69
Im Rahmen der Hauptverhandlung kann zudem die gem. § 172 Abs. 1 Nr. 2 GVG vorgesehene Möglichkeit des Ausschlusses der Öffentlichkeit in Betracht gezogen werden, um der Erörterung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen in der Öffentlichkeit entgegenzuwirken. Ein vom Gericht zu berücksichtigender Ausschlussgrund ist insbesondere dann gegeben, wenn für den Geheimnisgeschützten durch die öffentliche Verhandlung Nachteile entstehen würden, die durch den Zweck des Verfahrens nicht gerechtfertigt sind.[9]
d) Exkurs: Beschlagnahmeschutz bei internen Untersuchungen
70
Für Wirtschaftsstrafverfahren, insbesondere für die Verwertung von Ergebnissen unternehmensinterner Untersuchungen, sind die am 27.6.2018 ergangenen Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der Durchsuchung der Kanzleiräume einer US-amerikanischen Anwaltskanzlei im Zusammenhang mit dem sog. „Dieselskandal“ von besonderer Bedeutung.
71
Gegenstand der Verfassungsbeschwerden war die Durchsuchung der Anwaltskanzlei durch die Staatsanwaltschaft München II. Im Rahmen der Durchsuchung wurden umfangreiche Beweismittel sichergestellt, die dort im Rahmen einer internen Untersuchung angefallen waren. Sowohl die Volkswagen AG,[10] als auch die US-amerikanische Anwaltskanzlei[11] sowie drei beteiligte Rechtsanwälte[12] hatten gegen die Durchsuchungsbeschlüsse, die Beschlagnahme und die ablehnenden Rechtsmittelentscheidungen Verfassungsbeschwerde eingelegt. Die Verfassungsbeschwerden blieben indes erfolglos.
72
Im Rahmen seiner Entscheidung stellte das Bundesverfassungsgericht zunächst klar, dass der Beschlagnahmeschutz des § 97 StPO eine Spezialregelung darstelle, die das Beweiserhebungsverbot aus § 160a Abs. 1 S. 1 StPO grundsätzlich verdränge.[13] Dies habe zur Folge, dass Unterlagen nur dann nicht der Beschlagnahme unterliegen würden, wenn ein konkretes Mandat für die Vertretung eines Beschuldigten in einem Straf- oder Bußgeldverfahren erteilt worden sei. Ferner führte das Bundesverfassungsgericht aus, dass der Gesetzgeber mit § 160a StPO unter uneingeschränkter Beibehaltung der Sonderregelungen für Beschlagnahmeverbote des § 97 StPO eine Regelung für alle anderen Ermittlungsmaßnahmen habe schaffen wollen. Die Zulässigkeit von Beschlagnahmen bei Berufsgeheimnisträgern sei deshalb allein am Maßstab des § 97 StPO zu messen, und zwar auch dann, wenn dieser ein niedrigeres Schutzniveau als anderweitige Regelungen vorsehe.[14]
73
Folglich könnten bei Rechtsanwälten nach § 97 StPO zulässigerweise Beschlagnahmen durchgeführt werden, wenn kein Vertrauensverhältnis zu dem im konkreten Ermittlungsverfahren Beschuldigten bestehe.
74
Eine Ausdehnung des absoluten Schutzes des § 160a Abs. 1 S. 1 StPO auch auf sonstige anwaltliche Tätigkeiten sei verfassungsrechtlich nicht geboten. Allein die Stellung des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege und seine Teilnahme an der Verwirklichung des Rechtsstaates würden einen Verzicht auf Beschlagnahmen über den Anwendungsbereich von § 97 StPO hinaus nicht rechtfertigen.[15]
75
Damit hat das Bundesverfassungsgericht die Geltung des Beschlagnahmeschutzes für interne Untersuchungen weitestgehend geregelt. Es besteht danach kein Beschlagnahmeschutz für Unterlagen unternehmensinterner Untersuchungen, die von einer externen (ausländischen) Kanzlei durchgeführt werden, wenn nicht konkret gegen eine bestimmte Person ermittelt wird; bspw. vor dem Hintergrund des § 30 OWiG. Die Anwendung von § 97 StPO bei juristischen Personen setze zumindest einen hinreichenden Verdacht für eine durch eine konkrete Leistungsperson begangene Straftat oder Aufsichtspflichtverletzung i.S.v. § 130 OWiG voraus. Allein die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit eines Verstoßes einer Leistungsperson genüge hingegen nicht.[16] Die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts stehen damit den Bemühungen des Gesetzgebers, interne Untersuchungen als Teil von wirkungsvollen Compliance-Maßnahmen zu etablieren, diametral entgegen.
