11
Es muss sich zudem um eine strafbare Tateines Steuergesetzes handeln. Dies hat zur Folge, dass aus dem Kreis der Steuerstraftaten im Sinne der AO solche Taten auszuscheiden sind, die nicht mit Freiheits- oder Geldstrafe (§§ 38 ff. StGB) geahndet werden wie bspw. Steuerordnungswidrigkeiten gem. § 377 Abs. 1(Details s. § 377 Rn. 1 ff.).
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Zu den Steuerstraftatenaus der Abgabenordnunggehören etwa:[26]
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die Steuerhinterziehunggem. § 370inklusive Versuch ( § 370 Abs. 2) und der Qualifikation des Schmuggels ( § 373) sowie bezugnehmenden Vorschriften aus anderen Steuergesetzen ( Rn. 14 f.); |
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der Bannbruchgem. § 372(s. auch § 369 Abs. 1 Nr. 2[Rn. 18 f.]; s. auch § 372 Rn. 1 ff.); |
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die Steuerhehlereigem. § 374(Details s. § 374 Rn. 1 ff.). |
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Zu den Steuerstraftaten aus anderen Steuergesetzengehören z.B.
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die gewerbs- oder bandenmäßige Schädigung des Umsatzsteueraufkommens(§ 26c UStG);[27] |
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der Vertrieb unversteuerter ausländischer Loseim Inland (§ 23 RennwettLottG).[28] |
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Weitere Steuerstraftaten können sich kraft gesetzlicher Verweisungergeben, deren genauer Umfang im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln ist.[29] Als Steuerstraftaten kraft gesetzlicher Verweisung werden etwa anerkannt:
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das unberechtigte Erlangen von Altersvorsorgezulagen(§ 96 Abs. 7 EStG);[30] |
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das unberechtigte Erlangen von Arbeitnehmersparzulagen(§ 14 Abs. 3 des 5. VermBG);[31] |
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das unberechtigte Erlangen von Wohnungsbauprämien(§ 8 Abs. 2 Wohnungsbau-Prämiengesetz);[32] |
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das unberechtigte Erlangen von EU-Marktordnungsabgaben(§ 12 Marktordnungsgesetz).[33] |
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Keine Steuerstraftatenkraft gesetzlicher Verweisung sind:
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das unberechtigte Erlangen von Eigenheimzulagen(e contr. § 15 Abs. 1 S. 1 EigZulG)[34] (ggf. strafbar gem. § 263 StGB);[35] |
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das unberechtigte Erlangen von Investitionszulagennach dem InvZulG (§ 15 InvZulG 2010)[36] (ggf. strafbar gem. §§ 263, 264 StGB[37]). |
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Trotz sachlicher Nähe zum Steuerrecht keine Steuerstraftaten(mit der prozessualen Folge der Zuständigkeit der StA) sind:
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die Verletzung des Steuergeheimnisses(§ 30) gem. § 355 StGB (s. auch Rn. 2);[38] |
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die Verletzung von Privatgeheimnissendurch Geheimnisträger in Rechts- und Wirtschaftsangelegenheiten gem. § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB;[39] |
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die Abgabenüberhebunggem. § 353 StGB; |
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die Strafvereitelunggem. §§ 258, 258a StGB, selbst wenn es um die Vereitelung eines Bestrafung wegen § 370geht[40] (s. auch Rn. 21); |
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die Geldwäschegem. § 261 StGB, selbst wenn sie taugliche Anschlusstat einer Steuerhinterziehung ist[41] (s. auch Rn. 21). |
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Auch keine Steuerstraftatensind Zuwiderhandlungen, die nach den Steuergesetzen mit Geldbuße geahndet werden ( Steuerordnungswidrigkeiten, §§ 377 ff.; Details s. dort).[42]
