Fünfter Abschnitt (S. 34, Z. 36 – S. 44, Z. 10)
Die Scuderi ist geneigt, Madelon zu glauben, und findet deren Aussagen über das gute Verhältnis zwischen Meister und Geselle sowie über Oliviers vortrefflichen Charakter durch ihre eigenen Erkundigungen bestätigt. Von seiner Unschuld überzeugt, beschließt sie, Entschluss: Rettung Oliviers, Besuch la RegniesOlivier zu retten. Dazu wendet sie sich an la Regnie, der sie achtungsvoll empfängt und anhört, ihren Ausführungen jedoch keinen Glauben schenkt. Da er die Scuderi schätzt, berichtet er ihr dennoch vom Stand der Ermittlungen. Oliviers Aussagen würden eine Reihe von Ungereimtheiten enthalten, so sei beispielsweise seine Behauptung, Cardillac sei auf offener Straße angegriffen worden, von einem an Schlaflosigkeit leidenden Nachbarn widerlegt worden, der bezeugen könne, dass Cardillac das Haus abends nicht mehr verlassen habe. Zu den Belastende IndizienIndizien, auf denen Oliviers Anklage aufbaut, gehört außerdem die Mordwaffe, die man in seinem Zimmer gefunden habe. Die Frage nach dem Motiv ist für la Regnie nebensächlich; auf Nachfrage der Scuderi führt er Habgier als möglichen Beweggrund an. Die Scuderi überzeugt das nicht, da Olivier als zukünftiger Schwiegersohn eh Cardillacs Vermögen geerbt hätte. Im weiteren Gespräch erfährt das Fräulein, dass Olivier Brussons Tat im Kontext der gegenwärtigen Juwelenmorde gesehen und er als Teil der Räuberbande betrachtet wird. La Regnie stützt diese Vermutung auf die Beobachtung, dass die Übergriffe seit Oliviers Verhaftung aufgehört haben. Auch schließt la Regnie nicht aus, dass Madelon an dem Mordkomplott beteiligt gewesen ist. Entsetzt fleht die Scuderi ihn an, menschlich zu sein. Zum Abschluss erbittet sie sich die Erlaubnis, Olivier im Gefängnis besuchen zu dürfen, die ihr erteilt wird.
Als Olivier ihr im Untersuchungsgefängnis vorgeführt wird, sinkt sie ohnmächtig nieder. Sie hat in ihm den verhüllten Jüngling Wiedererkennenerkannt, der ihr die Juwelen und den Brief überbracht hat, und ist nun gänzlich von seiner Schuldig?Schuld überzeugt, ohne jedoch mit ihm gesprochen zu haben. Entsetzt darüber, von ihrem Gespür getrogen worden zu sein, zieht sie sogar eine Mitschuld Madelons in Betracht.
Madelon ist am Boden zerstört über den Sinneswandel der Scuderi. »Ach! – auch sie – auch sie haben die Grausamen betört. – Ich Elende – armer, unglücklicher Olivier!« (S. 42) Im Innersten zerrissen, keimt durch Madelons Leiden doch wieder der Glaube an Oliviers Unschuld in der Scuderi. In diesem Moment erscheint Desgrais mit einer Bitte von la Regnie. Seit Olivier das Fräulein im Gefängnis gesehen habe, verweigere er selbst unter Folterandrohung die Aussage. Allein mit ihr sei er gewillt zu reden. Nach anfänglichem Widerstand willigt die Scuderi in die Unterredung ein.
Sechster Abschnitt (S. 44, Z. 11 – S. 63, Z. 22)
Der sechste Abschnitt beinhaltet Oliviers Erhellendes GesprächUnterredung mit dem Fräulein von Scuderi und enthüllt erneut Ereignisse aus der Vergangenheit, die sich mit den jüngsten Geschehnissen langsam zu einem Gesamtbild verknüpfen.
