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Zusätzlich zu dieser Vielzahl von Abgrenzungskriterien ermöglichen aber auch oftmals die einzelnen durch die Rechtsprechung entwickelten Kriterien an sich bereits keine trennscharfe Abgrenzung zur Scheinselbstständigkeit. Wie bereits gezeigt, besteht gerade bei diesem Thema ein stark (rechts-)politisch geprägtes Entscheidungsumfeld, mit der Folge, dass die Bedeutung einzelner Kriterien – parallel zur Entwicklung dieses (rechts-)politischen Umfelds – erheblichen Veränderungen unterliegt.
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Ein Beispiel hierfür bildet etwa die Rechtsprechung zur Abgrenzung von werks-und arbeitsbezogenen Weisungenvon Repräsentanten des Auftraggebers gegenüber den durch den Auftragnehmer zur Erledigung der vertraglich geschuldeten Tätigkeiten eingesetzten Mitarbeitern. In früheren Jahren, d.h. noch in den Zeiten der politisch geförderten „Ich-AG“ Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre, hatte die Rechtsprechung hier noch verhältnismäßig lockere Kriterien angelegt und das Vorliegen lediglich werksbezogener Weisungen und damit eines Werkvertrags selbst in Fällen bestätigt, in denen eingesetzte Mitarbeiter – unter dem Fehlen jedweder Repräsentantenmodelle – über Jahre keinerlei Weisungen mehr von dem Auftragnehmer als ihrem Arbeitgeber erhalten haben und „Beanstandungen ihrer Arbeit“ ausschließlich unmittelbar von dem Werkstattleiter des Auftraggebers ausgesprochen wurden.[4] Mit Blick auf die neuere Rechtsprechung, d.h. in den Zeiten der aufkommenden rechtspolitischen Kritik am sog. „Missbrauch von Werkverträgen“, wird dagegen selbst dann von Scheinwerkverträgen und einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung ausgegangen, wenn – im Gegensatz zu den früheren Fällen – sogar Repräsentantenmodellezur Koordinierung der Interaktionen zwischen dem Auftraggeber und den durch den Auftragnehmer eingesetzten Mitarbeitern eingeführt sind, in der Praxis aber lediglich nicht durchgängig gelebt werden.[5]
c) Variierender Kriterienkatalog
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Zusätzlich zu dieser Vielzahl „weicher“ Abgrenzungskriterien ist bei der Beurteilung von Statusfragen ebenfalls zu berücksichtigen, dass jedenfalls in einigen Sonderfällen ein abweichender Kriterienkatalog zugrunde zu legen ist, der entweder angesichts der betroffenen Rechtsgüter modifizierte Maßstäbe enthält oder in den noch weitere rechtliche Kriterien einzustellen sind.
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In diesem Zusammenhang ist unter anderem die Rechtsprechung zur Abgrenzung eines Arbeitsverhältnisses zum freien Dienstverhältnis im Fall sog. „ programmgestaltender Mitarbeiter“ im Rundfunkbereichzu nennen. Der in diesen Fällen zu beachtende verfassungsrechtliche Schutz der Rundfunkfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG führt dazu, dass in diesen Fällen im Rahmen der Abgrenzung zur Scheinselbstständigkeit zusätzlich berücksichtigt werden muss, ob die verfügbaren Vertragsgestaltungen in einem Arbeitsverhältnis – z.B. in Form von Teilzeit- und Befristungsabreden – in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht zur Sicherung der Aktualität und Flexibilität der Berichterstattung überhaupt in gleicher Weise geeignet sind wie die Beschäftigung in freier Mitarbeit.[6] Unabhängig davon zeigen aber auch andere Fallgestaltungen, dass mit Blick auf den konkreten Einzelfall auch anderweitige rechtliche Aspekte wie eine öffentlich-rechtliche Beleihung der eingesetzten Mitarbeiter oder weitere öffentlich-rechtliche Vorgaben z.B. im Rahmen einer Personalgestellung zur Erledigung öffentlicher Aufgaben weitere Indizien für oder gegen eine Scheinselbstständigkeit liefern können.[7]
d) Uneinheitliche Rechtsprechungs- und Verwaltungspraxis
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Insgesamt führt diese Vielzahl „weicher“ Abgrenzungs-Kriterien unter Compliance-Gesichtspunkten somit zu erheblichen Herausforderungen für eine vorausschauende Bewertung der jeweiligen Statusfragen. Es ist daher auch keine Seltenheit, dass – wie sich ebenfalls an einem Fall aus jüngerer Vergangenheit zeigen lässt – ein erstinstanzliches Arbeitsgericht das Vorliegen eines freien Werkvertrags bestätigt, das in zweiter Instanz zuständige Landesarbeitsgericht diesen Fall dagegen anders beurteilt und von einem Arbeitsverhältnis ausgeht, das Bundesarbeitsgericht in letzter Instanz – und das Ganze nahezu 5 Jahre nach Klageerhebung – den Fall dann aber wiederum mangels hinreichender Sachverhaltsaufklärung über die tatsächliche Vertragsdurchführung für nicht entscheidungsreif befindet und an das zuständige Landesarbeitsgericht zurückverweist.[8]
[1]
Ständige Rechtsprechung BAG NZA 2013, 903; vgl. auch Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Stand 11.11.2015, S. 29 f. m.w.N.
