VIII. Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft (§ 219a StGB)
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Die Strafnorm in § 219a Abs. 1 StGB zielt darauf ab, eine „bedenkenlose Propagierung und Kommerzialisierung“ von legalen und illegalen Schwangerschaftsabbrüchen zu verhindern.[314] Der Straftatbestand von § 219a StGB greift demzufolge im Vorbereitungsstadium von Schwangerschaftsabbrüchen.[315] Zu diesem Zweck bzw. zum Schutz des ungeborenen Lebens werden verschiedene abstrakte Gefährdungstatbestände gesetzgeberisch festgehalten.[316] Vorweg bleibt anzumerken, dass die kriminalpolitische Bedeutung dieser Strafnorm als äußerst gering eingeschätzt wird.[317]
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Als Tathandlung werden nach § 219a Abs. 1 StGB sowohl Dienste als auch Mittel, Gegenstände bzw. Verfahren, die zwecks Erzielung eines Vermögensvorteils oder in grob anstößiger Weise öffentlich angeboten, angekündigt, angepriesen oder bekanntgegeben werden, erfasst.[318] Demnach wird vorausgesetzt, dass die Werbehandlung öffentlich bzw. im Rahmen einer Versammlung oder durch das Verbreiten von Schriften erfolgt.[319] Als öffentlich ist jedes Handeln zu erachten, welches „von einem größeren, individuell nicht feststehenden oder jedenfalls durch persönliche Beziehungen nicht verbundenen Personenkreis wahrgenommen werden kann“, wie z.B. durch Zeitungsinserate oder Internetwerbung.[320] Das öffentliche Werbeverhalten erfordert, dass den Adressaten die Möglichkeit zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs zugänglich dargestellt wird.[321] Darüber hinaus muss gegenüber den Adressaten auf die Eignung der Mittel zum Schwangerschaftsabbruch hingewiesen werden, wobei dies auch in versteckter Form erfolgen kann.[322] Die angebotenen Mittel müssen jedoch in objektiver Hinsicht geeignet sein, einen Schwangerschaftsabbruch herbeizuführen, d.h. betrügerische Angebote fallen nicht unter den Straftatbestand von § 219a Abs. 1 StGB.[323] Im Zusammenhang mit § 219a Abs. 1 StGB gilt jede Handlung als grob anstößig, die in anreißerischer oder den Schwangerschaftsabbruch verherrlichender Weise geschieht, insbesondere das Werben für strafbare Schwangerschaftsabbrüche erfüllt die Voraussetzung der groben Anstößigkeit.[324] Widerhandlungen gegen § 219a Abs. 1 StGB werden mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
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In subjektiver Hinsicht erfordert die Strafnorm in § 219a Abs. 1 StGB Vorsatz, dolus eventualis reicht allerdings aus.[325] Hinsichtlich der Erzielung eines Vermögensvorteils muss der Täter mit Absicht (dolus directus 1. Grades) handeln, wobei die Anforderungen an die Bereicherungsabsicht beim Betrug (§ 263 StGB) maßgebend sind.[326]
1. Strafbare Handlungen (Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2)
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Als Dienste im Sinne von § 219a Abs. 1 Nr. 1 StGB werden sowohl eigene als auch fremde Dienste erfasst, die der Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs dienen.[327] Dabei ist unerheblich, ob die Dienste im Rahmen eines legalen oder illegalen Schwangerschaftsabbruchs angeboten werden.[328] Unter die Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs wird nebst der eigenhändigen Durchführung auch irgendeine anderweitige Mitwirkung subsumiert.[329] Als Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs gilt dagegen jedes positive Hinwirken auf dessen Zustandekommen.[330] Strafrechtlich erfasst werden allerdings nur abortiv wirkende Dienste, dagegen sind nidationshemmende, wie z.B. die Abgabe der Anti-Baby-Pille, zulässig.[331]
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Chemische oder mechanisch wirkendende Instrumente oder anderweitige Methoden zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs werden als geeignete Mittel, Gegenstände oder Verfahren im Sinne von § 219a Abs. 1 Nr. 2 StGB verstanden.[332] Es genügt, dass die Mittel zum Abbruch einer Schwangerschaft geeignet sind, nicht erforderlich ist dagegen, dass sich deren Zweckbestimmung auf Schwangerschaftsabbrüche bezieht.[333] Allerdings werden nidationshemmende Mittel (Empfängnisverhütungsmittel) nicht von § 219a Abs. 1 Nr. 2 StGB erfasst.[334]
2. Ausschluss der Strafbarkeit (Abs. 2 und 3)
