Ernst Eckstein - Humoresken (Zweites Bändchen)

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Ernst Eckstein

Humoresken (Zweites Bändchen) / Wider den Strom. – Die Feuerspritze. – Eine Abendwanderung. / – Der alte Schreiber

Vorbemerkung

Die erste der hier folgenden humoristischen Kleinigkeiten, die Novellette »Wider den Strom«, basirt auf einer allerdings nicht streng beglaubigten Mittheilung Pigault-Lebruns, der uns irgendwo die betreffenden Briefe Napoleons und Jérôme's reproducirt, und über die Straf-Mission des Generals Rapp kurz, aber energisch Bericht erstattet.

Der zweite Scherz, »Die Feuerspritze von Gressinet«, beruht auf freier Erfindung. Wenn verschiedne Kritiker, die den harmlosen Schwank s. Z. mit Referaten beehrt haben, in dem Streite zwischen Clatou und Gressinet eine »Satire auf das politische Parteiwesen im Allgemeinen« erkennen wollten, so lass' ich's gelten; daß einer dieser Herren jedoch so weit ging, hinter jedem der hier geschilderten Spießbürger eine bekannte Tagespersönlichkeit zu vermuthen, – das ist zu viel des interpretirenden Scharfsinns. Die Separatausgabe der »Feuerspritze von Gressinet« war mit dem Motto von Gustav Droz geschmückt: »… petite fantaisie sans prétention, qui veut être lue, comme elle a été écrite; gaiement, au coin du feu, et les pieds sur les chenets.« Hiermit ist in der That Alles gesagt.

Numero drei endlich, – »Eine Abendwanderung«, – erhebt nur die Ansprüche eines psychologischen Stimmungsbildes.

E.

Wider den Strom

Eine Erinnerung an die lustigen Tage der Wilhelmshöhe

Es war im August des Jahres 1810.

Durch die weitgeöffneten Fenster des königlichen Schlosses wehte eine erquickende Abendkühle. In einem der oberen Eckzimmer saß Jérôme, der glückliche Beherrscher des Königreiches Westphalen, und blickte hinüber nach seiner guten Hauptstadt Kassel, deren Thürme sich im Golde des scheidenden Tages badeten.

Er war sonst kein Schwärmer, der kleine Bruder des großen Eroberers. Heute indeß schien das bezaubernde Landschaftsbild, das sich in leuchtender Pracht vor ihm entfaltete, auf seine königliche Seele einen außergewöhnlichen Eindruck hervorzubringen. Träumerisch neigte er das Haupt rückwärts wider die Lehne des üppigen Fauteuils. Die Hände vor dem Magen gefaltet, die Füße auf einem elastischen Tabouret ausgestreckt – so saß er da, ein personificirtes Dolce-far-niente, eine verkörperte Lebensregel Epikurs, ein Fürst nach dem Herzen Gottes. Und doch lag ein leiser Schatten von Wehmuth auf diesem behäbigen Antlitz, eine dämmernde Nüance seelischer Verstimmung, ein Hauch von Trübsinn, der seltsam mit der herrlichen Scenerie der nächsten und fernsten Umgebung contrastirte.

Plötzlich rang sich aus dem Busen des Königs ein tiefer Seufzer los.

»Befehlen Ew. Majestät?« erklang es im Hintergrunde des Gemaches.

Jérôme wandte unmerklich den Kopf.

»Nichts, mein lieber Pigault …« stotterte er; »ich dachte nur …«

Pigault-Lebrun, der Bibliothekar und Vorleser des Königs, der sich bisher in bescheidener Verborgenheit gehalten hatte, um die Meditationen, beziehungsweise die Verdauung seines hohen Gebieters nicht zu stören, trat ein paar Schritte näher.

Er durfte dies wagen, denn niemand bei Hofe genoß das Vertrauen Jérôme's in gleichem Maße wie er. Eine Bibliothek existirte nicht; vom Vorlesen war der König kein Freund: Pigault-Lebrun hatte also eine sehr leichte Amtsführung, und er verwendete die vierundzwanzig Mußestunden, über die er täglich verfügte, nach Abzug eines sechsstündigen Schlafes, ausschließlich im Interesse des allerhöchsten Amüsements. Italienische Nächte, Feuerwerke, Bälle, Festessen, musikalische Unterhaltungen, Liebesabenteuer, kurz die gesammten Regierungssorgen des westphälischen Hofes standen unter seiner obersten Leitung, und da er ein unvergleichliches Vergnügungsgenie entwickelte, so schenkte ihm Jérôme den ganzen Schatz seiner fürstlichen Liebe.

