1 ...8 9 10 12 13 14 ...35 Bei allen Völkern, gebildet wie ungebildet, wurde mit Recht großer Wert auf die Schönheit der Frau gelegt, „und ein schönes Gesicht, eine schöne Hand, ein schöner Fuß, wenn sie bei diesem Geschlecht sich im Verein finden, gaben daher fast überall die sicherste Bürgschaft, dass hier eine im allgemeinen wohl ausgestattete, geistige Individualität in der Anlage vorhanden sei“.
Solche Analogieschlüsse von der körperlichen Wohlgestalt auf die seelische Wohlgeratenheit, vom ästhetischen Wert des Äußeren auf den ethischen Wert des Inneren vollziehen wir täglich; insbesondere beurteilen wir – mehr oder weniger bewusst – die Differenziertheit, Geistesart und soziale Stellung einer Persönlichkeit nach dem Stil ihrer Gesichtsbildung: Dem groben oder feinen Schnitt, der guten oder schlechten Modellierung der Züge. Solche Schlüsse haben oft etwas unmittelbar Einleuchtendes, solange sie sich auf den Gesamteindruck von einem Menschen beschränken und nicht zu sehr ins – dann naive – Einzelne gehen.
Mimische Diagnostik
Wenn wir eine subjektive Eindrucksqualität, das heißt, eine von uns sinnlich erfasste Wahrnehmung, auf ihre seelische, objektive Grundlage deutend zurückführen wollen, dann müssen wir drei Bedingungen voraussetzen:
1 Wir müssen die möglichen Ausdruckserscheinungen möglichst umfassend kennen.
2 Wir müssen sie objektiv genau bestimmen.
3 Wir müssen deren diagnostische Bedeutung, eventuell auch Mehrdeutigkeit, formulieren und festlegen.
Wir wollen damit ergründen, welche Erscheinungen des Ausdrucks an einem anderen Menschen die Grundlage für die Erkennung seines seelischen Wesens sein können. Das heißt, wir wollen die verschiedenen mimischen Ausdruckserscheinungen kennen lernen und auf ihrer Basis die Grundzüge einer mimischen Diagnostik aufstellen. Lersch hat dazu die einzelnen Ausdrucksgeschehnisse des menschlichen Gesichtes in verschiedener Hinsicht bestimmt:
1 Mimisch. Dabei wird eine ganz bestimmte Eigenart eines Gesichtes als phänomenale Gegebenheit bezeichnet, wie zum Beispiel das abgedeckte Auge, der seitliche Blick oder ein aufgelockertes Lachen.
2 Anatomisch-physiologisch. Hierbei wird jede mimische Form bei ihrem Erscheinen danach bestimmt, welche Vorgänge sich dabei in der mimischen Muskulatur abspielen, zum Beispiel das mimische Bild der horizontalen Stirnfalten.
3 Die Zuordnung der jeweils besonderen mimischen Form entsprechend ihres spezifischen psychischen Ausdruckssinns und ihrer psychologischen Bedeutung.
4 Die genetische Betrachtungsweise. Sie sucht die mimische Form aus Geschehenszusammenhängen abzuleiten.
5 Die phänomenologische Betrachtung, welche aus der unmittelbar gegebenen Form der Mimik ihre (spontane) Bedeutung bestimmt.
Damit leiten wir über zu den vielfältigen psychosomatischen Fragen in der BioKosmetik.
Psychosomatische Fragen in der Kosmetik
Zusammenhang zwischen Leiblichem und Seelischem
Eine der aktuellsten und interessantesten Fragen der heutigen Medizin und der Anthropologie – und daher auch für uns in der Kosmetologie – ist das eigentlich uralte menschliche Problem des Zusammenhanges zwischen Leib und Seele, zwischen körperlichen Erscheinungen und seelischen Ursachen. Durch die immer weiter voranschreitende psychosomatische Forschung wird ein neuer Schwerpunkt des psychophysischen Aspektes gebildet. Er erkennt das Seelische als grundlegende und bedeutungsvolle Lebenssphäre an, welche von ihren leiblichen Erscheinungen nicht zu trennen ist; so wie man weiß, dass angeborene, vererbte oder erworbene Körperschäden oder -mängel sich häufig in Form von psychosomatischer Depression, vermindertem Selbstwertgefühl, Resignation oder Kontaktscheue auszuwirken vermögen. Das grundlegende Problem besteht in der Frage, wie es denn überhaupt möglich ist, dass zum Beispiel eine seelische Depression Krankheiten und umgekehrt körperliche Erkrankungen oder Missbildungen, psychische Umstimmungen, Lebensunlust, Mattigkeit oder auch ein Gefühl der Unzufriedenheit hervorzurufen vermögen. Selbstverständlich interessiert uns im Rahmen unseres Behandlungsgebietes vor allem die Frage, inwieweit psychische Ursachen ästhetisch störende Hautsymptome entstehen lassen und andererseits, inwiefern diese Hautsymptome dann wiederum einen negativen Einfluss auf das Selbstwertgefühl und das Selbstbewusstsein eines Menschen ausüben können. Das heißt, wir fragen uns:
1 Welche grundlegenden kosmetischen Symptome sind möglicherweise psychogen verursacht?
2 Welche Ursachen können ihnen zugrunde liegen?
3 Wie sind sie im Rahmen der kosmetischen Praxis zu behandeln?
Psychogene Ursachen
Zunächst möchte ich die Fälle nennen, bei denen eine psychogene Ursache möglich ist und die in der Praxis tatsächlich auch häufig vorkommen:
1 Ein schubartiges, anfallartiges Auftreten von Hautunreinheiten.
2 Vorzeitig auftretende Alterserscheinungen der Haut.
3 Überempfindlichkeit, übersteigerte Reizreaktionen, Neigung zu Irritationen auf der Basis einer psychogen bedingten Disposition.
Akne-Anfall
Junge Menschen mit einem labilen Selbstwertgefühl reagieren oft in einer unbewusst psychischen Abwehr auf eine ungerechte Behandlung, auf Ärger oder eine Beleidigung mit einem spontan auftretenden Akneanfall. Häufig findet man diese Labilität bei Kindern, welche ein liebevolles Elternhaus entbehren müssen. Dass dieser psychisch spontan ausgelöste Akneanfall sich erst recht in einer Verminderung des Selbstwertgefühls und des Selbstbewusstseins äußert, ist eine Tatsache, die man im täglichen Leben beobachten kann.
Atrophie
Auch manche vorzeitige Atrophie kann seelisch bedingt sein: Sicher sind auch Ihnen schon die verhärmten und sorgenvollen, welk und müde aussehenden Gesichter von Menschen begegnet, welche eigentlich noch in den besten Jahren ihres Lebens stehen. Enttäuschungen im Leben, Unzufriedenheit, die menschliche Tragik eines zerstörten Lebens, unerfüllte Wünsche, die entweder zu hoch gesteckt waren oder die ein hartes, unerbittliches Schicksal zerschlagen hat: Sie haben ihre alt machenden Runen in die Gesichter eingegraben: Die Haut ist welk, faltig, fahl, leblos, apathisch.
Überempfindlichkeit und Hyperergie
Während die einen Menschen auf den zermürbenden Ärger des Alltags mit Müdigkeit und Resignation antworten, gibt es andere, die vollkommen extrem darauf reagieren: Sie zeigen ein übersteigertes Abwehrgefühl, ein hektisches Von-sichweisen von allem und jedem, was auf sie zukommt und an sie herantritt. Das sind die Menschen, welche infolge ihrer steten, gespannten Abwehrstellung im Leben auch symptomatisch zu einer Hypersensibilität, zu einer Überempfindlichkeit, zur Hyperergie, zu einer Nervosität der Haut neigen und mit Reizungen, Rötungen, ja sogar mit typischen Allergien reagieren.
Menschliche Betreuung
Die nervliche Belastung im Berufsleben spielt hierbei häufig eine ausschlaggebende Rolle. Sicher, die Frau kann und soll heute im Lebenskampf stehen, sehr oft muss sie es sogar. Aber es ist eine Lebenserfahrung, dass die Frau danach viel mehr als der Mann Stunden der inneren Sammlung braucht, um sich zu erholen. Und darin sehe ich eine menschliche Chance der kosmetischen Behandlung: Dass Sie die Möglichkeit haben, Ihrer Klientin im Institut diesen für sie so lebensnotwendigen inneren Ausgleich durch Ihre Behandlung zu geben. Es genügt oft schon, wenn die Klientin nur weiß und fühlt, dass jemand da ist, der sich um ihr schöneres Ich bemüht und es betreut. Ein heutiges Problem des Menschen besteht darin, dass er sich heimatlos fühlt: „ungefragt hineingeworfen in eine Welt und verdammt, in ihr zu vegetieren, um eines Tages wieder sinnlos zerstört zu werden“, wie Sartre es ausdrückt; und er sagt weiter, dass das Leben eine Qual sei, ein Fluch, vor dem uns ein Ekel ankäme. Sicher ist die Auffassung Sartres und damit des Existenzialismus extrem und negativ, aber Extreme beleuchten oft deutlich und hart die Tatsachen. Haben wir heute wirklich das Gefühl verloren, unser Leben als eine Gnade erhalten zu haben, um es dankbar zu empfangen? Ist es nicht eigenartig, dass in einer Welt Millionen wimmelnder Menschen, die aneinander vorübergehen, aneinander vorbei hasten, einander flüchtig begegnen, diese Menschen nicht mehr fähig sind, sich innerlich etwas zu geben?
Читать дальше