Freilich waren die Khoikhoi keine leeren Behälter, die nun mit dem Wein des Christentums gefüllt wurden, sondern sie entwickelten vor dem Hintergrund ihrer eigenen Religion ein eigenes Selbstverständnis als Christen und neue Rituale. Reisende berichteten erstaunt von der außerordentlichen Emotionalität der religiösen Zusammenkünfte, die mit heftigen Tränenausbrüchen verbunden waren und oft nachts abgehalten wurden, worin sich eine Verbindung christlicher Glaubensinhalte mit der großen Bedeutung des Mondes in den religiösen Traditionen der Khoikhoi äußerte.
Mit den Missionaren erschienen weitere wichtige Akteure an der Frontier, die je nach Lage von den übrigen Beteiligten für die eigenen Zwecke eingespannt werden konnten. Van der Kemp verbreitete nicht nur die christliche frohe Botschaft unter den Khoikhoi, sondern er vermittelte ihnen über die Missionsschule auch westliche Bildung, ohne jedoch von ihnen eine Anpassung ihrer Lebensweise, Kleidung oder Alltagsverhalten an europäische Vorbilder zu verlangen. Doch andere Vertreter der LMS teilten seine Ideale keineswegs. Sie waren überzeugt, dass sich die christliche Botschaft nicht von der europäischen Kultur und Lebensweise trennen ließ und beharrten darauf, dass alle christianisierten Afrikaner sich der europäischen Zivilisation assimilieren müssten. Mit dieser Haltung erschwerten sie ihre eigene Arbeit unter den bantusprachigen Afrikanern ganz erheblich, da sie so zentrale Institutionen wie die Polygamie und lobola, den sog. »Brautpreis«, zu einem Kernproblem ihrer Missionstätigkeit erhoben. Des Weiteren bestanden diese Missionare auf einer klaren geschlechtlichen Arbeitsteilung nach europäischem Muster. Für sie war es ein Zeichen von afrikanischer Barbarei, dass die Frauen die Felder bestellten, was sie als Versklavung durch ihre »faulen« Männer werteten, wohingegen nach ihrem Dafürhalten Frauen ins Haus gehörten.
Als van der Kemp 1811 starb und ruchbar wurde, dass Read unverheiratet mit einer jungen Khoifrau zusammenlebte, nutzten ihre Gegner die günstige Gelegenheit, um die ganze Richtung, für die die beiden standen, zu desavouieren und nunmehr ganz auf die Kombination von christlicher mit zivilisierender Mission zu setzen. Hinzu kam, dass 1812 noch auf Betreiben van der Kemps und Reads ein reisender Gerichtshof in den Osten der Kolonie kam, um den von beiden gesammelten Vorwürfen nachzugehen, dass die burischen Farmer systematisch ihre Landarbeiter misshandelten und ausbeuteten. Die eingeschüchterten Zeugen waren jedoch nicht bereit, ihre früheren Aussagen zu wiederholen, sodass die Untersuchung der Juristen mit einem Sieg der Farmer endete, was aber deren Ressentiments gegenüber den Missionaren keineswegs dämpfte.
Zwar hatten die Khoikhoi gleichen Zugang zu den Gerichten wie die Weißen – und dieses Recht wurde ihnen nach 1795 mehrfach ausdrücklich bestätigt – doch in der Realität sah es anders aus: Kaum ein Khoikhoi fand den Mut, seinen Herrn anzuklagen aus Angst vor Repressalien seines Herrn und sogar des Richters. Der Richter war in der Regel der Landdrost oder einer seiner Beamten, die selbst Farmer waren. Die britische und batavische Verwaltung versuchten, schriftliche Arbeitsverträge einzuführen, um die Rechtssicherheit der Khoikhoi zu erhöhen, doch ohne großen Erfolg. Neben diesen eher papierenen Rechten mussten die Khoikhoi weitere reale Einschränkungen ihrer Freiheit hinnehmen. 1797 und 1798 wurde in Verordnungen festgelegt, dass alle Khoikhoi verpflichtet seien, in den Distrikten Swellendam und Graaff-Reinet, d. h. dem größten Teil der Kolonie, Pässe bei sich zu tragen, sobald sie die Farm ihres Herrn verließen. Mit diesen Verordnungen sollten die Khoikhoi fester an die Farm gebunden werden. Faktisch wurden sie ihren Herren noch schutzloser ausgeliefert. Ein Khoikhoi, der seinen Herrn beim Landdrost verklagen wollte, musste auch dafür von ihm einen Pass erhalten. Es kam häufig vor, dass die wenigen Khoikhoi, die es wagten, ihre Rechte in Anspruch zu nehmen und die auf dem Weg zum Landdrost waren, von anderen Farmern als Landstreicher aufgegriffen und in die eigenen Dienste gezwungen oder misshandelt wurden. Hinter diesen Maßnahmen stand allerdings auch die Angst vor der wachsenden Zahl geflüchteter Khoikhoi, die sich mangels Lebensalternativen zu Räuberbanden formierten.
