a) Schwangerschaftsabbruch ohne ärztliche Feststellung (Abs. 1 S. 1)
36
Laut § 218b Abs. 1 S. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wer in den Fällen von § 218a Abs. 2 und 3 StGB (Indikationenregelung) eine Schwangerschaft ohne eine schriftliche Indikationsfeststellung durch einen anderen bzw. dritten Arzt abbricht. Inhaltlich hat die Indikationsfeststellung gewissen Mindestanforderungen zu genügen.[239] In der schriftlichen Feststellung sind deshalb die wesentlichen Gründe festzuhalten, weshalb das Vorliegen einer Indikation zu bejahen bzw. zu verneinen ist.[240] Wurde wider besseres Wissens eine unrichtige Feststellung getroffen, so ist diese als unwirksam zu qualifizieren.[241] Sofern ein Arzt trotz der Unwirksamkeit einer Indikationsfeststellung einen Schwangerschaftsabbruch vornimmt, macht er sich nach § 218b Abs. 1 S. 1 StGB strafbar.[242] Darüber hinaus hat die Indikationsfeststellung durch einen nach deutschem Recht approbierten Arzt zu erfolgen, wobei gerade keine Personenidentität mit dem den Schwangerschaftsabbruch durchführenden Arzt bestehen darf.[243] Schließlich muss der abbrechende Arzt spätestens im Zeitpunkt des Eingriffsbeginns schriftlich über die Indikationsfeststellung durch einen dritten Arzt in Kenntnis sein.[244] Anzumerken bleibt, dass der den Schwangerschaftsabbruch vornehmende Arzt nicht an die Indikationsfeststellung des Zweitarztes gebunden ist.[245] Ist demzufolge eine Indikation zu bejahen, wurde diese aber in der Indikationsfeststellung verneint, macht sich der abbrechende Arzt trotz negativem Feststellungsentscheid nicht strafbar.[246] Ein Verstoß gegen § 218b Abs. 1 S. 1 StGB erfordert schließlich Vorsatz, wobei eventualvorsätzliches Handeln seitens des abbrechenden Arztes ausreicht.[247] Schließlich sei darauf hingewiesen, dass die Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs unter Umständen trotz Fehlen eines Indikationsgutachtens in Fällen eines rechtfertigenden Notstandes im Sinne von § 34 StGB gerechtfertigt sein kann.[248]
b) Unrichtige ärztliche Indikationsfeststellung (Abs. 1 S. 2)
37
Ein Arzt, welcher wider besseres Wissen eine unrichtige Indikationsfeststellung schriftlich ausfertigt, macht sich nach § 218b Abs. 1 S. 2 StGB strafbar und wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft.[249] Wider besseres Wissen handelt dabei derjenige Arzt, der sich seiner unzutreffenden Indikationsfeststellung bewusst ist, aber auch derjenige, welcher ohne jegliche Untersuchung eine Feststellung schriftlich aushändigt.[250] Da es sich um ein echtes Sonderdelikt handelt, kommt als Täter nur ein Arzt in Frage.[251] Die Indikationsfeststellung kann dabei inhaltlich oder formal unzutreffend sein.[252] Als inhaltlich unrichtig gilt eine Indikationsfeststellung, in der eine Indikation fälschlicherweise bejaht oder aber unzutreffenderweise verneint wird.[253] Von der formalen Unrichtigkeit einer Indikationsfeststellung ist auszugehen, wenn auf eine Untersuchung der Schwangeren vollständig verzichtet wurde oder diese nur mangelhaft erfolgte.[254] In der Lehre herrscht allerdings Uneinigkeit darüber, ob sowohl die positiv (Bejahung einer Indikation) als auch die negativ (Verneinung einer Indikation) unrichtige Indikationsfeststellung zu bestrafen ist.[255] Nach der ratio legis sollte alleine die fälschlicherweise positive, unrichtige Indikationsfeststellung strafbar sein, da lediglich diese Form der unzutreffenden Indikationsfeststellung einen Schwangerschaftsabbruch begünstigt.[256] Als „getroffen“ gilt eine Feststellung bereits dann, wenn die Feststellung aus dem Herrschaftsbereich des feststellenden Arztes weggegeben bzw. entäußert wird.[257] In subjektiver Hinsicht muss der Arzt (eventual-)vorsätzlich handeln.[258] Betreffend die Konkurrenzfrage ist anzumerken, dass § 218b Abs. 1 S. 2 StGB gleichsam wie § 218b Abs. 1 S. 1 StGB eine Subsidiaritätsklausel darstellt, welche gegenüber § 218 StGB zurücktritt.[259]
2. Feststellungsverbot des Arztes (Abs. 2)
38