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Nr. 2 verweist auf den Bannbruch ( § 372), der als Blankettvorschrift Verstöße gegen Einfuhr-, Durchfuhr- oder Ausfuhrverbotesanktioniert[43] und damit eigentlich nicht im engeren Sinne mit dem Schutz des Steueraufkommens zu tun hat. So hat sich nach dem Wegfall der Monopolgesetze[44] (Branntwein, Zündhölzer) der Kreis der in Bezug genommenen Verbringungsverbote aus steuerlichen Normenverringert. Größere Bedeutung als Quelle für Verbringungsverbote haben außersteuerliche Normen: zum einen Gesetze wie z.B. AMG, BtMG, WaffenG, zum anderen auch Verordnungen i.S.v. Art. 80 GG oder Art. 288 Abs. 2 AEUV (Einzelheiten s. § 372 Rn. 14 ff.).[45]
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Der Bannbruch ist allerdings dann keine Steuerstraftat, wenn er nur mit Geldbuße bedroht ist, also eine Ordnungswidrigkeitdarstellt[46] und keine Sonderzuständigkeit der FinB in Frage kommt.[47]
c) Wertzeichenfälschung von Steuerzeichen (Nr. 3)
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Nr. 3 verweist auf die früher in der AO (§ 399 RAO 1969 a.F.)[48] und heute im StGB geregelte Fälschung von Steuerzeichen und deren Vorbereitungals Teil der Wertzeichenfälschung gem. §§ 148 , 149 StGB. Praktische Bedeutung erhält die Steuerzeichenfälschunginsb. für die Einfuhr von Billigzigaretten mit gefälschten Tabaksteuerbanderolen (§ 17 TabStG, § 3 TabStV).[49]
d) Begünstigung einer Steuerstraftat gem. Nr. 1–3 (Nr. 4)
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Nr. 4 erfasst die Begünstigung nach § 257 StGB, soweit die Vortat eine Steuerstraftat i.S.v. Abs. 1 Nr. 1–3ist.[50] Der Begriff der Begünstigung ist heute auf die sachliche Begünstigung nach § 257 StGB beschränkt[51]; die von früheren Gesetzesfassungen zusätzlich erfasste persönliche Begünstigung ist seit 1975 als Strafvereitelung tatbestandlich verselbstständigt (§ 258 StGB) und daher nicht mehr umfasst.[52] Ebenfalls nicht erfasst sind sonstige tatbestandlich verselbstständigte Begünstigungshandlungen wie etwa die Geldwäsche § 261 StGB. Sie ist auch dann keine Steuerstraftat, wenn sie Anschlusstat einer gewerbsmäßigen oder bandenmäßigen Steuerhinterziehung ist (§ 261 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 Bst. b StGB).[53]
2. Abs. 2: Anwendung der allgemeinen Gesetze über das Strafrecht
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Nach Abs. 2gelten auch im Steuerstrafrecht die allg. Gesetze über das Strafrecht(Hs. 1, Rn. 24 ff.), solange die Strafvorschriften der Steuergesetze nichts anderes bestimmen (Hs. 2, zu den Besonderheiten des Steuerstrafrechts s. Rn. 114 ff.).[54] Die Entscheidung hierüber ist eine Frage der Auslegung durch das Strafgericht(zur materiellen Entscheidungsverantwortung des Strafgerichts s. Vor § 369 Rn. 35 ff.).[55] Zu den aus dem Gesetzlichkeitsprinzip nach § 1 StGB und Art. 103 GG folgenden Prinzipien s. Vor § 369 Rn. 10 ff.
a) Steuerstrafrecht und allgemeines Strafrecht ( Abs. 2Hs. 1)
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Zu den allgemeinen Strafgesetzen gehört nicht nur das Strafgesetzbuchals Kernkodifikation, sondern auch strafrechtliche Nebengesetzewie etwa das JGG(für jugendliche oder heranwachsende Täter[56]) oder das Wehrstrafgesetz(für militärangehörige Täter).[57]
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Erfasst sind dabei die Strafgesetze in ihrer Anwendungspraxis(Rechtsprechung, s. auch Rn. 26), ihrer wissenschaftlichen Doktrin(Wissenschaft, s. auch Rn. 25) und ihrer Methodenlehre(zur Rechtsanwendung im Steuerstrafrecht s. Vor 369 Rn. 36 ff.).[58]
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Da Steuerstrafrecht Strafrecht ist, folgt die steuerstrafrechtliche Dogmatikin Begriffs- und Systembildung den Lehren und Postulaten der allg. Strafrechtsdogmatik. Dies hat etwa zur Folge, dass die Zentralnorm des materiellen Steuerstrafrechts, die Steuerhinterziehung gem. § 370, nach dem traditionellen dreistufigen Deliktsaufbauzu prüfen ist und entsprechend für eine Strafbarkeit eine tatbestandsgemäße, rechtswidrige und schuldhaft begangene Handlung voraussetzt.[59] Das System der allg. Strafrechtsdogmatik ist freilich nicht statisch, sondern ein bewegliches System, dessen Regeln stetig auf Sachgerechtigkeit überprüft werden müssen und ggf. fortgeschrieben werden müssen.[60] Umgekehrt können auch Entwicklungen im Steuerrecht Auswirkungen auf das Strafrecht haben, wie die Debatte über die Beilhilfestrafbarkeit neutraler Handlungen zeigt ( Rn. 47).
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