»Akteneinsicht? Die Berichte wurden noch nicht einmal geschrieben«, tönte es spöttisch von der anderen Seite des Tisches.
In Lelands Mimik zeichnete sich keine Regung ab. Kühl hielt er dem Blick des Ermittlers stand. »Dann wissen Sie ja, was zu erledigen ist«, ging er unverfroren zur nächsten verbalen Attacke über. Jake war nahe daran, in Deckung zu gehen, auch wenn er an dem Wortgefecht nicht unmittelbar beteiligt war. »Wann kann Mister Crawford den Tatort wieder betreten? Alle seine Sachen befinden sich dort«, wechselte Leland bereits zum nächsten Punkt.
»Das kann dauern. Die Ermittlungen sollen doch nicht gestört werden, oder?« Offenbar war der Polizist nicht bereit, zu schnell klein beizugeben.
»Stören? Das war nicht unsere Absicht«, säuselte Jakes juristischer Vertreter zuckersüß. »Im Gegenteil. Ich gehe doch recht in der Annahme, dass Sie schnellstmöglich Angaben darüber erwarten, ob etwas … und wenn ja … was entwendet wurde. Wie sollen wir Sie dahingehend unterstützen, wenn mein Mandant die Räume nicht betreten darf?«, gab der Rechtsanwalt herablassend zu bedenken.
Die Lippen des Polizisten wurden zu schmalen Linien. »Wir geben Bescheid«, maulte er unfreundlich und bei Jake entstand der Eindruck, als hätte er einen Hofhund vor sich, der nach Fremden schnappte.
Erleichtert atmete Jake auf, nachdem die beiden Männer von dannen gezogen waren. »Das ging ja einfacher, als ich dachte.«
Die Falte auf Lelands Stirn blieb bestehen. »Nun, zumindest ein wenig Zeit konnte ich dir verschaffen.« Er sah auf die Uhr und griff nach seiner Aktentasche. »Ich muss mich um ein paar Dinge kümmern. Denkst du, dass du ab jetzt allein zurechtkommst? Mister Morris wird dir sicher jeden Wunsch von den Augen ablesen.«
Jake nickte, obwohl er Leland gern das Gegenteil gesagt hätte. »Nur noch eins.« Jake gab sich einen Ruck und hielt ihn zurück. »Das was ich vorhin gesagt habe … wegen Toms Wohnung …«, druckste er herum. Keinesfalls wollte er ihm noch mehr Arbeit aufhalsen, schaffte es jedoch auch nicht, die Bedenken zu ignorieren.
Der Anwalt schien sofort verstanden zu haben, worauf Jake hinauswollte. »Natürlich, Jake. Ich werde herauszufinden, ob bei Tom ebenfalls eingebrochen wurde, und gebe dir dann Bescheid.« Er war im Begriff, sich auf den Weg zu machen, als er sich nochmal an Jake wandte. »Ich bereite im Büro eine umfassende Niederschrift deiner Aussage vor. Die können wir bei Bedarf vorlegen. Das zeigt unseren guten Willen, dürfte dein persönliches Erscheinen in den Diensträumen aber vorerst überflüssig machen.«
Jake nahm die Tüte entgegen, die Janine ihm brachte. Sie hatte sich beeilt und war rasch wieder aufgetaucht. »Hier … das sind ein paar Dinge, die ich auf die Schnelle besorgt habe.« Er schaute hinein und sah auf den ersten Blick nur ein Kapuzenshirt. Jake vermutete jedoch, dass sie außerdem Jeans, Socken und Unterwäsche beschafft hatte. »Für den Moment wird es gehen. Sobald dein Zimmer und deine Sachen freigegeben sind –«
»Ich kann nicht im Hotel bleiben«, stieß Jake hervor und unterbrach Janines Redefluss.
»Du bekommst natürlich ein anderes Appartement. Mister Morris war wirklich sehr bemüht.«
»Darum geht es doch gar nicht, Jan. Wie stellst du dir das vor? Selbst wenn ich umziehe … ich fühle mich hier nicht sicher. Wenn einmal die Tür geknackt wurde, dann geht das auch ein zweites Mal. Und die wissen noch nicht einmal, wer mit drin- beziehungsweise dahintersteckt. Denkst du, ich will mich bei jedem, der mir auf dem Flur über den Weg läuft, fragen, ob er was damit zu tun hat?«
»Travis und Rodney könnten sich abwechseln –«
»Nein«, fiel Jake ihr gereizt ins Wort und stöhnte auf.
»Ich verstehe. Du möchtest weg. Ich werde sofort bei einem anderen Hotel anfragen.« Geschäftig wischte sie über das Display ihres Handys.
