»Ihr werdet schon eure Gründe gehabt haben.« Für Lynette schien das Thema damit erledigt zu sein, denn sie hob eine Augenbraue. »Lass uns über was anderes reden, ja? Die wirklich interessanten Dinge des Lebens!« Lynette lachte und als hätte sie erraten, dass Tom sich Gedanken über Jake machte, stand sie auf und holte eine der Zeitschriften aus dem Wohnzimmerregal. Stolz lächelnd schob Lynette sie über den Tisch zu Tom.
»Etwas spät, aber ich habe sie mir gekauft. Schon unglaublich, so einen berühmten Bruder zu haben.«
Sein Atem stockte. Es war genau jene Ausgabe seiner ehemaligen Redaktion, in der Jakes Homestory erschienen war. Ihm wurde heiß, als die Erinnerungen an die Nacht auf der Insel mit voller Wucht über Tom hereinbrachen.
»Jetzt haben wir endlich Zeit, ausgiebig über das Interview und dein Treffen mit einem absoluten Superstar zu reden. Es war bestimmt unglaublich, ihm gegenüberzustehen. Am Telefon warst du ja nicht sonderlich gesprächig. Ich will alles wissen! Und ganz nebenbei … die meisten aus dem Ort ebenfalls. Alle Nase lang werde ich auf das Interview und die anschließende Homestory angesprochen.«
Tom stöhnte innerlich auf. »Ich dachte, hier interessieren sich alle nur für Änderungen im Fahrplan der Fähre oder den nächsten Termin der Schafauktion … und nicht für irgendwelche Artikel in Klatschblättern.« Er sah sich schon, wie er die Tage im Haus verbrachte, weil er sich vor neugierigen Nachbarn nicht retten konnte.
»Tja, da liegst du falsch.« Sie zog eine Schnute. »Aber jetzt erzähl endlich! Ich wusste schon immer, dass du zu Höherem berufen bist«, scherzte Lynette.
»Das würde ich so nicht sagen und da gibt es auch nicht viel zu erzählen. Ich wurde dazu verdonnert, ein Interview mit Jake zu führen … anfangs war ich nicht gerade begeistert … und dann –«
»Moment!« Lynette hob eine Hand. »Wie darf ich das verstehen … Jake? Du nennst ihn beim Vornamen? Einfach so?«
»Ja.«
»Wow, wie kam das? Macht … Jake … das bei jedem? Wie ist er so?« Lynette hing gebannt an seinen Lippen.
»Nett.«
»Nett? Nur nett?«
»Na ja … er ist … toll. Umgänglich, überhaupt nicht abgehoben.« Und wahnsinnig sexy, fügte Tom in Gedanken hinzu.
Lynette tippte auf das Cover. »Du hast ihn innerhalb kürzester Zeit sogar zweimal getroffen … und dann diesen genialen Artikel geschrieben. Deine Chefin kann wirklich froh sein, dich zu haben.«
Ihm wurde ein wenig übel. »Das bezweifle ich.«
Toms Schwester sah ihn irritiert an. »Wie meinst du das?«
»Ich arbeite nicht mehr bei WM.«
»Oh, wurdest du abgeworben?«
»Nein. Genau genommen arbeite ich im Moment überhaupt nirgends.« Entschuldigend zuckte Tom die Schultern. »Deswegen kann ich euch leider beim Umbau nicht sofort in dem Maße finanziell unterstützen, wie ich es gern täte. Erst später … wenn ich das Honorar für den Artikel erhalten habe.«
»Geld? Von dir? Ich bitte dich. Das ist doch überhaupt nicht der springende Punkt. Sag mir lieber, warum du deinen Job los bis? Du hast doch gern dort gearbeitet, oder? Willst du dir was anderes suchen? Du müsstest doch jetzt überall grandiose Chancen haben. Hast du etwa vor, ins Ausland zu gehen?« Alarmiert zog sie die Stirn in Falten.
»Nein.« Tom holte seinen Rucksack aus der Diele und zog die Zeitschrift heraus, die er heute quasi druckfrisch an einem Bahnhofskiosk erstanden hatte. Offenbar hatte Lynette noch nichts von seinem Enthüllungsartikel mitbekommen. Er schob das Magazin über den Tisch. »Das ist der Grund. Der Artikel ist heute erschienen. Ich habe mir schon gedacht, dass du ihn noch nicht gesehen hast und … ich wollte persönlich mit dir reden«, fügte Tom hinzu, wobei er noch nicht sicher war, ob dieses Gespräch auch seine Verbindung zu Jake beinhalten würde.
