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b) |
Vorermittlungen(oder Verdachtsprüfung) dient der Entscheidungsfindung, ob ein strafrechtlicher Anfangsverdacht vorliegt. Vermutungen oder kriminalistische Hypothesen allein genügen nicht. Ein gewisses Maß an Konkretisierung durch Tatsachen ist daher zu fordern für die Annahme eines Anfangsverdachtes, dessen Schwelle aber nicht sehr hoch liegt. Die sog. Verdachtsprüfungsucht und bewertet mögliche tatsächliche Anhaltspunkte im Hinblick auf einen Anfangsverdacht bei gegebenem Sachverhalt. Methodisch unterscheidet sich die Verdachtsprüfung kaum von den Vorfeldermittlungen, geht allerdings regelmäßig zielgerichteter vor. Auch der Grad der Geheimhaltung wird häufig höher sein, wenn das Verfahren noch erfolgreich geführt werden soll. Maßnahmen der Vorermittlung sind das Aktenstudium, Informationsanreicherung aus anderen Quellen (Datenbanken, Internet), aber auch konkrete Maßnahmen wie kurzfristige Observationen oder (verdeckte) Ermittlungen bei Dritten. |
186
Führt das Ergebnis der Verdachtsprüfung dazu, dass ein Anfangsverdacht bejaht werden muss, ist das Steuerstrafverfahren einzuleiten. Das geschieht formal und äußerlich durch die Fertigung eines Einleitungsvermerks, in dem die Verdachtsmomente für die Tat sowie die Beteiligten an der Tat, soweit jetzt schon bekannt, niedergelegt werden. Diese Einleitung ist zunächst nur intern. Eine Bekanntgabe des Verfahrens hängt vom weiteren Verfahrensverlauf ab. Das gleiche gilt für die Belehrung über seine Rechte und Pflichten, die regelmäßig zusammen mit der Verfahrens – Eröffnung vorgenommen wird und in der Ermittlungsakte dokumentiert werden muss.
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Im Idealfall wird der Einleitungsvermerk verfasst, wenn die Indizien und Verdachtsmomente sich zum Anfangsverdacht verdichtet haben, zumindest aber zeitnah danach. Der Einleitungsvermerk ist aber lediglich deklaratorisch, denn nach § 397 AOist das Strafverfahren eingeleitet durch jede Maßnahme der Finanzbehörde, der Staatsanwaltschaft oder ihrer Ermittlungspersonen, die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden wegen einer Steuerstraftat strafrechtlich vorzugehen.
188
c) |
Vorbereitende Ermittlungenfinden nach Einleitung des Strafverfahrens statt zur weiteren Planung der strafprozessualen Maßnahmen und zur vorbereitenden Beweissicherung. Auch hier kommen (weitere) Observationen in Betracht, aber auch Telefonüberwachung und längerfristige Observationen, die aber einer Genehmigung des Ermittlungsrichters (§ 163f StPO) oder der Staatsanwaltschaft (§ 100h Abs. 1 Nr. 2 StPO) bedürfen z.B. bei Video-Observationen, die ein geeignetes und ressourcenschonendes Instrument für längerfristige Observationen sein können. |
Ein wichtiges Instrument aller Ermittlungen ist zudem die Abschöpfung der Vielzahl von Informationen aus den sozialen Netzwerken geworden.
b) Ermittlungen in sozialen Netzwerken und im Internet
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Die sozialen Netzwerke sind aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Es wird gepostet, getwittert und geliket, was das Zeug hält. Dabei werden eine Fülle von Information in die virtuelle Öffentlichkeit gestellt, von der merkwürdigerweise viele Nutzer ein Gefühl von Vertraulichkeit haben. Sie können sich nicht vorstellen, dass sich die Ermittlungsbehörden ebenfalls in den sozialen Netzwerken bewegen. Sie müssen dies aber tun. Der frühere reale Marktplatz wurde durch den virtuellen Marktplatz ersetzt. Es wäre nicht vermittelbar, wenn sich die Ermittlungsbehörde bei der Erforschung von Straftaten dort nicht ebenso bewegen würde wie der Teil der Gesellschaft, der die Straftaten begeht. Es gibt keinen ermittlungsfreien Raum im Internet.