»Das ist nicht das, was ich will.« Die Erklärung dazu blieb ihm im Hals stecken. Jake brachte es nicht fertig, endgültig mit der Sprache rauszurücken. Er war sich nahezu sicher, dass sie ihn für nicht zurechnungsfähig hielt, wenn er seine Pläne offenlegte, die sich aus einem flüchtigen Gedanken entwickelt und manifestiert hatten.
Trotz regte sich in ihm. Im Grunde war er ihr keine Rechenschaft schuldig, selbst wenn sie ahnen sollte, dass er etwas verbarg und nicht mit der ganzen Wahrheit herauszückte. Sein Verhältnis zu Tom musste vorerst geheim bleiben.
Erstaunt sah sie auf. »Wie meinst du das? Willst du England verlassen? Kehren wir in die Staaten zurück? Soll ich uns einen Flug buchen?«
»Nein. Keinen Flug – ein Auto. Und auch nicht für uns – nur für mich.«
»Wie bitte?«
»Bitte besorge mir einen Mietwagen«, wiederholte Jake seinen Wunsch.
»Ähm, und dann?« Irritiert sah sie ihn an.
»Ich werde wegfahren. Für eine Weile untertauchen und … jemanden besuchen.«
»Und wen?« Janine lächelte angestrengt. Es schien ihre Nerven zu strapazieren, dass sie Jake alles aus der Nase ziehen musste.
»Tom.« Ihm wurde heiß. Genauso gut hätte er ›meinen Lover‹ sagen können.
Ihr Blick flog zu dem Magazin, das immer noch auf dem Tisch lag. »Diesen Tom?« Fassungslos keuchte sie. »Das muss ich jetzt nicht verstehen, oder? Wann ist dir denn die Idee gekommen?«
Jake zuckte mit den Schultern. Er würde einen Teufel tun, ihr zu erzählen, dass er Tom in jeder Sekunde vermisste und dieser Zwischenfall nur den letzten Anstoß gegeben hatte, die Zelte hier abzubrechen, um bei ihm sein zu können. »Das geht nicht. Und überhaupt … was willst du bei ihm? Erklär mir das bitte!« Jake wusste, dass sein Plan, sich ihrem Zugriff zu entziehen, großes Unbehagen bei ihr auslöste. Wenn er von der Bildfläche verschwand, verlor sie ein Stück weit die Kontrolle – und Janine hasste das. Der Hauch eines wissenden Lächelns stahl sich auf ihre Lippen. »Ich soll also diesen Kurztrip für dich organisieren? Hast du bedacht, dass er nach dem Staub, den er aufgewirbelt hat, vielleicht untergetaucht ist? Ich weiß gar nicht, wo er sich momentan aufhält«, setzte sie nach und hoffte damit wohl, dass sein Vorhaben sich in Luft auflöste.
»Du nicht, Leland schon«, konterte er und ihm wurde im selben Atemzug bewusst, dass er sie damit herabsetzte und gleichzeitig seinen Anwalt aufwertete.
»Ach? Den kann er sich leisten?« Pikiert zuckte sie mit der Augenbraue. »Denkst du etwa, er bricht seine Schweigepflicht und verrät es dir?« Sie schloss für einen Moment die Augen und seufzte. Offenbar wollte sie Streit vermeiden und fuhr zunächst gemäßigter fort. »Aber … warum gerade Mister Finley? Das ist doch Blödsinn!«, brach es aus ihr heraus. »Es gab Zeiten, da hast du ihn auf den Mond gewünscht. Wenn du schon eine Auszeit brauchst … kannst du nicht jemanden aus dem Team besuchen? Er gehört doch gar nicht dazu.«
»Und genau das ist das Beste daran. Niemand wird auf die Idee kommen, mich gerade dort zu suchen. Ich lasse alles hinter mir und mache etwas total Unerwartetes«, log Jake.
»Woher weißt du, dass er nicht wieder umschwenkt, dich benutzt und danach noch ein Artikel erscheint? Jake Crawford – die Zeit nach den Enthüllungen … oder so ähnlich.« Jake schwieg. Für den Bruchteil einer Sekunde versetzte ihm die Vision, die sie mit ihren Worten erschaffen hatte, einen Stich. Wenn er kühl und sachlich darüber nachdachte, waren ihre Einwände durchaus berechtigt – aber das Herz folgte nun mal keiner Logik.
Janine atmete tief durch. »Dir ist schon klar, dass du mir damit schlaflose Nächte bescherst, oder? Wie stellst du dir das vor?« Sie versuchte, strukturiert an die Sache ranzugehen, sah sich aber offenbar auf verlorenem Posten.
»Ich fahre zu der Adresse, die Leland mir hoffentlich gibt … mit einem unauffälligen Mietwagen, den du mir noch besorgen wirst.« Jake sah sie treuherzig an.
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