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Gruppenanfragenbeziehen sich nicht mehr nur auf einen konkreten Einzelfall, der mit vielen Details individualisiert werden muss. Es können auch Anfragen bezüglich ganzer Gruppen von Steuerpflichtigen an den anderen Staat gerichtet werden, die dieser bei Vorliegen aller Voraussetzungen beantworten muss.
Beispiel:
Die Bundesrepublik Deutschland bittet die Schweiz um Auskunft, welche deutschen Kapitalanleger mit einem Konto in der Schweiz seit dem 1.1.2013 ihr Konto aufgelöst und das Kapital bar ausgezahlt bekommen haben.
Die Schweizer Behörden können nach Prüfung der Voraussetzungen der Gruppenanfragen die erforderlichen Ermittlungen aufnehmen, in dem sie die in der Schweiz ansässigen Banken befragen. Die Ergebnisse der Ermittlungen werden dann an die deutschen Behörden weitergeleitet.
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Deutsche Erfahrungen mit Gruppenanfragen gibt es bislang nicht.[47] Bekannt geworden sind aber durchaus Gruppenanfragen anderer Staaten, die ausreichend beantwortet wurden.
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Das Verbot der Ermittlungen ins Blaue hinein, der sog. fishing expedition, gilt auch für Gruppenanfragen. Es ist zwar einer Gruppenanfrage systemimmanent, dass die einzelnen Mitglieder der Gruppe im Regelfall nicht individualisiert benannt werden können (sonst könnte eine Einzelanfrage gestellt werden). Um jedoch eine unzulässige fishing expedition zu vermeiden, müssen die Mitglieder der Gruppe hinreichend eingegrenzt werden. Das kann nicht nur mittels eines einzigen Merkmals geschehen, weil dadurch meist noch keine hinreichende Eingrenzung ermöglicht wird.
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Das würde für die Bestimmung der Gruppenmitglieder im obigen Beispiel bedeuten, dass weitere Eingrenzungsmerkmale gefunden werden müssen, um die Gruppe ausreichend genau zu definieren. Es kommen beispielsweise Betragsgrenzen (ab einem Kapital von 1 Mio. EUR oder sogar höher) und Zeitgrenzen (Zeitraum von … bis …) in Betracht. Je mehr sinnvolle Eingrenzungen für das dadurch präzisierte steuerliche Risiko gefunden werden können, desto weniger wird man eine fishing expedition annehmen können.
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Eine weitere offene Fragestellung ist die nach der zeitlichen Grenze für Gruppenanfragen. Man könnte davon ausgehen, dass Gruppenanfragen erst für Zeiträume nach der Umsetzung der Kommentaränderung in nationales Recht zulässig sein werden. Damit könnten im Verhältnis zur Schweiz (Umsetzung ab 1.8.2014) und Österreich (Umsetzung ab 13.6.2014) die hoch interessanten Zeiträume ab 2012 außer Reichweite sein. In Liechtenstein fand die Umsetzung in nationales Recht dagegen bereits zum 1.1.2009 statt, allerdings nur im Verhältnis zu den USA. Das erklärt die hohe dreistellige Anzahl von Gruppenanfragen (aus den USA), von denen mehrere hundert bereits erledigt sein sollen.
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Ungeachtet dieser zeitlichen Grenze wird jedoch auch die Auffassung vertreten, dass mit Gruppenanfragen auch Unterlagen aus der Zeit vor Inkrafttreten der jeweiligen nationalen Regelungen abgefragt werden können, wenn es sich um Unterlagen mit Dauerwirkungwie etwa Kontoeröffnungsunterlagen handelt und das Konto nach Inkrafttreten der nationalen Regelung noch Bestand hatte. Die bei der Kontoeröffnung gemachten Angaben wirken ja während der Dauer des Bestehens des Kontos noch fort. Es ist also davon auszugehen, dass so mancher sichere Hafen nicht mehr ganz so sicher ist.
d) Amtshilfe aufgrund bilateraler Abkommen außerhalb von DBA (TIEA)
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Eine verhältnismäßige neue Entwicklung sind die von Deutschland mit mittlerweile über 20 Staaten und Territorien abgeschlossenen Auskunftsverträge „Tax Information Exchange Agreements (TIEA)“[48], die sowohl steuerliche wie strafrechtliche Auskunftsersuchen erlauben. Weitere Abkommen sind in Planung oder werden derzeit ausgehandelt. Inhalt und Aufbau dieser bilateralen Vereinbarungen folgen dem Muster der OECD für den Informationsaustausch in Steuersachen aus dem Jahr 2002.
