Meine Neugier verwandelte sich in Ablehnung und ich ärgerte mich, dass ich die Kartons überhaupt geöffnet hatte. Während ich mich mühsam aufrappelte, redete sie weiter von Programmen, die neu auf dem Markt wären und über Software, die man sich ganz leicht übers Internet besorgen könnte. “Was willst du eigentlich mit dem Zeug? Seit wann interessierst du dich für Computer? Früher hast du immer gesagt, dir kommt so etwas nichts ins Haus. Du hättest das wenigstens mit mir besprechen können.” Mit diesen Worten hatte ich endlich den Küchenstuhl erreicht, auf den ich mich ziemlich erschöpft niederließ. Sie schaute mich fragend an, während sie die Tassen auf den Tisch stellte. “Freust du dich denn nicht? Ich wollte dich damit überraschen. Markus meinte, ein Computer würde dir bestimmt gut tun, weil er dich zwischendurch auf andere Gedanken bringen kann, wenn dir danach ist.”
“So, meint er das? Was meint er denn noch so, unser Markus?” fragte ich gereizt. Doch sie schien meine Stichelei zu überhören. “Ich dachte, du würdest dich freuen, wenn du im Internet surfen könntest? Du kannst auch gerne einen PC haben, wenn dir der lieber ist, das ist mir egal. Aber wenn dir weder das eine noch das andere recht ist, dann geben wir dieses Ding eben wieder zurück, und die Sache ist erledigt. Ich denke, das dürfte kein Problem sein. Ich werde gleich mal mit Markus reden.” Sie drehte sich um und ging zum Telefon. “Ist ja schon gut. So habe ich es nun auch wieder nicht gemeint; klar behalten wir die Kiste. Es tut mir Leid, dass ich so gereizt bin, aber das Leben als halber Mensch macht mich einfach fertig.” Sie lächelte mich verständnisvoll an und gab mir einen Kuss. “Meinst du, du kannst ihn alleine zum Laufen bringen?” Ich nickte: “Ich werde es jedenfalls probieren. Ansonsten kann ich Markus immer noch um Hilfe bitten.”
Nach einem gemeinsamen Mittagessen, das aus einem mikro-wellengeschädigten Fertiggericht und einem Joghurt bestand und bei dem ich wieder einiges über den Alltag einer Fotografin erfuhr, machte ich mich daran, unserem neuen Hausgenossen Leben einzuflößen, was sich als wesentlich komplizierter erwies, als ich zunächst dachte. Handbücher für Computer waren mindestens genauso trocken und schwer verständlich geschrieben wie Beipackzettel für Arzneimittel. Wenigstens hatte ich diese Erkenntnis bei meinen Bemühungen gewonnen. Aber am späten Abend war ich endlich so weit, auch wenn ich merkte, wie sehr mich die ganze Installation geschlaucht hatte. Ich brauchte eine Pause und legte mich für eine halbe Stunde aufs Ohr, zumindest hatte ich das vor; aber mein Körper brauchte mehr Schlaf als ich ihm zugestehen wollte, und so wachte ich erst auf, als meine Frau mich wachküsste. “Hier, ich glaube, das brauchst du auch noch. Schließlich willst du doch ab und zu ins Internet, oder?” Sie reichte mir einen Brief, den sie zuvor offenbar mit frisch nachgezogenen Lippen geküsst hatte. “Herzlichen Glückwunsch, Liebling!”
Ich sah auf die Uhr. Es war kurz nach Mitternacht. An meinen Geburtstag hatte ich ehrlich gesagt gar nicht mehr gedacht. Im Krankenhaus war ein Tag wie der andere, und man hatte genug damit zu tun, sich auf seinen Körper und dessen Genesung zu konzentrieren. Zum Feiern verspürte ich ohnehin keine große Lust, jedenfalls nicht in diesem Zustand. Ich setzte mich so gut es ging auf und wog den Umschlag in meiner Hand. “Nun mach schon auf”, forderte meine Frau und legte ihren Arm um mich. Ihre Berührung tat gut, und wieder merkte ich, wie sehr ich sie in den letzten Wochen vermisst hatte. Das Kuvert, dessen Inhalt ich ohnehin schon erraten hatte, konnte warten, mein Verlangen nach Zärtlichkeit jedoch nicht. So kam es, dass ich die Daten für den Internetzugang erst am nächsten Morgen zu Gesicht bekam und eingeben konnte, was ich aber keineswegs bereute.
Als sich das Fenster des Internet-Explorers auf dem Bildschirm aufbaute, fragte ich mich, wo ich zuerst hinsurfen sollte. Da fiel mein Blick auf die Bedienungsanleitung des Computers. Wie hieß es da so schön Besuchen Sie uns auch im Internet! Klar, das machte ich auch postwendend, wobei ich ziemlich enttäuscht wurde, denn vor mir öffnete sich eine langweilig gestaltete Internetseite, die ich sogleich wieder verließ, um eine neue Seite aufzurufen.