Pigault-Lebrun trat also vor und sagte mit melodischer Stimme:

»Ah, Sire, Sie sind nachdenklich? Sollte jemand so unglücklich gewesen sein, Dero Mißfallen zu erregen?«

Seine Majestät schüttelte das Haupt.

»Nein, Pigault,« entgegnete er langsam; »ich bin mit dir und allen meinen Getreuen vollkommen zufrieden; allein, siehst du …«

Er stockte.

Pigault-Lebrun näherte sich abermals um ein paar Schritte. Er konnte jetzt dem König voll ins Gesicht sehen. Der eigenthümliche Schleier von Melancholie, der auf diesen sonst so heiteren Zügen ruhte, berührte ihn peinlich.

»Eure Majestät sind verstimmt,« sagte er sorglich. »Fanden Sie die heutige Tafel nicht ganz nach Dero Geschmack …? Ich werde sofort die Entlassung des Küchenmeisters anordnen.«

»Beileibe nicht,« flüsterte Jérôme. »Meine Köche sind Meister ihrer Kunst, und wenn die Etikette nicht wäre, ich würde sie sämmtlich in den erblichen Grafenstand erheben.«

»So hat Ihnen die Königin eine Scene gemacht? Ah, Sire, ich bin sicher … die Königin … Ich kenne die Eifersucht Ihrer Majestät …«

»Du irrst dich, mein Freund! … Seitdem der Kaiser, unser gestrenger Bruder, die kleine Helene mit Gewalt von dannen geführt hat, ist die Königin mit mir ausgesöhnt. Sie hegt, Dank unserer Vorsicht, nicht den geringsten Verdacht mehr … Ah, es war ein niederträchtiger Streich von meinem Herrn Bruder!«

»Ich wage nicht zu widersprechen, Sire. Indeß, bedenken Sie, die Etiquette! Sie sind König, Sie müssen wenigstens den Schein wahren. Die kleine Frau hatte Ihre Majestät ja vollständig verdrängt … Der ganze Hof lag Helenen zu Füßen, und Ihre legitime Gemahlin zog sich ganz und gar aus der Öffentlichkeit zurück … Der Kaiser ist ja auch kein Ausbund von Tugend, aber er hält doch darauf, daß die Welt nicht scandalisirt wird … verzeihen Sie diesen Ausdruck …«

Das Antlitz des Königs war mit jedem Worte seines Vertrauten finsterer und erregter geworden. Er stützte den Kopf in die Hand und blickte eine Minute lang starr vor sich hin.

»Pigault,« sagte er endlich, »seien wir aufrichtig! Was hältst du von meinem Verhältnis zu meinem kaiserlichen Bruder?«

»Die Frage ist schwer zu beantworten, Sire,« erwiderte der Bibliothekar.

»Keine Phrasen, mein Freund … Laß jetzt einmal das langweilige Geschwätz von Sire und Majestät und steh' mir ordentlich Rede … Siehst du, wie ich da so hinausschaute in das herrliche Land, das ich mein nennen könnte, wenn nicht … wenn … wenn es eben mein wäre …«

»Ich verstehe Sie nicht; sind Sie nicht König?«

Ein bitteres Lächeln spielte um Jérôme's Lippen.

»König!« wiederholte er höhnisch; »ja, König, wie der König im Schachspiel, eine Puppe, die durch die erste, beste Laune einer höhern Potenz matt gesetzt werden kann.«

»Wie meinen Sie das, Sire?« stotterte Pigault-Lebrun.

Jérôme machte eine Bewegung des Mißbehagens.

»Pigault,« sagte er, »ich bitte dich, stell' dich nicht dümmer als du bist. Du willst mich schonen. Du fürchtest meine Eitelkeit zu verletzen. Das lass' ich gelten, wenn wir im Kreise unserer Höflinge sind. Hier aber ist die Maske Luxus. Ich fordere deine Meinung, und zwar ohne Rückhalt, verstehst du?«

»Zu Befehl, Sire. Fragen Sie!«

»Du weißt,« fuhr der König fort, »daß ich trotz aller Herrlichkeit nur der elende Sclave meines Bruders bin …«

»O, Sire …«

»Aber, ich gestehe dir's offen … ich fange nachgerade an, des Possenspiels müde zu werden. Es ist weit gekommen, wenn dieser … dieser Tyrann sich erlauben darf, in meine Privatverhältnisse einzugreifen … Ich bin fest entschlossen, bei der ersten Gelegenheit ein eclatantes Exempel zu statuiren … Willst du mich dabei unterstützen?«

»Ich stehe jederzeit zu Eurer Majestät Verfügung,« lautete Pigaults diplomatische Antwort.

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