9
Die Festlegung der erfassten Steuerabkommen kann zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des MLI oder im Wege der Ergänzung zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Die Festlegungist, wie sich aus Rn 33 der Explanatory Statements zu Art 2 ergibt, allerdings eine statischeund keine dynamische. Den Vertragsstaaten steht es nämlich frei, auch nach der Unterzeichnung des MLI bereits bestehende DBA fortzuschreiben oder zu kündigen. Dies ergibt sich ausdrücklich aus Art 30.
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Damit ist zugleich eine der wichtigsten Fragen der praktischen Anwendungdes MLI für die Zukunft angesprochen, nämlich die Frage nach den Konsequenzen der zeitlich späteren Änderung bereits bestehender, erfasster Steuerabkommen. Art 30legt nahe, dass die bilaterale, zeitlich spätere Änderung dem MLI vorgeht und dass insoweit das MLI seinerseits wiederum abgeändert würde. Insofern wird es darauf ankommen, ob das MLI in der Zukunft fortgeschrieben wird. Geschieht dies zeitlich nach der späteren Änderung eines bestehenden DBA, würde wiederum nach Lage der Dinge dieses DBA durch die Neufassung des MLI ein weiteres Mal geändert.
IV. Umsetzung in Deutschland
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Art 1hat eine ganze zentrale Bedeutung auch und gerade für die Anwendung des MLI insgesamt, weil Deutschland entscheiden musste, auf welche der knapp über 90 in Kraft befindlichen dt DBA auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen das MLI angewendet werden soll. Schon im Entstehungsprozessdes MLI wurde deutlich, dass viele Staaten einer Anwendung des MLI etwa auf bereits seit längerem in Neuverhandlungbefindliche oder erst kürzlich neu abgeschlossene oder revidierte DBA skeptisch gegenüberstanden. Dies wird auch durch Rn 26 der Explanatory Statements zu Art 2 reflektiert. Insofern wurde mit Spannung erwartet, welche DBA Deutschland als erfasste Steuerabkommen iSd Art 1definieren würde.
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Die folgenden 35 DBA sind nach der Entscheidung Deutschlandsper 7.6.2017 als erfasste Steuerabkommen für die Zukunft von der Anwendung des MLI betroffen (eine spätere Nachnominierung bleibt möglich und wird sicherlich erfolgen): Österreich, Bulgarien, China, Costa Rica, Kroatien, Zypern, Tschechoslowakische Sozialistische Republik (Slowakei und Tschechien), Großbritannien, Estland, Finnland, Frankreich, Ungarn, Irland, Israel, Italien, Japan, Korea, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, Mauritius, Mexiko, Niederlande, Neuseeland, Rumänien, Russische Föderation, Slowenien, Spanien, Türkei, Vereinigte Arabische Emirate, Dänemark, Vereinigte Staaten.
Multilateral Convention› Teil I Geltungsbereich und Auslegung von Ausdrücken› Artikel 2 Auslegung von Ausdrücken
Artikel 2 Auslegung von Ausdrücken
(1) Im Sinne dieses Übereinkommens gelten folgende Begriffsbestimmungen:
a) |
Der Ausdruck „unter das Übereinkommen fallendes Steuerabkommen“ bedeutet eine Übereinkunft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen (unabhängig davon, ob sie auch für andere Steuern gilt), i) die in Kraft ist zwischen zwei oder mehr A) Vertragsparteien dieses Übereinkommens und/oder B) Gebieten oder Hoheitsgebieten, die Vertragsparteien einer derartigen Übereinkunft sind und für deren internationale Beziehungen eine Vertragspartei dieses Übereinkommens verantwortlich ist, sowie ii) in Bezug auf welche jede dieser Vertragsparteien dieses Übereinkommens dem Verwahrer[1] eine Notifikation übermittelt hat, in der die Übereinkunft sowie sämtliche dazugehörigen Änderungs- und Begleitübereinkünfte (unter Angabe des Titels, der Namen der Vertragsparteien, des Datums der Unterzeichnung und – sofern zum Zeitpunkt der Notifikation gegeben – des Datums des Inkrafttretens) als Abkommen aufgeführt sind, das nach dem Wunsch der Vertragspartei dieses Übereinkommens unter das Übereinkommen fällt. |
b) |
Der Ausdruck „Vertragspartei dieses Übereinkommens“ bedeutet i) einen Staat, für den dieses Übereinkommen nach Artikel 34 (Inkrafttreten) in Kraft ist, oder ii) ein Gebiet, das dieses Übereinkommen nach Artikel 27 (Unterzeichnung und Ratifikation, Annahme oder Genehmigung) Absatz 1 Buchstabe b oder c unterzeichnet hat und für das dieses Übereinkommen nach Artikel 34 (Inkrafttreten) in Kraft ist |
c) |
Der Ausdruck „Vertragsstaat“ bedeutet eine Vertragspartei eines unter das Übereinkommen fallenden Steuerabkommens |
d) |
Der Ausdruck „Unterzeichner“ bedeutet einen Staat oder ein Gebiet, der beziehungsweise das dieses Übereinkommen unterzeichnet hat, für den beziehungsweise das dieses Übereinkommen jedoch noch nicht in Kraft ist. |
(2) Bei jeder Anwendung dieses Übereinkommens durch eine Vertragspartei des Übereinkommens hat jeder nicht darin bestimmte Ausdruck, sofern der Zusammenhang nichts anderes erfordert, die Bedeutung, die ihm zum jeweiligen Zeitpunkt nach dem einschlägigen unter das Übereinkommen fallenden Steuerabkommen zukommt.