[2]
Vgl. Rn. 18und 19; weitere Beispiele u.a. bei Baeck/Winzer NZA 2015, 269 m.w.N.
[3]
Vgl. zuletzt BAG NZA-RR 2012, 455 – Sicherheitsassistenten auf Flughafen.
[4]
Vgl. BAG 2.7.1996, BeckRS 30770062, in den Entscheidungsgründen war hier im Übrigen sogar wortwörtlich nicht von Beanstandungen der Werkleistung, sondern von Beanstandungen der „Arbeit“ die Rede.
[5]
Vgl. die zuletzt bekannt gewordenen Fälle u.a. von IT-Mitarbeitern bei Daimler bei LAG Baden-Württemberg NZA 2013, 1017.
[6]
BVerfG 18.2.2000, NZA 2000, 653; vgl. auch BAG 17.4.2013 – 6 Sa 411/11; BAG 21.1.1998 – 5 AZR 50/97; BAG 26.5.1999 – 5 AZR 469/98; BAG 13.1.1983 – 5 AZR 149/82.
[7]
Vgl. zuletzt BAG NZA-RR 2012, 455 – Sicherheitsassistenten auf Flughafen.
[8]
Vgl. BAG 20.5.2009 – 5 AZR 31/08; vgl. zuvor LAG Sachsen 19.2.2007 – 8 Sa 39/06; ArbG Leipzig 4.11.2005 – 9 Ca 1980/05.
1. Teil Problemaufriss: Contractor Compliance› II. Herausforderungen einer Contractor Compliance› 3. Vielzahl betroffener Rechtsgebiete
3. Vielzahl betroffener Rechtsgebiete
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Dieses Problem des Fehlens klarer und trennscharfer Abgrenzungskriterien wird in Folge dadurch weiter verschärft, dass bei derartigen Statusfragen ganz unterschiedliche Rechtsgebiete vom Arbeits- über das Sozialversicherungs- und Steuerrecht bis hin zum Strafrecht betroffen sind. Dies hat zur Folge, dass nicht nur unterschiedliche Behörden wie die zuständigen Sozialversicherungs- und Finanzbehörden mit derartigen Fällen konfrontiert sein können, sondern auch ganz unterschiedliche Gerichtsbarkeiten von den Arbeits- über die Sozial- und Finanz- bis hin zu den ordentlichen Strafgerichten über derartige Statusfragen entscheiden.
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Unter Compliance-Gesichtspunkten hat dies zur Folge, dass es für eine vorausschauende Bewertung der jeweiligen Statusfragen unter Umständen auch nicht ausreichend sein kann, beispielsweise lediglich arbeitsrechtliche Expertise einzuholen, sondern darüber hinaus auch ergänzend auf Straf-, Sozialversicherungs- oder Steuerrechtsexperten zurückzugreifen, die zum einen in der Sache über den notwendigen „fachmännischen“ Blick aus der jeweiligen rechtlichen Perspektive, darüber hinaus aber auch über Erfahrungen mit den einschlägigen Behörden oder Gerichten und den jeweiligen – zum Teil auch lokal variierenden – Entscheidungspraxen verfügen.
1. Teil Problemaufriss: Contractor Compliance› II. Herausforderungen einer Contractor Compliance› 4. Vielzahl erforderlicher Compliance-Maßnahmen
4. Vielzahl erforderlicher Compliance-Maßnahmen
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Neben diesen rechtlichen und faktischen Herausforderungen für eine (Schein-)Selbstständigen-Compliance kommt hinzu, dass ein effektives Compliance-Programm keineswegs auf einmalige Maßnahmen wie zum Beispiel einen Vertragsschluss o.Ä. zu beschränken ist, sondern eine Vielzahl von langfristigen Maßnahmen voraussetzt.
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