1 ...8 9 10 12 13 14 ...20 »Kommen Sie, Major, Sie wissen, wie schwer man aus dem Ding heraus und wieder hinein kommt. Die Erfinder hätten irgendeine Mechanik integrieren sollen, die ein vollautomatisches Ankleiden ermöglicht.«
Nielsen lachte. »Sie meinen wie bei Iron Man? Träumen Sie weiter. Sie werden schon Ihre Zofen brauchen, um sich aus dem Panzer zu schälen.«
Eine Vollautomatik hätte tatsächlich etwas für sich gehabt. Zwei Militärangehörige hatten fünfzehn Minuten gebraucht, um Nielsen von der Tyr-Rüstung zu befreien. Das Ankleiden dauerte sogar noch fünf Minuten länger, bis alles saß, verzurrt und angeschnallt und abgedichtet war. Er nahm sich vor, diesen Punkt in seiner Bewertung für den Bericht, den er schreiben musste, aufzunehmen. Ob er darin erwähnte, dass der Vorschlag eigentlich auf Larsens Mist gewachsen war, überlegte er sich noch.
»Haben Sie das im zweiten Film gesehen? Diesen roten Koffer, den er bei sich tragen konnte. Ein Knopfdruck und schwups, entblätterte sich die ganze Rüstung und legte sich um seinen Körper.« Larsen blickte in die Luft, als glaubte er, dort jemanden wie seinen Superhelden zu sehen. »Iron Man ist cool.«
»Wir sind cooler, Isak«, sagte Nielsen. »Wir haben außer der Tyr-Rüstung noch das Lokipuls. Das geht durch Starks Rüstung wie durch Butter.«
»Das müsste noch bewie…« Larsen sprach nicht zu Ende, da ein Funkspruch ihn unterbrach.
»Wir sind da auf etwas gestoßen!« Das war Dr. Agrens Stimme.
Nielsen nickte Larsen zu. Dieser beeilte sich, in Zelt Nummer zwei zurückzukehren, während er selbst mit den beiden Kaffee in der Hand zu der Schleuse ging, aus der er vor wenigen Minuten gekommen war.
Noch immer konnte er die Rückansicht von Dr. Agren bewundern, doch etwas hatte sich verändert. Die Ärztin hantierte hektisch an der Tastatur eines Computers, justierte über einen Touchscreen Bilder nach, während Schweißperlen auf Dr. Eggströms Stirn glänzten.
»Hat hier jemand Kaffee bestellt?«
Hanna fuhr herum, sah zu ihm auf und winkte ihm. »Kommen Sie, Sie müssen sich das ansehen.«
Nielsen trat an sie heran und reichte hinter ihrem Rücken den Becher an Eggström weiter. Der zog sich die Kappe vom Kopf, wischte sich damit den Schweiß von der Stirn und nahm dann einen großen Schluck. Angewidert verzog er das Gesicht und beherrschte sich mühsam, nicht den Inhalt seiner Mundhöhle mitten im Labor auszuspucken.
»Herrgott, der ist ja … widerlich!«
»Hat Automatenkaffee so an sich«, sagte Nielsen. Er war stolz auf sich, dass er dabei nicht mal mit den Mundwinkeln zuckte. Interessiert beugte er sich über den Schreibtisch und sah Hanna Agren über die Schulter. »Was haben wir?«
Eggström fluchte noch immer. »Major, was ist das?«
»Hm?« Nielsen blickte kurz auf und sah, wie der Virologe mit zusammengekniffenen Augen auf den Becher deutete und ihn dann in einen Ausguss schüttete.
»Zu stark?« Demonstrativ nippte Nielsen an seinem Kaffee und runzelte dann die Stirn. »Oh, scheint, als hätte ich Ihnen meinen gegeben. Na ja, nichts für ungut, Doc.«
Er ignorierte die empörte Bemerkung des anderen und wandte sich wieder Hanna zu.
»Sie können ganz schön gemein sein«, raunte sie ihm zu, während sie gleichzeitig auf das Display vor sich deutete.
»Er hat es verdient. – Was haben wir da?«
»Womit? Er hat Ihnen doch gar nichts getan.« Hanna sprach lauter: »Wir haben die Todesursache der Leute am See festgestellt. Chemische Spurenanalyse und die Untersuchung mit dem Elektronenrastermikroskop weisen darauf hin, dass sämtliche Zellen frei von ATP sind.«
»Er ist arrogant«, murmelte Nielsen. »ATP?«
Hanna nickte und streckte ihre Finger nach einem Schalter neben dem Bildschirm aus. »Ich lege uns auf die Kommunikation zu den beiden anderen Zelten, damit die Kollegen mithören können. ATP ist das Kürzel für Adenosintriphosphat, ein Nukleotid, das in einfacher Form ausgedrückt reine Zellenergie darstellt.«
»Und ich dachte immer, Dextrose wäre Sofortenergie.« Das war Larsens Stimme aus den Lautsprechern.
