4. Auslieferung wegen fiskalischer Delikte
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Einige Besonderheiten gelten gerade im Hinblick auf fiskalische Delikte. Zunächst gilt der Grundsatz, dass in Abgaben-, Steuer-, Zoll- und Devisenstrafsachendie Auslieferung nur bewilligt wird, wenn dies zwischen den betreffenden Staaten für einzelne oder Gruppen von strafbaren Handlungen dieser Art vereinbart worden ist (Art. 5 EuAlÜbk). Hierzu statuiert das Zweite Zusatzprotokoll vom 17.3.1978 (2. ZP-EuAlÜbk)[11] eine Rückausnahme und begründet eine Auslieferungspflicht auch in Fiskalsachen (Art. 2 Abs. 1), auch wenn es an einer gegenseitigen Strafbarkeit fehlt (Art. 2 Abs. 2).
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Auch das EU-Recht bestimmt ausdrücklich die Auslieferungsfähigkeit von Fiskalstraftaten, sofern diese im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von mindestens zwölf Monaten bedroht sind (Art. 2 Abs. 2, Art. 4 Abs. 2 Nr. 1 RbEuHb). Im Rahmen des Schengen-Besitzstandes sind die Vertragsstaaten bei Straftaten im Bereich indirekter Steuern zur Auslieferung verpflichtet (Art. 63 i.V.m. Art. 50 Abs. 1 SDÜ). Schließlich ist die Auslieferung in Abgaben-, Steuer-, Zoll- und Devisenstrafsachen grundsätzlich auch wegen Handlungen zu bewilligen, die nach dem Recht des ersuchten Mitgliedstaats einer strafbaren Handlung derselben Art entsprechen (Art. 6 Abs. 1 EUAuslÜbk) und darf nicht wegen Unterschieden in den Abgaben-, Steuer-, Zoll- und Devisenbestimmungen abgelehnt werden (Art. 6 Abs. 3 EUAuslÜbk).
[1]
Sieber/Satzger/v. Heintschel-Heinegg/ Lagodny § 31 Rn. 9.
[2]
V. 13.12.1957, ETS Nr. 24; BGBl II 1964, 1369; 1976, 1778; I 1982, 2071; II 1994, 299.
[3]
V. 15.10.1975 und v. 17.3.1978, ETS Nr. 86 (von der BRD nicht ratifiziert) und ETS Nr. 98; BGBl II 1990, 118; 1991, 874.
[4]
ABlEG Nr. C 313/11 v. 23.10.1996; vgl. das dt. Zustimmungsgesetz v. 27.9.1998 (BGBl II 1998, 2253).
[5]
ABlEG Nr. C 78/2 v. 30.3.1995; vgl. das dt. Zustimmungsgesetz v. 7.9.1998 (BGBl II 1998, 2229, 2253; 1999, 357).
[6]
Vgl. Schomburg/ Lagodny § 3 IRG Rn. 2 ff.
[7]
BGBl II 1998, 2327.
[8]
Sieber/Satzger/v. Heintschel-Heinegg /Lagodny § 31 Rn. 33.
[9]
BGH NStZ-RR 2010, 177.
[10]
Ambos § 12 Rn. 24.
[11]
BGBl II, 1990, 118; 1991, II 1991, 874.
6. Kapitel Europarechtliche Verfahrensvorschriften› C. Verfahren der europäischen Zusammenarbeit in Strafsachen› II. Gemeinsame Ermittlungsgruppen (GEG)
II. Gemeinsame Ermittlungsgruppen (GEG)
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Die Zusammenarbeit von zwei oder mehr Mitgliedstaaten in GEG kann sowohl auf Art. 13 EU-RhÜbk[1] – auf nationaler Ebene umgesetzt durch § 93 IRG – als auch auf einen gesonderten Rahmenbeschluss[2] gestützt werden. GEG können für einen bestimmten Zweck und für einen begrenzten Zeitraumeingerichtet werden (Art. 13 Abs. 1 EU-RhÜbk). Dies kann insb. – wenn auch nicht ausschließlich – für Ermittlungsverfahren geschehen, die entweder besonders komplex sind oder einen besonderen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen (Art. 13 Abs. 1 lit. a und b EU-RhÜbk). Folglich unterscheiden sich in der Praxis die GEG regelmäßig in Größe, Dauer und in Abhängigkeit von den maßgeblichen nationalen Vorschriften. Der Einsatz von GEG beschränkt sich regelmäßig auf Formen schwerer Kriminalität, sie werden teilweise aber auch in weniger umfangreichen Kriminalfällen erfolgreich eingesetzt.
