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Art 5 Abs 3 MLI ergänzt die Bestimmung des Abs 2– beide zusammen bilden die wählbare Option A. ME hat die Vorschrift aber nur einen deklaratorischen Charakter. Sie bestimmt, dass der Abs 2der Norm für ein unter das Übereinkommen fallendes Steuerabkommen gilt, nach dem ein Vertragsstaat (dh der Ansässigkeitsstaat des Steuerpflichtigen) anderenfalls die in Abs 2beschriebenen Einkünfte oder das dort beschriebene Vermögen von der Steuer befreien müsste. Diese Rechtsfolge hätte sich allerdings auch unmittelbar aus Abs 2ergeben (können), wenn man diese Vorschrift sprachlich ein wenig abweichend gefasst hätte oder sie in diesem Sinne interpretieren würde. Immerhin haben die Sachvorschriften des MLI den Sinn, möglichst viele bereits bestehende DBA inhaltlich iSd MLI zu ändern bzw diese zu ergänzen. Insofern hätte es einer solchen ausdrücklichen Anordnung nicht bedurft bzw man hätte diese regelungstechnisch „vor die Klammer ziehen“ können. So aber ist Art 5 Abs 3nach der Konzeption des MLI eine unerlässliche KompatibiBuchstätsklausel.
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Rn 65 der Explanatory Statements zu Art 5 hat ebenfalls einen klarstellenden Charakter. Danach soll Art 5 Abs 3nicht auf Bestimmungen anwendbar sein, die dem Ansässigkeitsstaat des Steuerpflichtigen ein ausschließliches Besteuerungsrecht für bestimmte Kategorien von Einkünften zugestehen. Als Bsp nennt die Ausführungsvorschrift im Grundsatz quellensteuerbelastete Einkünfte, auf die der Quellenstaat nach dem DBA keine Quellensteuer erheben darf.
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Art 5 Abs 4 S 1bildet zusammen mit dem komplementären Abs 5die wählbare Option B. Sie hat iE einen ähnlichen Regelungsgehalt wie Option A, dh sie versagt unter bestimmten Bedingungen die Anwendung der Freistellungsmethodeim Ansässigkeitsstaat des Steuerpflichtigen, bezieht sich aber im Unterschied dazu lediglich auf Dividenden. Bemerkenswert ist, dass die Festlegung darüber, was Dividenden sind, insoweit allein dem Ansässigkeitsstaat überantwortet ist. Sind daher Einkünfte nach dem Recht des Ansässigkeitsstaates als Dividenden anzusehen und wendet dieser Staat auf die Dividenden an sich die Freistellungsmethode an (so namentlich bei sog Schachteldividendennach einer dem Art 10 OECD-MA nachgebildeten Vorschrift), dann soll dies nicht gelten, wenn die nämliche Dividende bei der Ermittlung der steuerpflichtigen Gewinne einer im Quellenstaat ansässigen Person nach dem Recht dieses anderen Vertragsstaats abzugsfähig ist.
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Für Deutschland ergibt sich aus Option B auf den ersten Blick keine Änderung der Rechtslage, weil das unilaterale Korrespondenzprinzipdes § 8b Abs 1 S 2 KStG bereits eine vergleichbare Vorschrift enthält. Insofern stellt sich allerdings die Frage des Verhältnisses bzw der Rangfolge zwischen dem abkommensrechtlichen Schachtelprivilegund § 8b Abs 1 S 2 KStG. Diese Frage beantwortet § 8b Abs 1 S 3 KStG im Wege eines Treaty o verridedahingehend, dass auch in den Fällen, in denen sich der Steuerpflichtige statt auf die Freistellung nach § 8b Abs 1 S 1 KStG auf das Schachtelprivileg beruft, gleichwohl das unilaterale Korrespondenzprinzip Anwendung finden soll.
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Unklar ist der Regelungsgehalt von Art 5 Abs 4 S 2und 3 S 2 dieser Norm bestimmt, dass der Ansässigkeitsstaat des Steuerpflichtigen von der Steuer vom Einkommen dieser ansässigen Person einen Abzug in Höhe der im anderen Vertragsstaat entrichteten Steuer vom Einkommen gewährt. S 3, der inhaltlich komplementär zu Art 5 Abs 2 S 3bei Option A gefasst ist, ergänzt sodann dahingehend, dass dieser Abzug jedoch den Teil der vor Gewährung des Abzugs berechneten Steuer vom Einkommen nicht übersteigen darf, der den Einkünften zugerechnet werden kann, die im anderen Vertragsstaat besteuert werden können.