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Rechtlichist für solche Ermittlungen eine Anpassung der Eingriffsnormen an die geänderten virtuellen Verhältnisse erforderlich und möglich. Die allgemeine Ermittlungsbefugnis nach § 160 StPO reicht grundsätzlich aus, soweit nicht in Grundrechte der Bürger eingegriffen wird. Allerdings ist die Intimsphäre auch im Internet geschützt, gleichgültig, was der Bürger davon preisgibt.
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Die von den Nutzern in den sozialen Netzwerken hinterlassenen Informationen sind vielfältig und vielfach nützlich für Ermittlungen:
– |
genaue Namen, Aliasnamen, Spitznahmen, Privatanschriften, weitere Aufenthaltsorte des Beschuldigten und dritter Personen?, |
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familiäres, befreundetes und berufliches Umfeld und sonstige Kontaktpersonen?, |
– |
genutzte Kfz, geplante berufliche und private Aktivitäten, oft sogar mit Fotos, |
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berufliche Tätigkeiten z.B. als Freelancer, die für die Bewerbung ihrer Fähigkeiten spezielle Plattformen entwickelt haben; |
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Erkenntnisse können im Einzelfall höchst praxisrelevante Erkenntnisse für Durchsuchungen oder die Vollstreckung von Haftbefehlen bringen. |
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Bei der Nutzung der sozialen Netzwerke müssen die Fahnder allerdings gewisse Regeln beachten, um einerseits die Ermittlungen nicht zu gefährden (z.B. Benutzung neutraler Internetzugänge, Nutzung von Fake Accounts) und um sich andererseits nicht selbst Schadensersatzansprüchen auszusetzen (grundsätzlich keine Nutzung privater Accounts). Die Polizei ist hier Vorreiter bei der Schaffung der Regelungen, unter denen solche Ermittlungen rechtsstaatlich zulässig sein müssen.[80]
c) Schätzungsmethoden und deren Reichweite
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Das Instrument der Schätzung ist ein Mittel zur Ermittlung des Sachverhalts, das die Finanzverwaltung einsetzen muss, wenn der Sachverhalt trotz Anwendung der anderen Ermittlungsinstrumente immer noch offen ist und keine weiteren Ermittlungsmöglichkeiten bestehen. Es besteht kein Ermessen der Finanzverwaltung darüber, ob sie schätzen will, sondern in Fällen anderweitig nicht aufklärbarer Sachverhalte hat sie eine Pflicht zur Schätzung.
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Damit ist die steuerliche Schätzung bereits nach dem Gesetzeswortlaut Instrument zur Sachverhaltsermittlung. Sie ist weder Sanktionfür unerwünschtes Verhalten (sog. Straf-Schätzungen sind rechtswidrig) noch Zwangsmittel(keine „Androhung“ einer Schätzung, sondern richtigerweise Gewährung rechtlichen Gehörs, § 91 AO).
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Ziel einer steuerlichen Schätzungist die größtmögliche Wahrscheinlichkeit der geschätzten Besteuerungsgrundlagen. Nach dem Amtsermittlungsgrundsatz (§ 88 AO) muss das Finanzamt dabei sowohl steuererhöhende wie steuersenkende Umstände berücksichtigen. Wenn die Umsatzerhöhung ohne zusätzlichen Wareneinkauf oder zusätzliche Löhne nicht wahrscheinlich ist, müssen diese als zusätzliche Betriebsausgaben ebenfalls geschätzt werden.
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Allerdings reduziert sich der zu erreichende Wahrscheinlichkeitsmaßstab umso mehr, als die Unaufklärbarkeit des Sachverhaltes auf Verletzung der Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen zurückzuführen ist. Je stärker die Mitwirkungspflichtverletzung, desto geringer sind die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schätzungsergebnisses.[81] Das führt jedoch niemals zu einer völligen Umkehr der Beweislast, sondern nur zu Beweismaßerleichterungen für die Finanzverwaltung.[82]
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Schätzungen sind auch im Strafrechtzulässig, wenn sich der Sachverhalt nicht anders ermitteln lässt. Grundsätzlich gibt es strafrechtlich keine anderen Schätzungsmethoden wie im Steuerrecht. Bei der strafrechtlichen Schätzung müssen jedoch die andersgearteten strafrechtlichen Verfahrensgrundsätze beachtet werden, so dass der Strafrichter die Schätzung des Finanzamtes nur nach sorgfältiger Prüfung der Einhaltung dieser strafrechtlichen Grundprinzipien übernehmen darf.
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