Mit großen Augen überflog sie die Schlagzeilen auf dem Cover und begann dann, hektisch zu der entsprechenden Seite zu blättern. Tom wartete schweigend ab, bis sie alles gelesen hatte.
Lynettes Stimme klang zunächst schrill, dann warf sie einen kurzen Blick ins Wohnzimmer zu den Kindern und besann sich. »Du zeigst deine ehemalige Chefin an, weil sie dich dazu benutzt hat, Jake Crawford zu erpressen, um an die Homestory zu gelangen?«
»Gut zusammengefasst.«
»Du kannst das unmöglich alleine durchziehen.«
»Ich weiß … muss ich ja zum Glück nicht.« Tom stöhnte auf und fuhr sich durch die Haare. »Was bitteschön hätte ich denn tun sollen? Ich wollte das nicht auf mir sitzen lassen und habe mich geweigert, dabei zuzusehen, wie sie mit Menschen umgeht, als wären sie Figuren auf einem Spielbrett. « Er hob beschwichtigend die Hände. »Hör zu, Lynnie. Ich stecke da ziemlich tief drin und es könnte noch ganz schön heikel werden. Was ich dir sagen kann, ist, dass ich mit Leland Harrison einen tollen Anwalt habe, der mich in dieser Sache unterstützt. Bitte mach dir keine Sorgen, okay? Es gibt stichhaltige Beweise und Zeugenaussagen. Ich stehe regelmäßig in Kontakt mit der Kanzlei und auch Nelly hat sich heute schon bei mir gemeldet. Sharon Prescott wird sich verantworten müssen. Anscheinend hat sie bereits ihren Schreibtisch geräumt.«
»So schnell? Dein Text ist doch heute erst erschienen, oder?«
»Ja. Aber … bereits vor der Veröffentlichung des Enthüllungsartikels hat sich Harrison mit der Staatsanwaltschaft in Verbindung gesetzt. Die Sache läuft auf Hochtouren.«
»Und … was denkst du, wie Jake Crawford reagiert? Warte!«, rief sie aus, als sie die gesamte Tragweite überblickte. »Wenn die Homestory nur wegen Prescotts Erpressung zustande kam … dann wusste er bereits davon während eurer Zusammenarbeit!« Lynettes Augen wurden groß und sie starrte Tom mit offenem Mund an. »Wie hat er sich verhalten? Wie seid ihr miteinander ausgekommen? Konntest du den Sachverhalt klären? Hat er dir abgenommen, dass du nichts damit zu tun hast?«
»Ja. Zum Glück. Er war es auch, der den Kontakt zu seinem Anwalt hergestellt hat. Aber bitte, Lynette, zu keinem ein Wort, okay? Sonst kann die ganze Sache vielleicht noch kippen.«
Lynette wischte durch die Luft und zog die Augenbrauen zusammen. »Ja, ja, schon klar. Aber … was wirst du jetzt tun … ich meine … wie geht es jetzt weiter?«
»Tja, vorerst werde ich hier bei euch bleiben. Ich kann nicht zurück nach London. Der ganze Trubel in der Redaktion … und bestimmt auch vor meiner Wohnung.«
»Deiner Wohnung?«
»Na klar, oder denkst du, dass alle dichthalten und die Personalabteilung meine Adresse löscht? Ich bin keine Insel, Lynnie, so ein, zwei Menschen wissen schon, wo ich lebe«, erwiderte Tom sarkastisch »Der Versuchung, zum Tippgeber zu werden, können sicher nicht alle widerstehen. Ein paar Sensationslustige werden bestimmt versuchen, mich dort abzupassen.«
Lynette verschränkte die Arme vor der Brust. »Da können sie lange warten. Du bleibst erst mal hier.« Sie verstummte und starrte nachdenklich vor sich hin. Dann wurden ihre Gesichtszüge weicher. »Du tust das Richtige. Ich bin stolz auf dich. Das weißt du, oder?«
Tom drückte die Hand seiner Schwester. »Ich weiß.« Er fühlte sich erschöpft, wollte die Last des Schweigens nicht länger mit sich tragen. Nach einem tiefen Atemzug setzte er an, um die letzte Hürde zu nehmen. »Da ist noch etwas. In letzter Zeit … ist viel passiert. Jake und ich … wir haben nicht nur die Homestory –«
»Mami!« Mit einem spitzen Schrei und geröteten Wangen rannte Anny auf Lynette zu, kletterte auf den Schoß und suchte Schutz vor ihrer Schwester. Breitbeinig blieb Susan in gebührendem Abstand stehen und stemmte die Fäuste in die Seiten.
»Gib mir die Pferde!«, verlangte sie, streckte die Hand aus und erwartete die Herausgabe.
»Nein!« Trotzig schüttelte Anny den Kopf.
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