Marla Saris
Enthüllungen
im Mittelformat
Wenn Bilder der Vergangenheit
zu Zeugen der Gegenwart werden
Roman
Die Vergangenheit lässt sich nicht einfach ausradieren
wie eine Randnotiz.
Ganz gleich, ob sie positiv oder negativ war,
sie ist ein Teil unseres Lebens
und wird es auch dann bleiben,
wenn wir ein neues Kapitel in demselben beginnen werden.
Auf diesem Wege möchte ich allen danken, denen ich in den letzten Jahren zuhören durfte und ihnen gleichzeitig Mut machen, sich ihrer Vergangenheit zu stellen.
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Übrigens
Die Autorin
Kapitel 1
Eigentlich hätte ich mich als ganz normalen Menschen bezeichnet, dessen Leben ohne größere Zwischenfälle so dahinplätscherte. Meine einzige ernst zu nehmende Macke, sofern man diese als solche bezeichnen kann, war mein Faible für Kunstauktionen. Sobald ich erfuhr, dass eine in erreichbarer Nähe stattfinden sollte, hätte mich höchstens die Aussicht auf einen Plausch mit meiner Lieblingsschauspielerin Julia Roberts davon abhalten können, hinzufahren.
Das lag zum einen daran, dass ich mich immer wieder von den Kunstwerken verzaubern ließ und zum anderen natürlich an der prickelnden Atmosphäre, die während jeder Veranstaltung dieser Art zwangsläufig in der Luft lag. Sie schien meinen Adrenalinspiegel zu steigern und wer weiß, vielleicht sorgte sie auch dafür, dass mein Körper das eine oder andere Glückshormon ausschüttete. Ich war direkt süchtig nach den maskenhaften Gesichtern, die einige Bieter aufzusetzen pflegten, um ihr ernstes Interesse zu verbergen. Sie taten so, als ob es ihnen gleichgültig wäre, letztendlich den Zuschlag zu erhalten. Allerdings gelang es den meisten doch nicht so ganz, gekonnt zu bluffen. Das führte wiederum dazu, dass sich andere, mehr talentierte Mitbieter, einen Spaß daraus machten und den Preis durch das coole Erheben ihrer Bieternummer künstlich in die Höhe trieben. Sie ließen dabei ihr Opfer nicht aus den Augen, um dann im letzten Augenblick den Absprung zu schaffen. Sie wollten vermeiden, am Ende doch noch für einen Kunstgegenstand blechen zu müssen, den sie gar nicht haben wollten. Alles in allem bleibt festzuhalten, dass sich bei solchen Auktionen jede Menge schauspielerisches Talent entdecken ließ.
Ich gehörte weder zu den einen noch zu den anderen Bietern. Denn ich setzte mir stets vor Beginn der Auktion ein finanzielles Limit für die verschiedenen Werke; und an das hielt ich mich strikt, um nicht ganz dem Kaufrausch zu verfallen. Mein Interesse für diese Art von Glücksspiel – wie soll man es sonst bezeichnen, wenn man vorher nie weiß, ob man hinterher noch genügend Geld auf dem Konto haben wird, um den Rest des Monats überleben zu können – war auch bei unseren Freunden bekannt und sie neckten mich diesbezüglich nur zu gerne. Einige böse Zungen behaupteten sogar, dass meine Frau und ich bloß zu faul wären, die Wände zu streichen und wir deshalb so viele Bilder aufhängen würden. Selbst das Gäste-WC musste herhalten, um die ersteigerten Kunstgegenstände zu präsentieren. An diesen stillen Ort hängte ich jedoch nicht gerade meine Favoriten, sondern eher die Gemälde, von denen ich mich wieder trennen wollte, sobald sich eine Gelegenheit dazu bot. Ich musste mir immer mal wieder eingestehen, dass sich mein Kunstgeschmack im Laufe der Zeit gewandelt hatte.
