III. Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs (§ 218 StGB)
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§ 218 StGB hält als Grunddelikt den Grundsatz der Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs fest.[138] Dabei kann ein strafbarer Schwangerschaftsabbruch gemäss § 218 Abs. 1 StGB nicht nur von einer Drittperson im Sinne eines Fremdabbruchs, sondern laut § 218 Abs. 3 StGB auch von der Schwangeren selbst (sog. Selbstabbruch) vorgenommen werden.[139] Auch die mittelbare Täterschaft einer Drittperson oder der Schwangeren wird von § 218 StGB erfasst.[140] Als Tathandlung kommt jede Einwirkung auf die Schwangere oder den Embryo bzw. Fötus in vivo in Frage, welche ein Absterben der Leibesfrucht im Mutterleib oder aber deren Abgang in nicht lebensfähigem Zustand bewirkt.[141] Die Tathandlung nach § 218 StGB hat dabei zwischen der abgeschlossenen Nidation und vor dem Einsetzen der Geburtswehen zu erfolgen.[142] Laut Gesetzeswortlaut in § 218 Abs. 1 StGB ist das werdende Leben ab dem Zeitpunkt der Einnistung in die Gebärmutter der Schwangeren strafrechtlich geschützt, d.h. Abtreibung von extrauterinen (außerhalb der Gebärmutter eingenisteten) Schwangerschaften, wie beispielsweise Eileiter- oder Bauchhöhlenschwangerschaften werden nicht vom Straftatbestand in § 218 StGB erfasst.[143] Den Straftatbestand des Schwangerschaftsabbruchs erfüllt zudem nur, wer vorsätzlich handelt, wobei bedingter Vorsatz genügt.[144] Dabei muss auch die Tatbestandsvoraussetzung des Absterbens der Leibesfrucht vom Vorsatz des Täters erfasst sein.[145] Hingegen fällt eine Bestrafung nach § 218 StGB bei fahrlässigem Schwangerschaftsabbruch außer Betracht.[146] Auch der versuchte Schwangerschaftsabbruch durch Drittpersonen wird gemäss § 218 Abs. 4 StGB bestraft, während sich die Schwangere selbst aufgrund eines persönlichen Strafausschließungsgrundes nicht wegen Versuchs strafbar machen kann.[147] Trotz des gesetzlich normierten Strafausschließungsgrundes der Schwangeren in § 218 Abs. 4 StGB bleibt auch der seitens einer Schwangeren versuchte Schwangerschaftsabbruch rechtswidrig.[148] Während der Fremdabbruch gemäss § 218 Abs. 1 StGB mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe geahndet wird, kann laut § 218 Abs. 3 StGB ein Selbstabbruch im Sinne einer Privilegierung mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe bestraft werden. In besonders schweren Fällen von Fremdabbrüchen sieht das Gesetz in § 218 Abs. 2 StGB eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten bis zu fünf Jahren vor. Gemäss den gesetzlich aufgeführten Regelbeispielen gelten als besonders schwere Fälle der gegen den Willen der Schwangeren vorgenommene Schwangerschaftsabbruch (§ 218 Abs. 2 Nr. 1 StGB) oder aber das leichtfertige Verursachen einer Todesgefahr oder schwerer Gesundheitsschädigung der Schwangeren (§ 218 Abs. 2 Nr. 2 StGB).[149] Die Verjährungsfrist zur Strafverfolgung eines strafbaren Schwangerschaftsabbruchs im Sinne von § 218 StGB beginnt nach § 78a S. 2 StGB mit dem Absterben der Leibesfrucht, wobei ab diesem Zeitpunkt ein Verstoß gegen § 218 StGB während fünf Jahren verfolgt werden kann.