76
Überdies stellte das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit den Verfassungsbeschwerden der US-amerikanischen Anwaltskanzlei klar, dass sich ausländische juristische Personen nicht auf materielle Grundrechte berufen können, Art. 19 Abs. 3 GG.[17] Eine Ausnahme hiervon würde nur bei juristischen Personen mit Sitz innerhalb der Europäischen Union und einem hinreichenden Inlandsbezug bestehen. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Abschließend stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass auch die dort tätigen Rechtsanwälte keinen Grundrechtsschutz beanspruchen könnten; sie seien durch die Durchsuchung nicht in eigenen Grundrechten betroffen.[18] Auf der Grundlage dieser Entscheidungen ist davon auszugehen, dass die Beschlagnahme und Auswertung der Unterlagen der internen Untersuchung so lange zulässig ist, bis dem betroffenen Unternehmen eine beschuldigtenähnliche Stellung zukommt.[19] Wann dies jedoch der Fall ist, hat das Bundesverfassungsgericht nicht mitgeteilt.
[1]
Müller-Gugenberger/Bieneck/ Niemeyer § 14 Rn. 3 ff.
[2]
Zur Rolle des Sachverständigen im Strafprozess: Dahs Rn. 221.
[3]
BVerfGE 126, 170 = NJW 2010, 3209, 3214 f.
[4]
Wabnitz/Janovsky/ Möhrenschlager 26. Kap. Rn. 50.
[5]
Vgl. BAG 15.12.1987 – 3 AZR 474/86.
[6]
BT-Drucks. 14/1484; Götz § 10 S. 53.
[7]
Vgl. BVerfG NJW 2003, 501; Götz § 10 S. 53.
[8]
Götz § 10 S. 53.
[9]
Meyer-Goßner/ Schmitt § 172 GVG Rn. 9.
[10]
BVerfG 27.6.2018 – 2 BvR 1405/17 und 2 BvR 1780/17.
[11]
BVerfG 27.6.2018 – 2 BvR 1287/17 und 2 BvR 1583/17.
[12]
BVerfG 27.6.2018 – 2 BvR 1562/17.
[13]
BVerfG 27.6.2018 – 2 BvR 1405/17, Rn. 74.
[14]
BVerfG 27.6.2018 – 2 BvR 1405/17, Rn. 74.
[15]
BVerfG 27.6.2018 – 2 BvR 1405/17, Rn. 78.
[16]
BVerfG 27.6.2018 – 2 BvR 1405/17, Rn. 93.
[17]
BVerfG 27.6.2018 – 2 BvR 1287/17, Rn. 25 ff.
[18]
BVerfG 27.6.2018 – 2 BvR 1562/17, Rn. 36 ff.
[19]
Vgl. dazu u.a. Momsen NJW 2018, 2362 ff.; Graßie/Hieramente BB 2018, 2051 ff.
3. Kapitel Verfahren bei Wirtschaftsdelikten› IV. Besonderheiten in Wirtschaftsstrafverfahren› 3. Sonstige Besonderheiten
3. Sonstige Besonderheiten
77
Wirtschaftsstrafverfahren unterliegen stets einem besonderen medialen Interesse. Maßgeblich für die Zusammenarbeit zwischen den Ermittlungsbehörden mit der Presseund dem Rundfunk ist neben dem allgemeinen Informationsanspruch der Medien aus den jeweiligen Landespressegesetzen, insbesondere Nr. 23 RiStBV. Danach sind die Ermittlungsbehörden zwar gehalten, mit der Presse, dem Hörfunk und dem Fernsehen zusammenzuarbeiten. Diese Zusammenarbeit steht jedoch unter dem Vorbehalt, dass die Unterrichtung (seitens der Ermittlungsbehörden) nicht den Untersuchungszweckgefährden darf, noch darf sie dem Ergebnis der Hauptverhandlung vorgreifen. Ferner ist es den Behörden nicht gestattet, den Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren durch eine entsprechende Berichterstattung zu beeinträchtigen. Im Ergebnis haben die Behörden daher grds. alles zu tun, um eine unnötige Bloßstellung des Beschuldigtenzu vermeiden.
78
Für den hier tätigen Rechtsanwalt (Verteidiger) gilt – ungeachtet der Pflicht zur anwaltlichen Verschwiegenheit – das grds. zu beachtende Gebot der Sachlichkeitund das Verbot anreißerischer Selbstreklamegem. § 6 BORA.[2]
Читать дальше