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Da Steuerstrafrecht Annex zum Steuerrecht ist, kommt der Praxis der Steuerrechtsordnungbesondere Bedeutung zu. Die methodengerechte Rechtsanwendung im Steuerstrafrecht verlangt deshalb vom Rechtsanwender, auch die Judikate der fachgerichtlichen Rspr. der Finanzgerichtsbarkeitargumentativ zu berücksichtigen[61] (wenn auch nicht notwendig zu befolgen; zur fehlenden Bindungswirkung von Entscheidungen der Finanzgerichtsbarkeit s. Vor § 369 Rn. 25 ff.). Aus der höchstrichterlichen Rspr. im Steuerstrafrecht ist zudem die Judikatur des 1. Strafsenats des BGHzu beachten, der eine Sonderzuständigkeit für Revisionen in Steuer- und Zollstrafsachen hat.[62]
aa) Geltungsvoraussetzungen
(1) Zeitliche Geltung, § 2 StGB
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Die zeitliche Geltung der Steuerstrafgesetzefolgt den allg. Regelndes § 2 StGB,[63] bemisst sich also nach dem zur Tatzeit geltenden Gesetz( § 369 Abs. 2i.V.m. § 2 Abs. 1 StGB, Rn. 28 f.). Es gilt der in § 1 StGB und Art. 103 Abs. 3 GG niedergelegte Satz, dass eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde ( Rückwirkungsverbot, Details s. Vor § 369 Rn. 57 ff.).
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Tatzeitist der Zeitpunkt der Vornahme der Handlung (Tun) oder des Handelnmüssens (Unterlassen) ( § 369 Abs. 2i.V.m. § 8 S. 1 StGB).[64] Gesetzist das Steuerstrafgesetz samt ausfüllendem Steuergesetz.
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Für Änderungen gelten folgende Grundsätze: Ändert sich das Steuerstrafgesetz(Ausnahme: Zeitgesetz[65]) in der Phase zwischen Tatbegehung und gerichtlicher Entscheidung (auch im Revisionsverfahren[66]), ist das mildeste Gesetz anzuwenden( § 369 Abs. 2i.V.m. § 2 Abs. 3 StGB; Prinzip der Meistbegünstigung).[67] Warum die Veränderung erfolgte, ob wegen veränderter Rechtsauffassung[68] oder wegen Wandels der Verhältnisse, ist unerheblich.[69]
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Das mildeste Gesetz ist auf Grundlage aller einschlägigen Sanktionsnachteilefür den konkreten Einzelfallund mit dem Ziel der für den Täter mildesten Beurteilungzu bestimmen.[70] Es gelten folgende Leitlinien: Straflosigkeit ist milder als Verurteilung, Ordnungswidrigkeitenhaftung ist milder als Strafhaftung, die Möglichkeit einer Geldstrafe ist milder als die Androhung einer Freiheitsstrafe; regelmäßig milder ist auch der Wegfall eines besonders schweren Falls oder die Einführung einer Strafmilderungsmöglichkeit.
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Ergibt der Vergleich der Strafarten kein eindeutiges Ergebnis, ist eine Prognose der Straferwartung unter Einbeziehung aller gesetzlichen Strafschärfungs- und Strafmilderungsgründeanzustellen, ggf. auch einschließlich von Nebenstrafen und Nebenfolgen.[71]
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Bei Änderungen der Steuergesetze, die durch das Steuerstrafgesetz in Bezug genommen werden und diese inhaltlich ausfüllen, gilt nach herrschender Meinung Entsprechendes.[72] In der die frühere Rspr. von RG und BGH nicht weiterführenden Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1965[73] heißt es, dass die Unterscheidung zwischen Änderungen der Steuerstrafgesetze einerseits und Steuergesetzen andererseits „formal und willkürlich vom Zufall der Gesetzestechnik“ abhängig sei und damit „notwendig zu unbilligen Ergebnissen“ führe. Mit dem Wechsel der Ausfüllungsnorm ändere sich auch „ein wesentliches Element des Strafgesetzes selbst“.[74]
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Besondere Fragen stellen sich, wenn Gesetze aus dem Bereich des Steuerwesens, Steuerstrafgesetze wie Steuergesetze, einer verfassungsgerichtlichen Prüfungunterzogen werden und dieser mitunter nicht standhalten (zu den Folgen der Nichtigerklärung bzw. [befristeten] Weitergeltungsanordnung von materiell verfassungswidrigen Gesetzen durch das BVerfG s. Vor § 369 Rn. 18 ff.).