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Hinsichtlich der Konkurrenzregelung zu § 218 StGB kann Folgendes festgehalten werden: Wird trotz Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs das Kind lebend geboren und nach der Geburt versucht, es zu töten, liegt unter der Voraussetzung der Lebensfähigkeit des Kindes Realkonkurrenz zwischen § 218 und den §§ 211 ff. StGB vor.[150] Ist das Kind lebensunfähig, so ist von Idealkonkurrenz zwischen § 218 und §§ 211 ff. StGB auszugehen.[151] Wird die schwangere Frau beim Eingriff verletzt, so wird deren Körperverletzung als Begleittat von § 218 StGB verdrängt, sofern die Verletzung aus dem Abbruch selbst resultiert.[152] Anderweitige Körperverletzungen der Frau oder gar die Tötung stehen dagegen in Tateinheit mit § 218 StGB.[153] Bei einer vorsätzlichen bzw. fahrlässigen Tötung der Schwangeren ist ebenfalls Tateinheit zu § 218 StGB anzunehmen.[154]
IV. Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs (§ 218a StGB)
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In § 218a StGB wird gesetzlich festgehalten, in welchen Fällen ein Schwangerschaftsabbruch straflos bleibt. Währenddem § 218a Abs. 1 StGB einen Tatbestandsausschluss darstellt, werden in § 218a Abs. 2 und 3 StGB Rechtfertigungsgründe zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs aufgeführt.[155] Allen in § 218a Abs. 1–4 StGB geregelten Varianten des straflosen Schwangerschaftsabbruchs ist gemein, dass nur ein Arzt den Abbruch durchführen darf bzw. kann (sog. Arztvorbehalt).[156]
1. Tatbestandsausschluss (Abs. 1)
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Der im Sinne einer Fristenlösung mit Beratungspflicht konzipierte Tatbestandsausschluss nach § 218a Abs. 1 StGB fordert kumulativ vier Voraussetzungen.[157] Neben einem (1) Abbruchsverlangen seitens der Schwangeren wird auch ein (2) mindestens drei Tage vor dem Eingriff erfolgter Beratungsnachweis im Sinne von § 219 Abs. 2 S. 2 StGB bei einer anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle (Abs. 1 Nr. 1) vorausgesetzt.[158] Das Verlangen der Schwangeren erfasst dabei jeden ausdrücklichen und ernsthaft bekundeten Wunsch nach einem Schwangerschaftsabbruch.[159] Darüber hinaus muss (3) der Schwangerschaftsabbruch von einem Arzt (Abs. 1 Nr. 2), welcher gemäss § 219 Abs. 2 S. 3 StGB nicht identisch mit dem die Beratung durchführenden Arzt sein darf, (4) innerhalb der ersten zwölf Wochen seit der Empfängnis vorgenommen werden (Abs. 1 Nr. 3).[160] Die Schwangerschaftskonfliktberatung (§ 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB) verfolgt laut § 219 StGB das Ziel, der Schwangeren Hilfsmöglichkeiten im Fall eines Entschlusses zur Austragung des Kindes aufzuzeigen, um sie zur Fortführung ihrer Schwangerschaft ermutigen zu können.[161] Sind die soeben erläuterten Voraussetzungen erfüllt, machen sich die an einem Schwangerschaftsabbruch beteiligten Personen nicht strafbar.[162] Die Frage, ob eine Ärztin einen straflosen Schwangerschaftsabbruch im Sinne von § 218a Abs. 1 StGB an sich selbst durchführen kann, wird in der Lehre kontrovers diskutiert.[163] Obwohl bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 218a Abs. 1 StGB weder die Schwangere noch der den Schwangerschaftsabbruch ausführende Arzt tatbestandsmäßig im Sinne von § 218 StGB handelt, soll der Schwangerschaftsabbruch nach herrschender Lehre trotzdem rechtswidrig sein.[164]
2. Indikationenmodell (Abs. 2 und 3)
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Die Indikationenlösung in § 218a Abs. 2 und 3 StGB regelt die Zulässigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs nach Ablauf der in § 218 Abs. 1 StGB statuierten zwölfwöchigen Abtreibungsfrist.[165] Es wird dabei zwischen der medizinisch-sozialen (Abs. 2) und der kriminologischen Indikation (Abs. 3) unterschieden, wobei beide Indikationen Rechtfertigungsgründe darstellen.[166] Allgemein werden die beiden Indikationen als Spezialfälle des rechtfertigenden Notstandes verstanden.[167] Im Gegensatz zum Tatbestandsausschluss nach Abs. 1 setzt das Indikationenmodell für die Zulässigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs kein Konfliktberatungsgespräch voraus.[168] Dagegen muss bei beiden Indikationen die Einwilligung der Schwangeren zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs vorliegen, wobei für eine wirksame Einwilligung sowohl Einsichts- als auch Urteilsfähigkeit der Schwangeren erforderlich ist.[169] Ebenso wie unter § 218a Abs. 1 StGB ist der Abbruch durch einen Arzt vorzunehmen.[170] Schließlich muss der auf einer medizinisch-sozialen oder kriminologischen Indikation beruhende Schwangerschaftsabbruch auch nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt sein, weshalb gemäss § 218b Abs. 1 S. 1 StGB ein Indikationsgutachten eines Drittarztes vorausgesetzt wird.[171] In subjektiver Hinsicht erfordern beide Indikationen, dass der den Schwangerschaftsabbruch durchführende Arzt in Kenntnis aller Rechtfertigungsvoraussetzungen handelt.[172] Jedoch bleibt der Arzt selbst bei irrtümlicher Annahme über das Vorliegen der Rechtfertigungsvoraussetzungen straffrei.[173] Von der rechtfertigenden Wirkung der § 218a Abs. 2 und 3 StGB wird nur die Strafbarkeit nach § 218 StGB erfasst, nicht dagegen die Straftatbestände der §§ 218b ff. StGB.[174]
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