227
Steuerlich kann/muss die Finanzbehörde in diesen Fällen zum Instrument der Schätzung greifen, § 162 AO. Dieses kann mehr oder minder erfolgreich eingesetzt werden, je nachdem welche Informationen der Finanzbehörde vorliegen. Der nicht kooperierende Beschuldigte spielt in dieser Situation ein wenig Roulette. Hat die Finanzbehörde ausreichend Informationen für eine nicht angreifbare Schätzung, war seine Nicht–Kooperation strafrechtlich schädlich ohne dadurch steuerliche Vorteile erlangt zu haben. Zudem erfordert der Angriff von Schätzungsbescheiden, wenn diese nicht grob fehlerhaft sind, häufig die Vorlage derselben Unterlagen, die die Finanzbehörde schon zu Beginn des Verfahrens von ihm angefordert hat. Nunmehr muss er sie zur Begründung seiner Klage gegen den Schätzungsbescheid vorlegen – kein großer Gewinn.[90]
228
Die Nicht–Kooperation kann aus Beschuldigtensicht dann Sinn machen, wenn die Finanzbehörde wenig weiß, so dass die Schätzung relativ niedrig ausfallen muss, um den möglichen Schätzungsrahmen nach Aktenlage nicht zu verlassen.
„Schätzen Sie mal – vielleicht gefällt es mir!“
b) Durchsuchung und Beschlagnahme
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Das strafprozessuale Standardverfahren dürfte die Beantragung und der Vollzug von Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüssen gegen den Beschuldigten (nach § 102 StPO) und gegen unverdächtige Dritte (Zeugen, nach § 103 StPO) sein. Antragsbefugt ist nicht die Steuerfahndung, sondern nur die Staatsanwaltschaft oder die Bußgeld- und Strafsachenstelle der Finanzbehörde.
230
Voraussetzung eines Durchsuchungsbeschlussesgegen einen Beschuldigten ist nach § 102 StPO der einfache Tatverdacht einer Steuerstraftat. Die Schwelle dafür ist niedrig: es muss die durch tatsächliche Anhaltspunkte gestützte Vermutung zu bejahen sein, dass der Tatbestand des § 370 AO verwirklicht ist. Tatsache in diesem Sinne kann auch die kriminalistische Erfahrung des Steuerfahnders sein. Trotz dieser niedrigen Schwelle wird im Normalfall das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren nicht voreilig eingeleitet, denn die Steuerfahndungsstellen haben das oben beschriebene Kapazitätsproblem. Der Steuerfahnder kann den Fall zwar einleiten, aber er wird ihn nicht mehr ohne weiteres wieder los, weil er das Verfahren nicht einfach einstellen kann. Das kann nur die Bußgeld- und Strafsachenstelle oder die Staatsanwaltschaft.
231
Die erforderlichen Durchsuchungsbeschlüsse (§§ 102, 103 StPO) müssen beim Ermittlungsrichter des Amtsgerichtsbeantragt werden, in dessen Bezirk die Ermittlungsbehörde ihren Sitz hat, § 162 StPO. In einzelnen Ländern gibt es abweichende Zuständigkeitsregeln, die die Zuständigkeit für Wirtschaftsstrafverfahren bestimmten zentralisierten Gerichten zuweist.
232
Dem Antrag muss eine Verhältnismäßigkeitsprüfungvorgeschaltet sein, ob weniger einschneidende Mittel zur Erlangung der gesuchten Beweismittel zur Verfügung stehen. In Betracht kommt hier das Auskunfts- und Herausgabeverlangen nach § 95 StPO. Kann das in gleicher Weise zur Sicherstellung des Beweismittels führen wie ein Durchsuchungsbeschluss, wäre letzterer rechtswidrig wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitgrundsatz.[91]
233
Die Antragsbegründung muss die Tatsachen enthalten, die den Tatvorwurf begründen. Die Begründung, die regelmäßig zum größten Teil im Beschluss wiederholt wird, muss den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist.[92] Je nach den Umständen des Einzelfalls kann das auch eine sehr pauschale Begründung sein. Das ist zum einen dem Delikt geschuldet, dessen Tathandlung nun einmal immer im falschen Ausfüllen einer Steuererklärung (oder der Nichtabgabe derselben) besteht. Der der eigentlichen Tat vorangegangene modus operandi sollte ebenfalls beschrieben sein.
234
Die zu suchenden Beweismittel müssen so genau beschrieben werden, wie es im Einzelfall nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen möglich ist.[93] Soweit eine genaue Bezeichnung der Beweismittel nicht möglich ist, sind diese annäherungsweise – ggf. in Form beispielhafter Angaben – zu beschreiben.[94]
235
Hat der Ermittlungsrichter den Beschluss erlassen, beginnt für die Steuerfahndung die Frist zum Vollzug zu laufen, denn der Durchsuchungsbeschluss verbraucht sich zum einen durch Zeitablauf. Nach Ablauf eines halben Jahres verliert nach Auffassung des BVerfG[95] der Beschluss spätestens seine rechtfertigende Kraft. Zum anderen kann bereits vorher durch eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse der Beschluss unwirksam werden. Das ist jeweils vor Vollzug des Beschlusses zu prüfen.
