich lerne Begriffe, die ich nicht kenne und nie zuvor gehört habe, etwa „Prolaps der vorderen Scheidenwand“, „uterin“, „Os“ und „Rektozele“. Echt sexy.
Schlimmer ist, dass sie andauernd von meiner Blase und Harnröhre, meinen Eingeweiden, meinem Anus und meinen Schließmuskeln reden. Genau, im Plural. Es gibt nämlich mehrere Schließmuskeln, und zwei davon befinden sich tatsächlich im Darmbereich. Ich habe diese Worte natürlich schon einmal gehört, aber ich habe sie noch nie mit meinem Fortpflanzungssystem in Verbindung gebracht. Es sind „Entsorgungseinrichtungen“, die in der Nachbarschaft von Gebärmutter und Co. liegen, das schon, aber Verursacher von Kollateralschäden, das war neu für mich.
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