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Art. 118 Abs. 1 schwStGB erwähnt im Zusammenhang mit dem strafbaren Schwangerschaftsabbruch verschiedene Tathandlungsvarianten, die das Gesetz unter Strafe stellt, wobei nebst der eigentlichen Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs namentlich auch das Anstiften einer Schwangeren oder eine Hilfeleistung gegenüber der Schwangeren zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs strafbar ist, sofern nicht die Voraussetzungen für einen straflosen Schwangerschaftsabbruch im Sinne von Art. 119 schwStGB vorliegen.[390] Wie die Strafbarkeitsnorm in Art. 118 Abs. 1 schwStGB zum Ausdruck bringt, stellt ein strafbarer Schwangerschaftsabbruch trotz Einwilligung der Schwangeren keineswegs einen Rechtfertigungsgrund dar, vielmehr kommt dieser Konstellation lediglich unrechtsmindernde Bedeutung zu.[391] Als einwilligungsfähig gilt dabei nebst der volljährigen auch die minderjährige Schwangere, sofern sie urteilsfähig ist.[392] Ob bei einem strafbaren Schwangerschaftsabbruch gegebenenfalls auch eine gesetzliche Vertretung der Schwangeren eine Einwilligung erteilen kann oder die mutmaßliche Einwilligung der Schwangeren ausreicht, ist in der schweizerischen Lehre umstritten.[393]
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Anders als Art. 118 Abs. 1 schwStGB, stellt Art. 118 Abs. 2 schwStGB den Fremdabbruch ohne Einwilligung der Schwangeren unter Strafe, wobei das Gesetz in diesem Falle eine erhöhte Sanktionsandrohung vorsieht, da nebst dem ungeborenen Leben auch das Selbstbestimmungsrecht und die körperliche Integrität der Schwangeren beeinträchtigt wird.[394]
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Eine Schwangere macht sich gemäss Art. 118 Abs. 3 schwStGB strafbar, wenn sie, ohne dass eine Indikation im Sinne von Art. 119 Abs. 1 schwStGB vorliegt, nach Ablauf von zwölf Wochen seit Beginn der letzten Periode einen Selbstabbruch vornimmt (aktiver Schwangerschaftsabbruch), ihre Schwangerschaft von einer Drittperson abbrechen lässt oder sich in anderer Weise am eigenen Schwangerschaftsabbruch beteiligt (passiver Schwangerschaftsabbruch).[395] Demzufolge macht sich die Schwangere – anders als im deutschen Strafrecht – bereits nach Ablauf von zehn Wochen seit der Empfängnis strafbar.[396] Erfüllt eine Schwangere den als Vergehen konzipierter Straftatbestand von Art. 118 Abs. 3 schwStGB, ist sie mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe zu bestrafen.[397]
2. Strafloser Schwangerschaftsabbruch (Art. 119 schwStGB)
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Auch das schweizerische Strafrecht kennt sowohl eine Fristen- als auch eine Indikationenregelung.[398] Die Fristenregelung gemäss Art. 119 Abs. 2 schwStGB sieht die Straflosigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs vor, wenn insgesamt fünf Voraussetzungen erfüllt sind.[399] Zunächst hat der Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten zwölf Wochen seit Beginn der letzten Periode zu erfolgen, wobei dem Abbruch ein schriftliches Verlangen der schwangeren Frau vorausgehen muss und sie – anders als in Deutschland – zusätzlich geltend zu machen hat, dass sie sich in einer Notlage befindet.[400] Ein schriftliches Verlangen kann aufgrund der höchstpersönlichen Natur eines Eingriffs in die körperliche Integrität – anders als nach teilweise vertretener Auffassung in der deutschen Lehre und Rechtsprechung – zweifelsohne auch von einer minderjährigen Schwangeren geltend gemacht werden, sofern sie urteilsfähig ist.[401] Die Notlage muss dabei nicht aus objektiver Sicht nachvollziehbar sein, es kommt lediglich auf die subjektive Wahrnehmung der Schwangeren selbst an, weshalb auch ein Verstoß gegen das Erfordernis der Geltendmachung einer Notlage keine Sanktionierung nach sich zieht.[402] Darüber hinaus darf der Abbruch nur nach einem eingehenden, persönlichen Beratungsgespräch durch einen zugelassenen Arzt vorgenommen werden.[403] Die Voraussetzungen, die an ein solches Beratungsgespräch geknüpft werden, sind in Art. 120 Abs. 1 lit. b schwStGB gesetzlich normiert. Gefordert wird demnach, dass die Schwangere durch den abbrechenden Arzt im Vorfeld über die gesundheitlichen Risiken des Eingriffs informiert und ihr gegen Unterschrift ein Leitfaden ausgehändigt wird.[404]