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§ 219a Abs. 2 und 3 StGB stellen Ausnahmen vom Straftatbestand nach § 219a Abs. 1 StGB dar.[335] Es handelt sich dabei nicht um Rechtfertigungsgründe, sondern um tatbestandliche Ausschlüsse.[336] Gemäss § 219a Abs. 2 StGB wird eine abstrakte Gefahr im Sinne von § 219a Abs. 1 StGB nicht angenommen, wenn die Tathandlung gegenüber einem Personenkreis erfolgt, der sich berufsmäßig mit straflosen Schwangerschaftsabbrüchen im Sinne von § 218a Abs. 1–3 StGB auseinanderzusetzen hat, so namentlich gegenüber Ärzten, Kliniken oder Beratungsstellen.[337] Konkret bedeutet dies, dass das Anbieten etc. von Diensten im Sinne von § 219a Abs. 1 Nr. 1 StGB gegenüber Ärzten oder Beratungsstellen nach § 219a Abs. 2 StGB straflos bleibt. Nicht erfasst von diesem Tatbestandsausschluss wird jedoch das Werben für solche Dienste auf der praxiseigenen Internethomepage durch einen Arzt.[338]
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Das Werben für Mittel etc., die zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs geeignet sind, ist gemäss § 219a Abs. 3 StGB zulässig, sofern der angesprochene Personenkreis (in erster Linie Ärzte) zum Handel mit den entsprechenden Mitteln usw. befugt ist.[339] Ebenfalls straffrei bleibt das Werben für Mittel, Gegenstände oder Verfahren in ärztlichen bzw. pharmazeutischen Fachzeitschriften.[340]
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Betreffend die Konkurrenzfrage ist Folgendes anzumerken: Ist der Täter, welcher für Dienste oder Mittel wirbt, auch an einem Schwangerschaftsabbruch beteiligt, so besteht zwischen § 219a und § 218 StGB Realkonkurrenz.[341] Ebenso ist zwischen § 219a und § 219b StGB von einer Tatmehrheit auszugehen.[342] Sofern das Werben für Schwangerschaftsabbrüche auch den Straftatbestand der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten gemäss § 111 Abs. 1 StGB erfüllt, liegt Idealkonkurrenz vor.[343]
IX. Inverkehrbringen von Mitteln zum Abbruch der Schwangerschaft (§ 219b StGB)
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Gleich wie § 219a StGB ist auch § 219b StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt anzusehen.[344] Die Strafnorm zielt darauf ab, das Inverkehrbringen von Mitteln, die dem illegalen Schwangerschaftsabbruch dienen, sowie Laienabbrüche zu verhindern.[345] Das Schutzgut von § 219b StGB stellt das werdende Leben dar.[346] Nach § 219b Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer zum Schwangerschaftsabbruch objektiv geeignete Mittel oder Gegenstände in Verkehr bringt mit der Absicht, rechtswidrige Schwangerschaftsabbrüche im Sinne von § 218 StGB zu fördern.[347] Widerhandlungen gegen § 219b Abs. 1 StGB werden mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. § 219b Abs. 3 StGB sieht zudem vor, dass tatbestandliche Mittel oder Gegenstände nach § 74 StGB eingezogen werden können.[348] Als Inverkehrbringen wird das Überlassen eines Gegenstandes an jemand anderen angesehen.[349] Eine objektive Eignung der Mittel und Gegenstände ist bereits bei deren relativer Tauglichkeit anzunehmen, d.h. bei einer Eignung zum Schwangerschaftsabbruch trotz bestimmungswidrigem Gebrauch.[350] Nicht tatbestandlich erfasst werden jedoch Vorbereitungshandlungen sowie der Versuch des Inverkehrbringens von Mittel zum Schwangerschaftsabbruch.[351] Der subjektive Tatbestand erfordert vorsätzliches Handeln bezüglich der objektiven Tatbestandsmerkmale, wobei Eventualvorsatz ausreicht.[352] Hinsichtlich der Förderung rechtswidriger Taten im Sinne von § 218 StGB wird jedoch Absicht, d.h. dolus directus 1. Grad, verlangt.[353] Eine Teilnahme an § 219b StGB ist nach den allgemeinen Grundsätzen (§§ 25 ff. StGB) möglich.[354] § 219b Abs. 2 StGB schließt allerdings eine Strafbarkeit der schwangeren Frau im Sinne eines persönlichen Strafausschlussgrundes aus.[355]
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Die Konkurrenzfrage gestaltet sich bei § 219b StGB wie folgt: Sofern mit einem nach § 219b StGB in Verkehr gebrachten Mittel ein Schwangerschaftsabbruch im Sinne von § 218 StGB durchgeführt wird, besteht zwischen diesen beiden Strafnormen Realkonkurrenz.[356] Wird jedoch das Mittel zum Schwangerschaftsabbruch lediglich einer bestimmten Schwangeren übergeben, so geht § 218 StGB vor.[357] Zwischen dem Werben für Schwangerschaftsabbruchsmittel nach § 219a Abs. 1 Nr. 2 StGB und dem Inverkehrbringen gemäss § 219b Abs. 1 StGB besteht ebenfalls Realkonkurrenz.[358] Führt das Inverkehrbringen der Mittel bzw. Gegenstände zur fahrlässigen Tötung oder Körperverletzung einer Schwangeren, so ist zwischen § 219b und den §§ 222–229 StGB Tateinheit anzunehmen.[359]
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