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In den TIEA ist mit den meisten Staaten vereinbart, dass die Rechtshilfe (s.u. sogar rückwirkend) in Steuerstrafverfahren für Zeiträume vor Abschluss der Vereinbarung gewährt werden muss.[49] Für Zwecke des Besteuerungsverfahrens können Auskünfte dagegen regelmäßig erst für Zeiträume ab Inkrafttreten des jeweiligen TIEA begehrt werden.
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Die TIEA treten neben die anderen vorhandenen Instrumente der Amts- und Rechtshilfe, so dass die Ermittlungsbehörde ein Auswahlermessen hat, welchen Ermittlungsweg sie beschreiten will.
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Die Reichweite der TIEAgeht von Auskünften im Bereich der Ertragssteuern (ESt, KSt, GewSt), der Vermögenssteuer, der Erbschaftsteuer, der Umsatzsteuer[50] bis hin zur Versicherungssteuer.[51] Angefragt und ausgetauscht werden können steuerlich voraussichtlich erhebliche Informationen zu den o.g. Steuerarten.
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Der Weg der Auskünfteist nach den meisten Abkommen ein schriftlicher Auskunftsverkehr auf amtlichem Vordruck über das BZSt. Allerdings sehen diese Abkommen für den steuerlichen Bereich auch die Einreise von ausländischen Beamten sowie deren Anwesenheit bei den inländischen Ermittlungsmaßnahmen vor.[52] Voraussetzungen dafür ist allerdings die Genehmigung durch das BZSt in Absprache mit der obersten Landesfinanzbehörde, die Zustimmung des inländischen Beteiligten sowie die ständige Anwesenheit inländischer Beamter während der Dauer der Befragung des inländischen Beteiligten und der Einsichtnahme in Unterlagen durch den ausländischen Beamten. Der entsandte Beamte hat im anderen Vertragsstaat keine eigenen Befugnisse.
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Besonderheit:
Ein Ersuchen nach TIEA im Strafverfahrenist möglich und geht dann über das Bundesamt für Justiz (BfJ) in den ersuchten Staat. Die Ersuchen werden in Verfahren, die von der Finanzverwaltung (BuStra) selbst geführt werden, direkt von der BuStra dem BfJ zugeleitet, ohne dass eine Staatsanwaltschaft eingebunden sein muss. Im Steuerstrafverfahren sind jedoch nur schriftliche Auskünfte möglich.
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Die TIEAs bieten im Strafverfahren auch nur eine Informationsrechtshilfe. Um die Durchführung strafprozessualer Maßnahmen kann nicht gebeten werden. Wie sich allerdings der ersuchte Staat die erbetenen Informationen beschafft, richtet sich ausschließlich nach seinem nationalen Recht, so dass im Einzelfall aber durchaus auch Zwangsmaßnahmen aufgrund eines TIEA-Auskunftsersuchens angestoßen werden können.
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Hinweis:
Keine Sperre des Amtshilfewegs durch die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens.Im Strafverfahren ist zwar grundsätzlich stets der Rechtshilfeweg zu beschreiten; das gilt auch für strafrechtliche Ersuchen nach einem TIEA. Dienen aber die ersuchten Informationen der Förderung des Besteuerungsverfahrens, können sie selbst nach Einleitung eines Steuerstrafverfahrens im Wege eines steuerlichen Amtshilfeersuchens angefordert werden. Der Amtshilfeweg wird aber dann verschlossen, wenn die ersuchten Auskünfte objektiv der Verfolgung einer Steuerstraftat dienen sollen. Die Abgrenzung mag im Einzelfall schwierig sein.
e) Amtshilfe im vertragslosen Bereich
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Auch zwischen Staaten, die kein Doppelbesteuerungsabkommen und keinen Auskunftsvertrag angeschlossen haben, ist der Informationsaustausch auf Anfrage im Einzelfall möglich.[53] Allerdings besteht in diesen Fällen kein völkerrechtlicher Anspruch gegen diese Staaten auf Erteilung von Auskünften.
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Umgekehrt kann auch Deutschland solchen Staaten Auskunft geben, wenn die Voraussetzungen des § 117 Abs. 3 AO erfüllt sind.
f) Rechtshilfe im Einzelfall
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Rechtshilfe ist jede Unterstützung, die für ein Verfahren in einer strafrechtlichen Angelegenheit (§ 1 Abs. 2 IRG) in einem anderen Staat gewährt wird, unabhängig davon, ob das Verfahren von einem Gericht oder anderen Behörde betrieben wird.[54] Im eingeleiteten Strafverfahren kann die Steuerfahndung sowohl polizeiliche Rechtshilfe nach der Schwedischen Initiative (s.u. Rn. 150 ff.) und/oder justizielle Rechtshilfe nach dem Gesetz über die internationale Rechtshilfe beanspruchen.
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