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Nach Ablauf der zwölfwöchigen Frist im Sinne der Fristenregelung (Art. 119 Abs. 2 schwStGB) kann ein strafloser Schwangerschaftsabbruch nur unter den Voraussetzungen einer Indikation gemäss Art. 119 Abs. 1 schwStGB vorgenommen werden. Die infrage kommenden Indikationen werden dabei anders als im deutschen Strafgesetzbuch allesamt in einem Artikel (Art. 119 Abs. 1 schwStGB) und weitaus weniger differenziert geregelt.[405] Als Indikationen kommen gemäss Gesetzeswortlaut die Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen Schädigung (medizinische Indikation) oder eine schwere seelische Notlage der Schwangeren (sozial-medizinische Indikation) infrage.[406] Unter der sozial-medizinischen Indikation werden unter anderem auch die embryopathische, kriminologische und psychiatrische Indikation subsumiert.[407] Die Gefahr für die Schwangere muss laut Gesetzeswortlaut „umso grösser sein, je fortgeschrittener die Schwangerschaft ist“.[408] Darüber hinaus muss der Schwangerschaftsabbruch nach ärztlichem Urteil notwendig sein, um die (sozial-) medizinische Gefahrensituation der Schwangeren abwenden zu können.[409] Obwohl dem Gesetzeswortlaut in Art. 119 Abs. 1 schwStGB – im Vergleich zu § 218a StGB – selbst keine Anforderungen an die den Schwangerschaftsabbruch durchführende Person entnommen werden können, kann unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 119 Abs. 2 schwStGB (Fristenregelung) auch für die Indikationsregelung nichts anderes gelten, als dass nur ein zur Berufsausübung zugelassener Arzt den Abbruch der Schwangerschaft vornehmen darf.[410] Allerdings bleibt anzumerken, dass zwischen dem abbrechenden und dem indikationsfeststellenden Arzt keine Personenidentität vorliegen muss, demgegenüber ist gemäss § 218b Abs. 1 StGB eine Personenidentität des Arztes strengstens untersagt.[411] Schließlich muss die Schwangere – auch wenn nicht explizit in Art. 119 Abs. 1 schwStGB genannt – bei einer rechtfertigenden Indikation in den Abbruch einwilligen, wobei betreffend die Einwilligung minderjähriger oder urteilsunfähiger Schwangeren wiederum die Regelung in Art. 119 Abs. 3 schwStGB gilt, weshalb diesbezüglich auf die vorangehenden Ausführungen verwiesen werden kann.[412]
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Anders als im deutschen Strafgesetzbuch wird in Art. 119 Abs. 4 schwStGB festgehalten, dass die Kantone Praxen und Spitäler zu bezeichnen haben, welche den Voraussetzungen einer fachgerechten Durchführung des Abbruchs und einer eingehenden Beratung rechtsgenügend nachkommen. Darüber hinaus hat gemäss Art. 119 Abs. 5 schwStGB der abbrechende Arzt den Schwangerschaftsabbruch unter Wahrung der Anonymität der Schwangeren und seines Arztgeheimnisses zu statistischen Zwecken der zuständigen Gesundheitsbehörde zu melden.
3. Übertretungen durch Ärzte (Art. 120 schwStGB)
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Wer als Arzt bei Vorliegen einer Fristenregelung eine Schwangerschaft abbricht, ohne vorgängig von der Schwangeren ein schriftliches Gesuch zu verlangen (Art. 120 Abs. 1 lit. a schwStGB), ohne zuerst ein persönliches, eingehendes Beratungsgespräch mit der Schwangeren zu führen, welches den Voraussetzungen in Art. 120 Abs. 1 lit. b Nr. 1–3 schwStGB entspricht (Art. 120 Abs. 1 lit. b schwStGB) oder ohne sich vorgängig zu vergewissern, dass sich eine Schwangere unter 16 Jahren im Vorfeld an eine für Jugendliche spezialisierte Beratungsstelle gewandt hat, begeht ein als Übertretung ausgestaltetes echtes Unterlassungsdelikt und wird mit Busse bestraft.[413] Während sich der Arzt in der Schweiz lediglich einer Übertretung, die mit Busse geahndet wird, strafbar macht, hat ein Arzt in Deutschland für einen Verstoß gegen § 218c Abs. 1 Nr. 2 StGB mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit einer Geldstrafe zu rechnen, wenn sein Verhalten nicht bereits durch § 218 StGB erfasst wird. Sofern der abbrechende Arzt entgegen der Regelung in Art. 119 Abs. 5 schwStGB es unterlässt, den Abbruch der zuständigen Behörde zu melden, ist er gemäss Art. 120 Abs. 2 schwStGB ebenfalls mit einer Busse zu bestrafen.
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