Als 1799 der Aufstand der Buren an der Ostgrenze erneut aufflammte, benutzten hunderte von Khoikhoi die Gelegenheit, von den Farmen zu flüchten und sich in größeren Gruppen zusammenzuschließen. Sie zogen sich zum Teil in unzugängliche Gebiete zurück, etliche begaben sich unter den Schutz der Xhosa, viele suchten in den folgenden Jahren Zuflucht auf den Missionsstationen. Die meisten aber kehrten nach einiger Zeit aus purer Not wieder in den Dienst weißer Farmer zurück. Der Bericht des batavischen Gouverneurs Janssens nach einer Reise in die östlichen Grenzgebiete im Jahr 1803 war für die Buren nicht sehr schmeichelhaft:
»Die Grausamkeiten gegenüber den Hottentotten übersteigen alles, was man in Kapstadt davon hört, ja, was man sich überhaupt vorstellen kann. […] Klagen über das Zurückhalten von Kindern, Vieh, Lohn, und dergleichen mehr, sind dermaßen zahlreich, dass diese kaum aufzuzählen wären, ohne ein ganzes Buch zu füllen. Unterricht! Unterricht! fehlt ihnen vor allem; sie nennen sich selbst Christen, die Kaffern und Hottentotten dagegen Heiden, und auf Grund dessen glauben sie zu allem berechtigt zu sein. Ein Bruder von Thomas Ferreira, der glaubt über einige Bildung zu verfügen, hat die Entdeckung gemacht, dass die Hottentotten die Nachkommen der verfluchten Rassen von Ham seien, und darum von Gott zu Dienstbarkeit und Misshandlung verdammt.« 2 2 Zit. nach H. J. van Aswegen, Geskiedenis van Suid-Afrika tot 1854, Pretoria – Cape Town 1989, S. 173; Übersetzung des Autors.
3.5 Der Beginn der dauerhaften britischen Herrschaft nach 1806
Als in Europa erneut der Krieg gegen Napoleon ausbrach, erschien abermals eine britische Flotte vor der südafrikanischen Küste. Es gelang ihr, nördlich von Kapstadt eine Landungsoperation durchzuführen. Janssens Versuche, eine Gegenwehr zu organisieren, scheiterten an den unzulänglichen Ressourcen der Kolonie. Am 18. Januar 1806 übergab er die Kolonie dem britischen Generalleutnant Sir David Baird. Diesmal blieben die Briten, und die Niederländer mussten ihnen die Kapkolonie auf Dauer abtreten. Trotzdem behielten sie den Verwaltungsaufbau aus der VOC-Zeit im ländlichen Raum bei. Abgesehen von der Vermehrung der Verwaltungsdistrikte im Landesinneren besetzten niederländische Beamte und lokale Eliten weiterhin die wichtigsten Positionen, da nur sie über die Sprachkenntnisse verfügten, um die Herrschaft zur Siedlerbevölkerung zu vermitteln. Die Machtkonzentration in den Händen der Gouverneure, von denen die meisten hohe Armeeoffiziere waren, nahm weiter zu, da sowohl das Amt des Vizegouverneurs als auch dasjenige des unabhängigen Fiscaal abgeschafft wurden. Die Machtfülle der Gouverneure stand durchaus im Einklang mit Vorstellungen von moderner Staatsverwaltung, da das Hauptziel die gesteigerte Effizienz und der Kampf gegen Korruption und Schlendrian war.
Gleichwohl mussten die Briten auf die historisch gewachsenen Verhältnisse Rücksicht nehmen und nichts lag ihnen ferner, als diese gewaltsam zu verändern. Zunächst mussten sie die mächtigste Gruppe der Bevölkerung, nämlich die niederländischen burischen Siedler, mit ihrer eigenen Herrschaft versöhnen. Vertrauensbildend wirkte es, als sie ihnen signalisierten, dass sie von den neuen Herren nichts zu befürchten hatten, vor allem keine umgreifende Veränderung der sozialen Ordnung. Das lag im eigenen britischen Interesse, bestand doch die Mehrheit der Bevölkerung noch immer aus Sklaven.
Ansonsten gab es eine Reihe von Gesetzesvereinheitlichungen, zu deren wichtigster die Einführung einer allgemeinen Passpflicht für die Khoikhoi zählte. 1809 dehnte Gouverneur Caledon die bis dahin eher ad hoc und auf bestimmte Gebiete oder Gelegenheiten beschränkten Passgesetze auf die ganze Kolonie aus. Damit generalisierten die Briten die Einschränkung der Freizügigkeit für die indigene Bevölkerung, was gleichzeitig deren freie Berufswahl und damit auch ihre Verhandlungsposition auf dem Arbeitsmarkt eng begrenzte. Die Passgesetze wurden fast 200 Jahre lang den wechselnden Umständen angepasst und modernisiert. Dies bedeutete faktisch: Sie wurden verschärft und auf weitere Bevölkerungsgruppen ausgedehnt.
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