I. Zweck der Vorschrift1, 2
II. Bezug zum OECD-MA3
III.Kommentierung4 – 17
1. Abs 1 Buchst a4 – 10
a) DBA auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen6, 7
b) In Kraft befindliches Abkommen8, 9
c) Notifikation gegenüber dem Verwahrer10
2. Abs 1 Buchst b11, 12
3. Abs 1 Buchst c13
4. Abs 1 Buchst d14
5. Abs 215 – 17
IV. Umsetzung in Deutschland18, 19
1
Jedes Steuerabkommen als völkerrechtlicher Vertrag muss sich notwendigerweise abstrakt-genereller Regelungenbedienen, die auf eine Vielzahl bekannter und unbekannter Einzelfälle anwendbar sein müssen. Ebenso selbstverständlich ist es, dass sich ein Abkommen in einem Spezialbereich einer Vielzahl von Fachtermini(Ausdrücke in der Terminologie des MLI oder Begriffe in der Terminologie des OECD-MA) bedient, die mal aus sich selbst heraus verständlich und mal auslegungsbedürftig sein können. Insb sog unbestimmte Rechtsbegriffe, die mehrere Bedeutungen haben können und nicht klar konturiert sind, müssen für die Anwendungspraxis zumindest bestimmbar sein.
2
Vor diesem Hintergrund enthalten int Verträge, aber insb völkerrechtliche Verträge regelmäßig im vorderen Teil eine Vorschrift, die für den Vertrag besonders wichtige Fachterminidefiniert. Solche Definitionen sieht auch Art 2 Abs 1 MLI vor und erfüllt damit eine wichtige Funktion für die Anwendung des Vertrags insgesamt. Diese Definitionen gelten nämlich für sämtliche Vertragsstaaten und sollten daher bestenfalls nicht auslegungsbedürftig sein. Auf diese Weise wird eine einheitliche Anwendung des Vertrags in allen Vertragsstaaten sichergestellt. Abs 2der Norm enthält zwar für nicht im MLI definierte Fachtermini zunächst nur eine Weiterverweisungauf das jeweils konkret einschlägige erfasste Steuerabkommen, dient aber im Ergebnis demselben Zweck.
3
Die Vorschrift entspricht Art 3 OECD-MA, der terminologisch „ Begriffsbestimmungen“ vorsieht, ohne dass damit inhaltlich ein Unterschied verbunden wäre. Freilich handelt es sich bei den in Art 2 Abs 1 MLI in Bezug genommenen Ausdrückennur um solche des MLI, während Art 3 Abs 1 OECD-MA Begriffe des OECD-MA definiert. Ferner sieht Art 2 Abs 2 MLI ebenso wie Art 3 Abs 2 OECD-MA eine Regelung für nicht in dem jeweiligen Abkommen definierte Begriffe vor. Insoweit stehen Art 3 Abs 1 bzw Abs 2 OECD-MA und Art 2 Abs 1bzw Abs 2 MLI aufgrund der unterschiedlichen Regelungsebenenim Grundsatz selbstständig nebeneinander. Eine Verbindung zwischen beiden Ebenen indes schafft Art 2 Abs 2 MLI, der für die Auslegung von im MLI nicht definierten Begriffenzunächst auf das jeweils erfasste Steuerabkommen verweist. Die in dem jeweiligen Steuerabkommen dem Art 3 Abs 2 OECD-MA entsprechende Vorschrift wiederum verweist bei ihrerseits fehlender Definition im Steuerabkommen sodann auf das nationale Recht des Anwenderstaates. Dieses ist mithin in Ausnahmefällen auch zur Auslegung des MLI berufen.
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