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Zunehmende Bedeutung für die Ermittlungsverfahren der Steuerfahndung hat die Sicherstellung elektronischer Daten. Nicht wenige Fälle sind mittlerweile nur aus den sichergestellten elektronischen Daten zu lösen. Während man in früheren Jahren davon ausgehen konnte, dass der typische Steuerhinterzieher alles Wichtige ausgedruckt hat, ist mittlerweile die Generation der Digital Natives nachgewachsen, die einen viel selbstverständlicheren Umfang mit den neuen Medien zeigt (s.o. Rn. 103 ff.).
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Die Finanzverwaltung musste sich dem zwangsläufig anpassen und hat seit vielen Jahren spezialisierte IT-Prüfer Teamsaufgebaut, die sich mit der forensischen Datensicherung befassen. Während das noch vor nicht allzu langer Zeit Allrounder waren, haben sich die IT-Prüfer zwischenzeitlich weiter spezialisiert. So gibt es innerhalb der IT-Prüfung Spezialisten für Netzwerke, für Datenbanken, für Registrierkassen oder Mobilfunk, die mit der jeweils dazu notwendigen (entsprechend teuren) Hard- und Software aufgerüstet wurden. Die IT-Prüfung ist mittlerweile zu einem der wichtigsten Bereiche der Steuerfahndung geworden.
Rechtlich bietet die Datensicherung einige Probleme.
aa) Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
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Bei der Sicherstellung der elektronischen Daten des Beschuldigten ist zunächst einmal der Verhältnismäßigkeitsgrundsatzzu beachten, der in diesem Zusammenhang verbietet die EDV-Anlagen, auf denen sich die Daten befinden, einfach zu beschlagnahmen. Das wäre für viele Unternehmen gleichbedeutend mit einer erzwungenen (mindestens vorläufigen) Betriebseinstellung. Wenn es andere, weniger belastende Möglichkeiten zur Beweissicherung gibt, müssen diese ergriffen werden. Der Weg dazu geht über die Spiegelung der vorhandenen Festplatten, bei der alle Cluster des Datenspeichers physikalisch auf ein Sicherungsmedium der Steuerfahndung übertragen werden. Das hat den Vorteil, dass so auch gelöschte Dateien mitgesichert werden, die dann u.U. später im Labor der IT-Prüfung wieder lesbar gemacht werden können. Der Nachteil der Spiegelung ist, dass sie bei den heute üblichen großen Speicherplatten zeitaufwändig ist, so dass der IT-Prüfer regelmäßig als Letzter den Durchsuchungsort verlässt. Wichtig ist, dass die Daten nicht nur gespiegelt werden, sondern dass auch die Herkunft und die Unverändertheit der gesicherten Datendokumentiert werden können. Das erledigen spezielle Programme für die forensische Datensicherung, welche bei allen Steuerfahndungsstellen im Einsatz sind.
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Bei einzelnen isolierten Speichermedien wie USB-Sticks und Memory-Cards kann auch die körperliche Sicherstellungin Betracht kommen, weil dies für den Beschuldigten regelmäßig keine so einschneidenden Folgen hat.
bb) Zugriff auf räumlich getrennte Speichermedien
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Den Besonderheiten der modernen Netzwerke trägt mittlerweile § 110 Abs. 3 StPO Rechnung, der auch den Zugriff auf räumlich getrennte Speichermedienerlaubt, die sich nicht im Durchsuchungsort befinden, für den der Durchsuchungsbeschluss gilt. Damit sind Daten im WLAN oder auch in der sog. Cloud umfasst, wenn auf diese Daten vom Durchsuchungsort aus zugegriffen werden kann. Immer wieder wird problematisiert, ob dadurch nicht ein Verstoß gegen den Territorialitätsgrundsatz vorliegt, denn möglicherweise verstoßen deutsche Ermittler durch ihren Datenzugriff gegen die Souveränität des Staates, in dem die Server tatsächlich stehen. Das ist aber regelmäßig nicht einmal dem Inhaber der Daten bekannt. Wer weiß schon, wo die Cloud liegt? Viel wahrscheinlich ist, dass Daten überhaupt keinen festen Ort haben. Sie sind ihrer Natur nach schon anders zu bewerten als Gegenstände, Räume oder Gebäude, die Gegenstand von Durchsuchungsbeschlüssen sind. Ohne einen „Ort der Daten“ kann auch nicht gegen staatliche Souveränitätsrechte verstoßen werden. Der Problembereich harrt noch der gerichtlichen und vielleicht völkerrechtlichen Klärung.
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