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S 2 bedeutet einen gewissen Widerspruch zu S 1, weil diese Vorschrift davon ausgeht, dass die Dividende im Quellenstaat das steuerpflichtige Einkommen im Wege eines Abzugs gemindert hat. Dann aber kann es denklogisch keine Steuer geben, die in diesem Staat zu entrichten wäre. Es können daher nur Fälle gemeint sein, in denen der Quellenstaat die Einkünfte nicht als ausnahmsweise abzugsfähige Dividende ansieht, sondern eine abweichende Qualifikation der Einkünfte vornimmt. Wird die Dividende im Quellenstaat daher beispielsweise als Zins angesehen und die Zinszahlung mit einer Quellensteuer belegt, so hat die Entlastung nach S 2 ihre Berechtigung. Viele Staaten allerdings sehen nach ihrem nationalen Recht bei in das Ausland gezahlten Zinsen keine Steuerpflicht vor (wie auch Deutschland mit Ausnahme des § 49 Abs 1 Nr 5 c) aa) EStG), sodass die praktische Bedeutungdieser Vorschrift sehr begrenzt sein wird.
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Art 5 Abs 5wiederum ist mE deklaratorisch und komplementär zu Abs 3der Norm gefasst. Abs 4gilt danach für ein unter das Übereinkommen fallendes Steuerabkommen, nach dem ein Vertragsstaat anderenfalls die in Abs 4beschriebenen Einkünfte von der Steuer befreien müsste.
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Art 5 Abs 6bildet gemeinsam mit Abs 7der Norm die wählbare Option C. Buchst a) schreibt die Steueranrechnungsmethodefest und modifiziert Art 23B OECD-MA iSd BEPS-Aktionspunkts 2. S 1 der Vorschrift bestimmt insoweit, dass der Ansässigkeitsstaat des Steuerpflichtigen (i) einen Abzug von der Steuer vom Einkommendieser ansässigen Person in Höhe der in diesem anderen Vertragsstaat entrichteten Steuer vom Einkommen bzw (ii) einen Abzug von der Steuer vom Vermögen dieser ansässigen Person in Höhe der in diesem anderen Vertragsstaat entrichteten Steuer vom Vermögen gewähren soll, sofern der Steuerpflichtige Einkünfte oder Vermögen hat, die bzw das nach einem unter das MLI fallenden Steuerabkommen im anderen Vertragsstaat besteuert werden können bzw kann. Dieser Abzug darf jedoch nach S 2 der Vorschrift den Teil der vor Gewährung des Abzugs berechneten Steuer vom Einkommen oder Steuer vom Vermögen nicht übersteigen, der den Einkünften oder dem Vermögen zugerechnet werden kann, die bzw das im anderen Vertragsstaat besteuert werden können bzw kann.
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Eine Ausnahme besteht nach dem Klammerzusatz in Art 5 Abs 6 S 1 nur in den Fällen, in denen der Quellenstaat die Einkünfte nur besteuern darf, weil es sich auch um Einkünfte einer in diesem anderen Vertragsstaat ansässigen Person handelt. Diese Einschränkung erscheint sachgerecht, weil auch nach nationalem Verständnis in § 34c EStG für die Steueranrechnung die Steuersubjektidentitätverlangt wird. Ist diese nicht gegeben, weil der Steuerpflichtige aus der Sicht des Quellenstaats eine andere Person ist, besteht kein Bedürfnis für die Vermeidung einer Doppelbesteuerung. Fraglich ist allerdings die Verwendung des Wortes „auch“. Sie legt nahe, dass es Einkünfte geben könnte, die gleichzeitig einer ansässigen Person im Ansässigkeitsstaat und einer anderen, im Quellenstaat ansässigen Person zugerechnet werden. Art 5 Abs 6 S 1 scheint lediglich diese Sonderfälle behandeln zu wollen. Die Fälle einer alternativen Zurechnung von Einkünften wären dann nach dem allgemeinen Grundsatz der Steuersubjektidentitätzu lösen (und die Anrechnung entsprechend zu verneinen).
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Buchst b) der Norm schreibt die Anwendung des Progressionsvorbehaltsunter der Freistellungsmethode fest. Für Deutschland werden sich daraus keine materiellen Änderungen ergeben, weil die meisten dt DBA die Anwendung des Progressionsvorbehalts bereits vorsehen. Zudem eröffnet nach dt Lesart ein DBA lediglich den Progressionsvorbehalt, während die Rechtsgrundlage für seine Durchführung im nationalen Recht verortet ist (hier § 32b Abs 1 Nr 3 EStG). Insoweit ist nach der Rechtsprechung des BFH der Progressionsvorbehalt nur ausgeschlossen, wenn ein DBA ein geschriebenes Verbot enthält ( BFH BStBl II 2003, 302 ff). Ein solcher Ausschluss dürfte damit nach der Umsetzung des MLI praktisch noch seltener werden.
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