Im weiteren Verlauf seines Berichts verbindet Olivier nun die losen Fäden der Handlung, so dass klar wird, in welchem Zusammenhang der Schmuck der Rolle der ScuderiScuderi mit Cardillacs Geschichte steht. Cardillac habe vom Ausspruch der Scuderi beim König gehört, der eine schärfere Verfolgung der Morde verhindert und ihm somit geholfen hat. Zum Dank und als Zeichen seiner Ehrfurcht wolle er ihr den schönsten Schmuck, den er je gefertigt habe, durch Olivier überbringen lassen. Dass er damit auch gleichzeitig Desgrais verhöhnte, sei ein zusätzlicher Bonus gewesen. Im Falle der Scuderi, meinte Cardillac, habe er keine Sorge, dass ihn Mordgedanken überfallen könnten, da sie, »mit solch hoher Tugend begabt, vor der der böse Stern kraftlos erbleiche« (S. 59), nicht in Gefahr sei. Olivier hingegen, von Kindheitserinnerungen übermannt, habe geplant, der Scuderi alles zu entdecken und sie um Hilfe zu bitten. Doch die Martiniere habe ein Gespräch der beiden verhindert (siehe S. 10 dieses Lektüreschlüssels). Entgegen Cardillacs Annahme sei der »böse Stern« (S. 59) stärker als seine Bewunderung für die Scuderi gewesen. Olivier habe die Scuderi in GefahrGefahr erkannt, in der sie sich befunden habe, und habe sie darum durch die Nachricht auf der Kutschfahrt gewarnt. Um die Scuderi zu schützen, die den Schmuck nicht, wie von ihm geraten, sofort zurückbrachte, habe er Cardillac in der Nacht verfolgt und sei Zeuge der Tötung CardillacsZeuge von dessen Tötung durch einen wehrhaften Offizier geworden. Der Rest der Geschehnisse der Todesnacht sei der Scuderi bereits bekannt, schließt Olivier seinen Bericht. Er gibt zu, Mitwisser gewesen zu sein, er selbst habe aber keine »Blutschuld« (S. 62) auf sich geladen. Um Madelon zu schützen, will er lieber für ein Verbrechen sterben, das er nicht begangen hat, als das düstere Geheimnis ihres Vaters zu verraten: »[M]ich wird die Geliebte meiner Seele beweinen als den unschuldig Gefallenen, die Zeit wird ihren Schmerz lindern, aber unüberwindlich würde der Jammer sein über des geliebten Vaters entsetzliche Taten der Hölle!« (S. 62) Nach einem emotionalen Wiedersehen mit Madelon wird Olivier zurück ins Gefängnis gebracht.
Siebter Abschnitt (S. 63, Z. 23 – S. 74, Z. 3)
Die Scuderi, nun vollständig von Oliviers Unschuld überzeugt, will dem Todgeweihten helfen und sucht verzweifelt nach einer Verzweifelte LösungssucheLösung. Schließlich verfasst sie einen Brief an la Regnie, in dem sie darlegt, dass Olivier vollkommen unschuldig an Cardillacs Tod sei, vor Gericht aber aus gutem Grund nicht aussagen könne. Wie zu erwarten, Fehlschlaglehnt la Regnie es ab, Olivier nur auf Grundlage der Beteuerungen der Scuderi freizulassen. Auch die Juristische KonsultationKonsultation des Anwalts d’Andilly bringt zunächst keinen Fortschritt. Das Blatt wendet sich, als der Graf von Miossens sich unerwartet bei der Scuderi einfindet und sich ihr gegenüber als der Wendung: Enthüllung des Mörderswahre Mörder Cardillacs zu erkennen gibt. Er habe schon seit längerem einen Verdacht gegen den Goldschmied gehegt und sich deswegen mit einem Brustharnisch gegen Angriffe geschützt. So vorbereitet sei es ihm gelungen, den überraschten Cardillac bei dessen Angriff zu überwältigen. Allerdings will Graf Miossens nicht bei der Polizei aussagen, zu groß sei die Gefahr, selbst ins Visier la Regnies zu geraten, der sich in der Vergangenheit als grausam und skrupellos erwiesen und viele Unschuldige aufs Schafott gebracht habe. Die Scuderi solle einen Weg finden, diese Information für ihren Schützling zu nutzen, ohne ihn der Chambre ardente auszuliefern. Erneut wird d’Andilly um Rat gefragt. Um den AufschubAufschub der Folter an Olivier zu erreichen, meint d’Andilly, soll Miossens aussagen, er habe diesen in Cardillacs Todesnacht auf der Straße gesehen, als er dem Verwundeten habe helfen wollen. Auf der Grundlage dieser Aussage müsse eine Gegenüberstellung stattfinden und Olivier nochmals vernommen werden, was Zeit bringe, die die Scuderi für ein Gnadengesuch beim König nutzen könne, der durch die Aussage des Grafen nun möglicherweise von Oliviers Unschuld zu überzeugen sei. Zudem würden Entdeckungen im Haus (Geheimgang, Diebesgut) Oliviers Glaubwürdigkeit zusätzlich stützen.