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Die Einrichtung einer GEG erfordert zunächst den Abschluss einer zwischenstaatlichen Vereinbarung.[3] Ersucht ein Mitgliedstaat um die Bildung einer GEG, ist dies einem Ersuchen um Rechtshilfe gleichzusetzen.[4] Seit 2010 steht hierfür eine Modell-Vereinbarung zur Verfügung, wonach u.a. die beteiligten Mitgliedstaaten, der Zweck der GEG, der Zeitraum sowie die Zusammensetzung zu benennen sind.[5] Grundsätzlich wird die GEG von einem Vertreter der an den strafrechtlichen Ermittlungen beteiligten zuständigen Behörde des Mitgliedstaats, in dem der Einsatz der Gruppe erfolgt, geleitet (Art. 13 Abs. 3 lit. a EU-RhÜbk). Die Befugnisse des Gruppenleiters richten sich nach dem jeweiligen nationalen Recht, dem auch die für den konkreten Einsatz der GEG relevanten Rechtsvorschriften zu entnehmen sind (Art. 13 Abs. 1 lit. b EU-RhÜbk). Besondere Bedingungen können jedoch von den Entsendebehörden in der Vereinbarung zur Bildung der Gruppe festgelegt werden. Neben dem Gruppenleiter bestehen GEG regelmäßig aus den Teammitgliedern, abgeordneten Mitgliedern und sonstigen Teilnehmern. Die Teammitglieder rekrutieren sich aus Justiz-, Polizei- oder anderen Ermittlungs-Behörden der teilnehmenden Mitgliedstaaten. Abgeordnete Mitglieder stammen aus einem Mitgliedstaat, in welchem die GEG nicht tätig wird. Sonstige Teilnehmer repräsentieren keine Behörden aus Mitgliedstaaten sondern stammen z.B. aus Drittstaaten.
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Schließlich liegt es in der Verantwortung des Einsatzmitgliedstaats, die notwendigen Voraussetzungen für den Einsatz der GEG zu schaffen. Dazu gehört insb. auch ein Anwesenheitsrecht bei den Einsatzmaßnahmen.[6] Ersuchen der GEG um Ermittlungsmaßnahmen an einen teilnehmenden Mitgliedstaat sind von den zuständigen nationalen Behörden wie innerstaatliche Anfragen zu behandeln (Art. 13 Abs. 7 EU-RhÜbk). Auch haben die Mitglieder der GEG in gleichem Umfang Zugang zu Informationen aus den polizeilichen Informationssystemen wie Mitglieder nationaler Behörden.[7] Unterstützung von nicht an der GEG beteiligten Mitgliedstaaten sowie Drittstaaten kann im Wege der „klassischen“ Rechtshilfe erlangt werden (Art. 13 Abs. 8 EU-RhÜbk).
2. Beteiligung weiterer internationaler Organisationen
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Das Europol-Personalkann (anders als nach alter Rechtslage nicht mehr nur in unterstützender Funktion) an GEG mitwirken und Informationen mit allen Mitgliedern der GEG austauschen (Art. 5 Abs. 1 und 2 Europol-VO). Dazu gehören ausdrücklich auch solche Informationen, die aus den Informationsverarbeitungssystemen von Europol stammen, welche an die übrigen Mitglieder der GEG weitergegeben werden dürfen (Art. 5 Abs. 3 Europol-VO). Umgekehrt ist das Europol-Personal befugt, solche Informationen, die im Rahmen der Teilnahme an der GEG erlangt werden, in die Informationsverarbeitungssysteme einzugeben, sofern die Zustimmung des betreffenden Mitgliedstaates vorliegt (Art. 6 Abs. 4 Europol-VO).
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Die Anwendung von Zwangsmaßnahmen ist Europol jedoch ausdrücklich und generell – mithin nicht nur im Rahmen von GEG – untersagt (Art. 4 Abs. 5 Europol-VO). Nach der neuen Rechtslage beschränkt sich das Verbot somit nicht mehr auf eine „Teilnahme“ an Zwangsmaßnahmen. Da jedoch die nationalen Vorschriften nach wie vor die reine Anwesenheit von Europol-Bediensteten während der Durchführung von Zwangsmaßnahmen jedenfalls nicht ausdrücklich ausschließen (vgl. § 93 IRG), muss diese weiterhin als zulässig angesehen werden. Indes genießen Europol-Bedienstete während ihrer Tätigkeit im Rahmen von GEG keine Immunität.[8]
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Auch Eurojustals Kollegium kann – im Gegensatz zu Europol – die Mitgliedstaaten um die Einrichtung von GEG ersuchen (Art. 7 Abs. 1 lit. a Ziff. iv Eurojust-Beschluss). Bedienstete von Eurojust können nach Art. 13 Abs. 12 EU-RhÜbk an GEG teilnehmen (Art. 9f Eurojust-Beschluss). Die Institution spielt in diesem Zusammenhang aber auch deshalb eine besondere Rolle, weil Eurojust das Sekretariat des Netzes gemeinsamer Ermittlungsgruppen beherbergt (Art. 25a Abs. 2 Eurojust-Beschluss).
[1]
Rechtsakt des Rates vom 29.5.2000 über die Erstellung des Übereinkommens – gem. Art. 34 des Vertrags über die Europäische Union – über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (2000/C 197/01), ABlEU Nr. C 197/3 v. 12.7.2000.
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