Im Rahmen eines Verwaltungsaktes kann einem Arzt durch die zuständige Stelle endgültig (Abs. 2 S. 1) oder vorläufig (Abs. 2 S. 2) untersagt werden, Indikationsfeststellungen vorzunehmen.[260] Das Feststellungsverbot bezweckt, dass sich Ärzte, welche keine „hinreichende Gewähr für die verfassungsrechtlich gebotene Achtung des ungeborenen Lebens bieten“, nicht mehr an Schwangerschaftsabbrüchen beteiligen dürfen.[261] Das heißt, der betroffene Arzt darf keine Indikationsfeststellungen im Sinne von § 218b Abs. 1 StGB mehr ausstellen.[262] Das Feststellungsverbot wirkt sich jedoch nicht auf anderweitige ärztliche Tätigkeitsgebiete eines betroffenen Arztes aus.[263] Wird eine Indikationsfeststellung von einem nach § 218b Abs. 2 StGB disqualifizierten Arzt vorgenommen, so erlangt die Feststellung keine Wirksamkeit, d.h. der abbrechende Arzt macht sich nach § 218b Abs. 1 S. 1 StGB strafbar.[264] Über die Wirksamkeit des Feststellungsverbots nach § 218b Abs. 2 StGB lässt sich streiten, denn das Strafgesetzbuch sieht bei einem Verstoß gegen diese Bestimmung keine Straffolgen vor.[265]
a) Endgültige Untersagung der Indikationsfeststellung
39
Eine endgültige Untersagung der Indikationsfeststellung nach § 218b Abs. 2 S. 1 StGB setzt voraus, dass der Arzt gegen ein gesetzlich normiertes Abtreibungsdelikt (§ 218, § 218b Abs. 1, § 219a, § 219b StGB) verstoßen hat oder aber eine anderweitige mit einem Schwangerschaftsabbruch in Zusammenhang stehende rechtskräftige Verurteilung aufgrund einer rechtswidrigen Tat im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB vorliegt.[266] Die Anordnung der endgültigen Untersagung obliegt der zuständigen Behörde.[267]
b) Vorläufige Untersagung der Indikationsfeststellung
40
Wird ein Arzt eines Abtreibungsdelikts (§§ 218 ff. StGB) oder einer anderen mit einem Schwangerschaftsabbruch in Zusammenhang stehenden Straftat verdächtigt und wird gegen ihn ein Hauptverfahren nach § 207 StPO eröffnet, so kann ihm die zuständige Behörde vorläufig untersagen, Indikationsfeststellungen nach § 218b Abs. 1 StGB zu treffen. Dabei ist der Eröffnung eines Hauptverfahrens die Beantragung bzw. der Erlass eines Strafbefehls gleichzusetzen.[268] Während die Bestimmung über die endgültige Untersagung der Indikationsfeststellung nach § 218b Abs. 2 S. 1 StGB zwingend ist, handelt es sich bei der vorläufigen Untersagung um eine Kann-Vorschrift, deren Dauer gesetzlich nicht geregelt wird.[269] Die Anordnung einer vorläufigen Untersagung und deren allfälligen Dauer liegt folglich im Ermessen der zuständigen Behörde.[270] Betreffend die Konkurrenzfrage bleibt festzuhalten, dass § 218b StGB gegenüber § 218 StGB subsidiär ist.[271]
VI. Ärztliche Pflichtverletzung bei einem Schwangerschaftsabbruch (§ 218c StGB)
41
§ 218c StGB zielt darauf ab, die vom Bundesverfassungsgericht festgehaltenen Verhaltensanforderungen an den abbrechenden Arzt gesetzgeberisch umzusetzen.[272] Dabei soll durch diese Vorschrift sowohl die Gesundheit der Schwangeren als auch das Leben des Ungeborenen geschützt werden.[273] Konkret beabsichtigt die Norm, welche als Sanktion eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe vorsieht, eine Missachtung der Pflichten nach § 218c Abs. 1 Nr. 1–4 StGB zu verhindern.[274] Als unmittelbarer Täter kommt grundsätzlich nur der abbrechende Arzt in Frage, da die Schwangere aufgrund eines persönlichen Strafausschließungsgrundes in § 218c Abs. 2 StGB von einer Bestrafung befreit wird.[275] Allerdings ist eine Teilnahme an einem Schwangerschaftsabbruch im Sinne von § 218c Abs. 1 StGB (mit Ausnahme der Schwangeren) beispielsweise durch ärztliches Hilfspersonal durchaus möglich.[276] § 218c Abs. 1 StGB stellt somit ein Sonderdelikt dar.[277] In subjektiver Hinsicht erfordert der Straftatbestand von § 218c Abs. 1 StGB vorsätzliches Handeln, wobei bedingter Vorsatz genügt.[278] Sowohl die praktische als auch die kriminalpolitische Bedeutung von § 218c StGB werden allerdings als gering eingeschätzt.[279]
Читать дальше