»Klappe halten, Löjtnant!«
Hanna lächelte. »Lassen Sie ihn ruhig. Er hat nicht ganz unrecht. Die Werbung verspricht uns Sofortenergie durch Traubenzucker. Was sie verschweigt, ist, dass auch dieser Zucker in den Zellen gespalten und verarbeitet werden muss, ehe reine und universell einsetzbare Zellenergie entsteht – ATP.«
»Wir haben eine biochemische Analyse des Zellgewebes vorgenommen, Dr. Agren«, meldete sich einer der anderen Militärwissenschaftler zu Wort. »Mit dem gleichen Ergebnis. Die verstorbenen Organismen weisen keine Spuren von ATP auf.«
»Die Aufnahmen des Elektronenmikroskops, die ich Ihnen gerade geschickt habe, zeigen, warum. Die Zellen besitzen keine Mitochondrien mehr.« Hanna sah zu Nielsen. »Das sind für Laien ausgedrückt mikroskopisch kleine Organe, sogenannte Organellen, die innerhalb von Zellen arbeiten und als eine Art Kraftwerk für Zellenergie fungieren.«
Nielsen fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Lassen Sie mich raten, diese Mitochondrien produzieren ATP.«
»Exakt.«
»Also hat irgendwer dafür gesorgt, dass alle Mitochondrien gleichzeitig ausfallen, keine Energie mehr produziert wird und die Menschen einfach in sich zusammengesackt sind. Aber es müssen doch noch Restspuren von ATP im Körper gewesen sein. Ich meine, wenn ich bei einem Radio den Stecker ziehe, geht es sofort aus, aber ein Mensch klappt doch nicht augenblicklich zusammen, weil …«
»Der menschliche Organismus ist wie der eines jeden anderen Säugetiers auch ein pausenlos arbeitendes System an Informationsweiterleitung, biochemischen Prozessen, Energiegewinnung und deren Verbrauch«, mischte sich Eggström ein, der das Kaffeeattentat offenbar überwunden hatte. »Wenn schlagartig alle Mitochondrien in jeder Zelle ihre Arbeit einstellen, erleidet der Betreffende multiples Organversagen. Die Restenergie, die ihn noch ein paar Sekunden aufrecht stehen lässt, verbraucht sich rasend schnell, bis dann nur noch ein Zusammenklappen bleibt. Der Tod tritt unmittelbar danach ein. Herzversagen, Atemstillstand, Sauerstoffunterversorgung des Gehirns, Exitus.«
Nielsen stieß die Luft aus und rieb mit einer Hand über sein Kinn.
»Also, wer könnte diese Mitochondrien zum Schweigen gebracht haben?«
»Nicht zum Schweigen«, sagte Eggström. »Ausgelöscht. Es sind de facto keine mehr da!«
Aus den Lautsprechern drang ein Schnappen, jemand hatte wohl erschrocken Luft geholt. Nielsen sah die beiden Wissenschaftler fragend an. Niemand antwortete. Auch in den anderen Zelten herrschte Ratlosigkeit.
Ein Knacken in der Funkverbindung brach das Schweigen.
»Major Nielsen? Wir haben einen Vorfall! Der Polizei- und Rettungsfunk berichtet von massiven Sterbefällen in Boden. Die Menschen brechen auf der Straße einfach zusammen!«
Alarmiert blickte Nielsen auf. »Was? Wiederholen Sie!«
»Die Berichte überschlagen sich und viele Meldungen sind abgehackt, weil sie abbrechen, bevor sie zu Ende gesendet wurden.« Der Sprecher holte tief Luft. »Boden wird angegriffen, Major!«
* * *
Angriff war etwas, womit Albin Nielsen umgehen konnte. Er war darauf trainiert und ausgebildet, einer Bedrohung von außen zu begegnen – solange sie sichtbar war. Viren und Bakterien waren die Feinde der Wissenschaftler, ihr Metier. Nielsen brauchte etwas, das er anvisieren und erschießen konnte. Er drehte sich um und griff nach dem Lokipuls, als er sich daran erinnerte, dass er außer seiner Uniform nichts trug. Ohne die Tyr-Rüstung kam er sich plötzlich nackt vor. Er fluchte und drückte eine Taste an seinem Funkgerät.
»Larsen? Sie stecken doch noch in ihrer Tyr. Helm auf und raus! Nehmen Sie alle verfügbaren Männer mit, die ebenfalls noch die Rüstung anhaben.«
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