Olivier Brusson wird um Mitternacht schwer bewacht und heimlich zur Scuderi gebracht. Sofort fällt er vor ihr auf die Knie. Die Scuderi, zunächst distanziert und unfähig zu sprechen, entdeckt etwas Bekanntes in Oliviers Gesicht und wird ihm gegenüber wohlwollender. Olivier eröffnet ihr, der Gemeinsame VergangenheitSohn ihrer Ziehtochter Anne Guiot zu sein, den die Scuderi in seiner Kindheit oft bei sich hatte. In einem Rückblick werden nun die Umstände von Oliviers Leben erhellt. Da sein Vater, der Uhrmacher Claude Brusson, durch die Missgunst seiner Kollegen in Paris kaum noch Arbeit fand, zog die kleine Familie vor 23 Jahren nach Genf. Der Kontakt zur Scuderi brach bald darauf ab. Zurück in der Erzählgegenwart Oliviers Geschichteberichtet Olivier der Scuderi, was sich in der Zwischenzeit zugetragen hat. Die Hoffnung vom Neuanfang in Genf habe sich nicht erfüllt und es sei ein von Armut und Mangel geprägtes Leben gewesen. Dem Vater sei es dennoch gelungen, Olivier bei einem Goldschmied als Lehrling unterzubringen, kurz darauf seien er und seine Frau gestorben. Ein Fremder, der eines Tages in die Goldschmiedewerkstatt kommt und Oliviers Kunstfertigkeit erkennt, empfiehlt ihm, sich René Cardillac anzuschließen, »der freilich der erste Goldschmied ist, den es auf der Welt gibt« (S. 47). Olivier kehrt nach Paris zurück und überzeugt Cardillac, ihn als Gesellen anzustellen. Nach einigen Wochen lernt er Madelon kennen, es ist Liebe auf den ersten Blick. Doch der Vater ist von dieser Liaison nicht begeistert und wirft Olivier hinaus. In der Hoffnung, Madelon heimlich sprechen zu können, drückt sich Olivier nachts vor Cardillacs Haus herum. Eines Nachts bemerkt er Licht in dessen Werkstatt, kurz darauf sieht er eine Gestalt durch eine Geheimtür in der Mauer kommen. Olivier verfolgt den Schatten und erkennt erschrocken, dass es sich um den Meister selbst handelt. Kurz darauf, noch immer im Dunkel der Nacht verborgen, wird Olivier Zeuge, wie Cardillac einen Mann erdolcht. Vor Schreck schreit er auf und Cardillac bemerkt ihn, flüchtet aber. Verzweifelt und verwirrt begibt Olivier sich nach Hause, wo er von Cardillac aufgesucht wird. Um sein Schweigen zu erreichen, schmeichelt er Olivier und will ihn wieder einstellen. Auch in die Verbindung zwischen Olivier und seiner Tochter willigt er ein. Trotz innerer Widerstände kehrt Olivier zu Cardillac zurück – um Madelons willen.
Die Scuderi ist erschüttert, als sie meint zu begreifen, dass Cardillac zu der berüchtigten Mordbande gehört habe, die Paris in Angst und Schrecken versetzt. Doch Olivier enthüllt ihr, dass es niemals eine solche Bande gegeben habe – Cardillac = JuwelenmörderCardillac alleine habe alle Überfälle verübt. Um Madelon zu schützen, die sehr an ihrem Vater gehangen habe, habe Olivier dessen Geheimnis bewahrt. Olivier berichtet weiter, wie Cardillac ihn eines Tages in seine seelischen Abgründe eingeweiht habe. Da Olivier nun Olivier als MitwisserMitwisser sei, so meinte Cardillac, könne er ihn auch nicht mehr verraten. Cardillac habe ihm von seinem »böse[n] Cardillacs »böser Stern«Stern« (S. 54) erzählt, den er auf ein vorgeburtliches Trauma zurückgeführt habe: Als seine Mutter mit ihm schwanger gewesen ist, sei sie auf einem Hoffest in den Bann einer Juwelenkette am Hals eines Kavaliers geraten. Fasziniert von den Steinen habe sie sich von ihm bezirzen lassen, doch als sie nach der Kette gegriffen habe, sei er tot zusammengebrochen und habe sie in starrer Umklammerung mit zu Boden gerissen. Von grausigem Entsetzen gepackt sei die Mutter sehr krank geworden, doch sei sie wieder genesen und ihr Baby sei gesund zur Welt gekommen. »Aber die Schrecken jenes fürchterlichen Augenblicks hatten mich getroffen. Mein böser Stern war aufgegangen« (S. 55). Cardillac habe, so berichtet Olivier, von einer angeborenen Besessenheit von Edelsteinen gesprochen, die sich nur durch grausame Züchtigung des Vaters vorübergehend unterdrücken lassen habe. Um den Objekten seiner Begierde nahe sein zu können, sei er Goldschmied geworden, doch schon bald habe der unterdrückte Trieb grausame Ausmaße angenommen. Eine innere Stimme habe ihm eingeflüstert, sich die von ihm gefertigten Schmuckstücke von den Auftraggebern wieder zu holen. So habe er sich zunächst auf die »Diebeskünste« (S. 56) verlegt, doch schon bald sei das nicht mehr genug gewesen – in seinem Innersten habe sich die Mordlust geregt. Das Geheimnis des kurz darauf gekauften Hauses – eine verborgene Tür, durch die man unentdeckt auf die Straße gelangen kann – habe ihm die Taten ermöglicht. Um Madelon nicht unter den Einfluss seines bösen Sterns geraten zu lassen, habe er Olivier das Versprechen abgenommen, die erbeuteten Juwelen an seinem Hochzeitstag zu vernichten.
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