Die Scuderi legt Cardillacs Schmuck an und kleidet sich ganz in Schwarz. So erscheint sie beim Auftritt beim KönigKönig und lenkt das Gespräch, sich der Wirkung ihrer Erscheinung bewusst, auf die Entdeckung von Cardillacs Tod. Sie erzählt, was sich an jenem Morgen bei seinem Haus zugetragen habe, wie seine Tochter behandelt worden sei und was sie in den Gesprächen mit la Regnie und Olivier Brusson erfahren habe. Die Rede der Scuderi verfehlt ihre Wirkung nicht, der König ist überwältigt von ihrer Erzählung, ohne dass ihm sofort klar wird, dass hier von ebenjenem Mann die Rede ist, dessen Hinrichtung er sehnlichst herbeiwünscht, da die Juwelenmorde die Stadt schwer belastet haben. Die Scuderi nutzt die Ergriffenheit des Königs für ihr GnadengesuchGnadengesuch. Nach einer kurzen Unterbrechung, die die Scuderi zunächst nichts Gutes ahnen lässt, verlangt der König, Madelon zu sehen. Der König ist gerührt von Madelons Schönheit und ihren Gefühlen, er will dennoch alles Gehörte Erkundigungen des Königsüberprüfen, bevor er zu einem endgültigen Schluss kommt. Miossens Aussage hat derweil eine Kettenreaktion an Bezeugungen von Oliviers gutem Charakter zur Folge. Sein Bild in der Öffentlichkeit hat sich gewandelt: Er ist nun nicht mehr der blutrünstige Mörder, sondern vielmehr ein unschuldiges Opfer der Justiz, dessen Freilassung gefordert wird. Der König lässt, wie angekündigt, eigene Ermittlungen anstellen. Dennoch geschieht zunächst nichts und die Verzögerte EntscheidungVerzögerung einer Entscheidung erscheint unbegreiflich.
Achter Abschnitt (S. 74, Z. 4 – S. 76, Z. 13)
Fast ein Monat vergeht, bis die Scuderi Nachricht erhält, der König wünsche sie zu sehen. Dieser teilt ihr mit, dass Olivier Freilassung Oliviersfrei sei, was er ihren Überzeugungskünsten sowie ihrer Redegewandtheit zu verdanken habe. Er schickt Madelon zudem tausend Louis als »Brautschatz« (S. 75), verlangt aber im Gegenzug, dass das Paar Paris verlässt – vermutlich, um öffentliche Unruhe und Empörung angesichts des ungeheuerlichen Verbrechens, das sich in seiner Anwesenheit schwer vertuschen ließe, zu vermeiden. Nur wenige Tage später Hochzeit und Abreiseheiraten Madelon und Olivier und ziehen nach Genf, wo sie einerseits durch Madelons Vermögen, andererseits durch Oliviers Fertigkeiten im Goldschmiedehandwerk ein glückliches Leben führen.
Ein Jahr nach dem Fortgang der Brussons erscheint eine öffentliche Bekanntmachung, die dem König und seinem Machtapparat vermutlich ebenfalls zur Vertuschung des Verbrechens und folglich zur Vermeidung gesellschaftlicher Unruhen dient: Ein reuiger Sünder habe der Kirche angeblich einen geraubten Schatz übergeben. Wem Ende des Jahres 1680 ein Rückgabe des SchmucksSchmuckstück geraubt worden sei, könne sich bei d’Andilly melden und bei Nachweis der Rechtmäßigkeit seinen Besitz zurückerlangen. Tatsächlich erhalten einige von Cardillac Beraubte, aber nicht Ermordete, ihren Schmuck zurück. Der Rest geht in den Besitz der Kirche über.
Abb. 2: Figurenkonstellation
Abb. 3: Porträt der französischen Schriftstellerin Madeleine de Scudéry, gezeichnet von Henri Louis Aimé Pottin (1820–1864)
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