Da riss mich das Telefon aus meinen Gedanken. Mühsam schleppte ich mich zum Hörer, den ich in der Küche liegen gelassen hatte, kam aber prompt zu spät. Also humpelte ich wieder zurück. Kaum war ich an meinem Platz angekommen, klingelte mein Handy, das ich zum Glück bei mir trug. “He, altes Haus, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag und zum Computer”, meldete sich eine altbekannte Stimme. “Bist du schon im Internet?” “Ja, gewissermaßen, aber ich weiß nicht, was ich mir anschauen soll.” Markus fing an zu lachen. “Gib doch einfach irgendein Stichwort in eine dieser Suchmaschinen ein.” Und er nannte mir drei Namen, die ich gleich notierte. “Glaub mir, da ist echt was geboten. Sonst würden doch nicht so viele Leute stundenlang vor der Kiste sitzen.” Dieser Satz leuchtete mir durchaus ein, aber trotzdem empfand ich das Medium Internet als fremd und nahm mir vor, mich langsam vorzutasten.
Nachdem wir noch eine Weile über seinen Job und meinen desolaten Zustand gesprochen hatten, war ich wieder auf mich alleine gestellt und rief eine der von Markus genannten Suchmaschinen auf, um sie auf die Probe zu stellen. Nach welchem Begriff sollte ich suchen lassen, vielleicht nach einem Maler, von dem ich nur wenig wusste? Ich probierte einige Namen aus und war erstaunt, wie viel ich über diese Personen herausfinden konnte. Die Sache fing an, spannend zu werden. Irgendwann tippte ich den Begriff Kunstauktion ein – warum weiß ich bis heute nicht – und siehe da, es gab sogar im Internet die Möglichkeit, Bilder, Skulpturen und Ähnliches zu ersteigern. Ich war aufgeregt wie ein kleines Kind kurz vor der Bescherung und öffnete die erste mögliche Seite, die mir die Suchmaschine angezeigt hatte. Ein Glücksgefühl durchströmte mich und ich fühlte mich plötzlich wieder wie ein ganzer Mensch. Wieso hatte ich davon nicht vorher gewusst?
Das Prinzip des Ersteigerns wurde mir schnell klar. Für jeden Gegenstand, der im Netz angeboten wurde, stand eine bestimmte Zeit zur Verfügung, in der die Interessenten die Chance hatten, ein Gebot abzugeben oder auch mehrere. So konnte man sich ganz schön in die Höhe schaukeln. Ich beobachtete einige Auktionen am Bildschirm und verfolgte die einzelnen Schritte der Kaufwilligen, wobei ich versuchte, ihre Taktik zu durchschauen. Es mag überheblich klingen, aber nach einer Weile musste ich die Feststellung machen, dass die meisten über recht wenig Intelligenz verfügten. Sie zeigten viel zu früh ihr Interesse und konnten es einfach nicht abwarten, bis es an der Zeit war, Farbe zu bekennen. Auf diese Weise wurden sie von anderen gewissermaßen rechts überholt und gingen leer aus.
So verbrachte ich einige Stunden vor dem Computer, immer als Beobachter mehrerer Auktionen und gleichzeitig als geduldiges Geburtstagskind, das ganz nebenbei die Glückwünsche von Freunden und einer Hand voll Verwandter am Telefon entgegennahm. Während ich mich gerade bei meiner Tante für ihren Anruf bedankte, wechselten schon wieder zwei Kunstdrucke und drei Originale ihre Besitzer. Ich konnte es einfach nicht fassen und es war für mich absurd, wie Kunst regelrecht verscherbelt wurde. Bilder musste man doch in ihrer ganzen Dimension auf sich wirken lassen, ihre Struktur wahrnehmen, ihre Farben leuchten sehen. Bei einer lächerlichen Auflösung von gerade mal 72 dpi, die im Internet üblicherweise präsentiert wird, ist so etwas wohl kaum möglich.
Ich fragte mich, was die Leute dazu veranlasste, Kunst auf diese Weise zu kaufen. Wären sie nicht besser beraten, wenn sie auf eine Auktion gingen, wie jeder Kunstliebhaber? Ich stand auf, um mir einen Kaffee zu holen und konnte mich gerade noch am Tisch festhalten, um mein Gleichgewicht wieder zu erlangen. Ich hatte völlig vergessen, warum ich hier saß und nicht als Pharmavertreter durch die Weltgeschichte fuhr. Ich war auf Gehhilfen angewiesen und traute mich nicht mehr unter die Leute. Das war es, was mich von einer Auktion fernhielt, nichts weiter. Ging es den anderen Menschen ähnlich? Aus welchem Grund wollten sie sich nicht der Öffentlichkeit zeigen oder waren sie nur zu bequem, um sich aus dem Haus zu bewegen? Mir schossen lauter Gedanken durch den Kopf und erst jetzt bemerkte ich, wie erschöpft ich war. Langsam erhob ich mich, nahm meine Krücken und begab mich zur Couch. Ich muss sofort eingeschlafen sein und wachte erst wieder auf, als mich zwei warme Lippen küssten.
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