Diese Erkenntnis teilte ich mit meiner Frau ebenso wie alles andere. Zum Glück hatte ich in ihr eine heimliche Verbündete gefunden. Heimlich, weil sie so gut wie nie zu den Auktionen mitkam und verbündet, weil sie ausnahmslos für jedes von mir mitgebrachte Kunstwerk einen Platz in unserer Wohnung fand, an dem es am besten zur Geltung kam. Natürlich war das Aufhängen vielfach mit den unterschiedlichsten Umhängeaktionen anderer Bilder verbunden, sodass die verschiedenen Räume ständig ein neues Gesicht bekamen, ohne dass wir auch nur ein Möbelstück verrückt hätten. Vielleicht machte diese Tatsache gerade den Reiz für mich aus, weiterhin Kunstauktionen zu besuchen, und so hätte es auch bleiben können, wenn ich nicht eines Tages bei einem Autounfall schwer verletzt und dadurch buchstäblich aus dem Verkehr gezogen worden wäre.
Mein Leben veränderte sich schlagartig. Für mehrere Wochen kämpfte ich gemeinsam mit Ärzten und Krankenschwestern ums Überleben. Wir hatten letztlich zwar gewonnen, doch zu welchem Preis! Meine körperliche Verfassung war mehr als miserabel und ich musste mich nach drei Monaten im Krankenhaus noch einem längeren Aufenthalt in einer Rehaklinik unterziehen, um wieder einigermaßen auf die Beine zu kommen. Als ich endlich entlassen wurde, fühlte ich mich immer noch kraftlos und hätte mich am liebsten vor der ganzen Welt versteckt. Mein Körper weigerte sich vehement, das zu tun, was ich von ihm verlangte oder aber, er führte meine Befehle im Zeitlupentempo aus, was mich einerseits wütend machte und andererseits resignieren ließ.
Meiner Frau schien das alles nichts auszumachen. Fast kam sie mir vor, als ob sie noch an Schönheit und Ausstrahlung zugelegt hätte. Aber das mochte auch daran gelegen haben, dass ich sie nun wieder in meiner gewohnten Umgebung erleben konnte und nicht in der unpersönlichen Klinikatmosphäre. Trotzdem wirkte sie angespannt und teilweise abwesend. Zunächst schob ich diese Veränderung auf die Länge meiner unfreiwilligen Abwesenheit. Für ein paar Sekunden kam in mir erneut das Gefühl des Verlassenseins auf, das ich trotz der Therapien und den Besuchen von Freunden in den letzten Monaten empfunden hatte. Ich fragte mich zum ersten Mal, wie es meiner Frau in dieser Zeit ergangen sein mochte? Wie einsam hatte sie sich gefühlt?
Früher, wenn sie nach Hause kam, war ich meistens schon da gewesen und hatte sie mit frischem Kaffee verwöhnt. Dann erzählten wir von dem, was uns tagsüber beschäftigt hatte und was uns als Neuigkeit von unseren Kunden auf dem silbernen Tablett serviert worden war. Ich fand es immer amüsant, aus ihrem Mund den neuesten Klatsch und Tratsch zu erfahren. Sie musste einen überdimensional großen Speicher für all diese Dinge eingerichtet haben, den sie bei unseren Gesprächen Stück für Stück leerte, um ihn am nächsten Tag wieder mit neuen Informationen zu füllen. Ich hörte ihr gerne zu, doch völlig unvermittelt beschlich mich die Angst, dass sie diese Aufmerksamkeit in Zukunft vielleicht gar nicht mehr von mir haben wollte, sondern von einem anderen. Wie sonst war die immer noch deutlich sichtbare Anspannung bei ihr zu erklären? Sie wollte einen Mann und keinen Krüppel, für den das Kaffeekochen bereits eine enorme körperliche Herausforderung bedeutete. Unerwartet, aber mehr als deutlich, keimte die Eifersucht in mir auf und mobilisierte ungeahnte Kräfte. Für mich stand fest: So schnell würde ich den Kampf nicht aufgeben.
Noch ehe ich mich im Geiste meinem vermeintlichen Nebenbuhler stellen konnte, fing meine Frau an, mich leidenschaftlich zu streicheln und zu küssen, und ich erwiderte ihre Zärtlichkeiten. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie sehr sie mir gefehlt hatte und ich bekam Lust auf mehr. Da fiel mir ein, dass ich vergessen hatte, die Ärzte danach zu fragen, ob irgendetwas dagegen sprechen würde, mein bis dato sehr intensives Liebesleben mit meiner Frau wieder aufleben zu lassen. Nun war niemand da, der mich gegebenenfalls hätte warnen können, aber das konnte mir nur recht sein. Denn ich spürte schon bei der ersten Berührung, dass ich auf diese Art von Therapie viel zu lange verzichtet hatte.
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