(2) Räumliche Geltung, §§ 3 ff. StGB
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Die räumliche Geltung der Steuerstrafgesetzebemisst sich im Grundsatz nach den allg. Regeln( § 369 Abs. 2i.V.m. §§ 3 ff. StGB).[75] Das Steuerstrafrecht gilt danach für Taten, deren Tatort im Inlandliegt, unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Täter ( § 369 Abs. 2i.V.m. § 3 StGB) (zur reinen Auslandstat s. Rn. 37). Die örtliche Zuständigkeit im gerichtlichen Verfahren bestimmt sich nach § 391.
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Tatortder Begehung einer Tat ist zum einen der Ort der Vornahme der Handlung(Tun) oder des Handelnmüssens(Unterlassen) des Tätersoder zum anderen der Ort, an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten istoder hätte eintreten sollen( § 369 Abs. 2i.V.m. § 9 Abs. 1 StGB).
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Bei Teilnehmernist nicht nur der Ort der Teilnahmehandlung, sondern auch der Ort der Haupttat Tatortim Sinne der Norm ( § 369 Abs. 2i.V.m. § 9 Abs. 2 StGB).
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Ausnahmsweisesind bei der Steuerhinterziehung auch reine Auslandstatenerfasst ( § 370 Abs. 7), deren Regelung dem allg. Strafrecht vorgeht ( § 369 Abs. 2Hs. 2; s. auch Rn. 115). Allerdings ist bei Auslandstaten auch der Verfolgungszwang eingeschränkt ( § 385 Abs. 1i.V.m. § 153c StPO).
bb) Tatbestandsvoraussetzungen
(1) Täterschaft und Teilnahme
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Hinsichtlich Täterschaft und Teilnahme gelten die allg. Regeln( § 369 Abs. 2i.V.m. §§ 25 ff. StGB; s. etwa § 370 Rn. 14 ff., 22 ff.).
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(a) Täterschaft, § 25 StGB : Unmittelbarer Täterist, wer die Tat „selbst begeht“(§ 25 Abs. 1 Alt. 1 StGB), also den gesetzlichen Tatbestand verwirklicht (s. auch Rn. 41 ff.). Dies ist nach Ansicht der Rspr. anhand einer wertenden Beurteilung aller Umständezu ermitteln, wobei als entscheidungsrelevante Umständeneben dem in der Literatur vertretenen Kriterium der Tatherrschaftauch der Wille zur Tatherrschaft, die Beteiligung am Tatgeschehenund das Interesse am Taterfolgin Betracht zu ziehen sind.[76]
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Bei gemeinsamer Tatausführung auf Grundlage eines gemeinsamen Tatplans ( Mittäterschaft) können gem. § 25 Abs. 2 StGB objektive Tatbeiträge der beteiligten Mittäter wechselseitig zugerechnet werden; die subjektiven Voraussetzungen müssen dagegen durch jeden Mittäter selbst erfüllt werden.
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Der Täterkreiskann dabei aber je nach gesetzlicher Fassung der Steuerstraftat variieren. So ist die Steuerhinterziehung in der Handlungsvariantevon § 370 Abs. 1 Nr. 1kein Sonderdelikt, weshalb Täternicht nur der Steuerschuldnersein kann, sondern auch andere Personen wie die Hilfspersonen des Steuerschuldners(Angestellte, gesetzliche Vertreter, steuerliche Berater etc.), wenn sie die Festsetzung, Erhebung oder Durchsetzung des Steueranspruchs nachteilig beeinträchtigen.[77] Alle diese Personen müssen gleichwohl die an (Mit-) Täterschaft zu setzenden allg. Anforderungen( Rn. 40) erfüllen.[78]
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Die Steuerhinterziehung in der Unterlassensvariantevon § 370 Abs. 1 Nr. 2ist dagegen durch ihre Bezugnahme auf die Verletzung steuerlicher Pflichten nach allgemeiner Meinung ein Sonderdelikt, wodurch nur diejenigen Täter sein können, die eine konkrete Steuererklärungspflicht trifft[79] (Details s. § 370 Rn. 104 ff.). Zu diesen Pflichten gehören etwa die Anzeigepflichten zur steuerlichen Erfassunggem. §§ 137 ff.,[80] aber auch die nachträglich entstehende Anzeige- und Berichtigungspflichtgem. § 153.[81] Eine eigene Steuererklärungspflichtals Verfügungsberechtigter i.S.v. § 35 soll auch der „steuernd(e) Hintermann“ haben, der im Rechtsverkehr „weisungsabhängige ‚Strohleute‚“ für sich auftreten lässt.[82]
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