1 ...7 8 9 11 12 13 ...22 8Wörtliches Zitat: »Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in unserer übertausendjährigen Geschichte«. Am 2.6.2018 auf dem Bundeskongress der Jungen Alternative für Deutschland. Verfügbar unter https://afdbundestag.de/vollstaendige-rede-dr-alexander-gaulands-vom-02-juni-2018/[4.10.2021].
9»Lügenpresse« ist ein Begriff aus der 1848er-Revolution, der aus antisemitischen Ressentiments gegenüber den für Freiheit und Gleichheit Kämpfenden gebraucht wurde. »Lügenpresse« wurde in diesem antisemitischen Sinn später oft von den Nationalsozialisten verwendet, was die AfD bisher nicht daran hindert, den Begriff weiter einzusetzen (siehe auch den Eintrag »Lügenpresse« in Graf von Bernstorff 2020).
10Grundgesetz-Artikel 23 ist der sog. Beitrittsartikel für die Aufnahme anderer deutscher Länder in die BRD. Artikel 146: »Dieses Grundgesetz, das nach der Vollendung der Einheit und Freiheit für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.«
11Nach den gesetzlichen Vorgaben können Akten im Bereich des öffentlichen Rechtes erst 30 Jahre nach Auflösung der betreffenden Institution eingesehen werden.
12»Wir brauchen eine kritische Auseinandersetzung mit den sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Ursachen und Folgen der Transformation [seit dem Mauerfall, Anm. d. Verf.]. In dieser Aufarbeitung müssen alle Erfahrungsräume Platz finden. […] Historische Entwicklungen seit dem 19. Jahrhundert, Prägungen durch den Nationalsozialismus und den SED-Kommunismus, die fehlende Aufarbeitung von Kolonialismus, Rassismus und Antisemitismus und der Transformationsprozess seit 1990 gehören in der Analyse zusammen […] als eine gesamtdeutsche Geschichte […]. Bundesdeutsche und DDR-Geschichte, deutsche und europäische, europäische und globale Geschichte gehören zusammen […]. Das könnte gelingen« (Kowalczuk 2019, S. 214).
13Dieser wichtige und überaus kontrovers aufgenommene Text zur Treuhand wurde mir erst kurz vor Drucklegung dieses Textes hier bekannt.
Meine Biografie. Mein Leben. Mein Beitrag.
Anna Hoff und Ansgar Röhrbein
Politische Bildung und Biografiearbeit – eine geniale, weil aktivierende Verbindung
Das Leben ist politisch. Wir Menschen werden in politische Systeme hineingeboren, die unmittelbar Einfluss auf unser Dasein haben. Unsere medizinische Versorgung vom ersten Lebenstag an, unser Zugang zum Bildungssystem, die uns zur Verfügung stehenden Produkte im Supermarkt bis hin zur Frage, ob wir unsere gleichgeschlechtliche Partnerin heiraten dürfen oder nicht – das alles wird politisch verhandelt.
Was ist, wenn sich das politische System verändert? 1945 (von heute, 2020, aus gesehen vor 75 Jahren) endete die Diktatur des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland. Mit dem Ende des heißen Krieges begann der Kalte Krieg und damit eine Zweiteilung der deutschen Gesellschaft. Die Menschen im Osten der heutigen Bundesrepublik erlebten weitere 40 Jahre Diktatur, diesmal unter kommunistischen Vorzeichen. Seit, von heute aus gesehen, 30 Jahren ist das politische Fundament der gesamten Bundesrepublik nun demokratisch verankert. Wer demnach heute im Osten Deutschlands lebt, rund 80 oder 90 Jahre alt ist und sein Leben überwiegend am gleichen Ort verbracht hat, hat drei politische Systeme erlebt. Das prägt – nicht zuletzt durch unterschiedliche Bildungsansätze (vgl. Hepp 2013). Aber mindestens so wirkmächtig wie Gesellschaftsgeschichte ist die eigene Familiengeschichte.
Denn selbst wenn sich die politische Ordnung, in der Menschen miteinander leben, von heute auf morgen verändert, verändern sich nicht (automatisch) die Menschen (mit). Sie sind geprägt von den Geschichten ihrer Familien, von Glaubenssätzen und persönlichen Wertvorstellungen (vgl. Bode 2019).
Wie bewusst sind uns all diese Zusammenhänge?
Die Demokratie beschert dem einzelnen Menschen im Vergleich zu allen anderen politischen Systemen, die wir kennen, die größtmögliche Freiheit. In keinem anderen Gesellschaftssystem ist das Individuum in der Lage, eigenmächtiger und selbstwirksamer zu agieren. Und doch gibt es Menschen, die sich in unserem demokratischen System ohnmächtig fühlen, weil sie keine Gestaltungsräume sehen. Einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zufolge war 2019 nicht mal die Hälfte der befragten Bürgerinnen und Bürger in Deutschland mit der Demokratie zufrieden (Decker, Best, Fischer u. Küppers 2019). Sie stellen das System infrage, in dem sie demokratietheoretisch der oberste Souverän sind. Viele von ihnen nutzen keins der ihnen zur Verfügung stehenden demokratischen Instrumente: Wahlen, Petitionen, Demonstrationen, Sprechstunden der Abgeordneten im Wahlkreis. Viele Menschen erleben keinerlei gesellschaftspolitische Selbstwirksamkeit.
Alleine das politische System dafür verantwortlich zu machen und die Menschen, die dieses System aktiv gestalten, wäre verkürzt. Denn auf der anderen Seite stehen Bürgerinnen und Bürger, die ihre Gestaltungsspielräume sehr wohl sehen und wahrnehmen: 2018 sind über 13 000 Petitionen beim zuständigen Ausschuss des Deutschen Bundestages eingegangen (vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 19/9900). Alleine in Berlin wurden 2019 mehr als 5350 Demonstrationen angemeldet (vgl. Tagesspiegel 26.12.2019). Die aktuellsten Erhebungen des Statistischen Bundesamts zur allgemeinen Bürgerbeteiligung zeigen, dass 2016 eine beziehungsweise einer von sechs Bürgerinnen und Bürgern eine Politikerin oder einen Politiker kontaktiert hat (vgl. Weßels 2018).
Was also unterscheidet die Ohnmächtigen von den Selbstwirksamen?
Man hört auf diese Frage zahlreiche Antworten. Denn das Zusammenwirken von Politik und Individuum ist hochkomplex. Wer verunsichert ist, erlebt sich möglicherweise eher als überfordert, sucht nach Orientierung und bleibt tendenziell eher passiv. Andererseits ist es wahrscheinlich, dass das Wissen über die eigenen Handlungsspielräume die Selbstwirksamkeit erhöht. Menschen brauchen Informationen über Politik und Gesellschaft, um mitzuwirken und sich ihre eigene Meinung zu bilden. Sie brauchen aber auch ein Bewusstsein dafür, dass sie als Teil des Systems elementar sind. Sie benötigen die Selbstgewissheit, dass sie relevant sind und durch aktives Handeln Dinge verändern können.
Wissen über Politik und Demokratie vermitteln in Deutschland die schulische und außerschulische politische Bildung. Ihre zentrale Aufgabe ist es, aus passiven Individuen partizipierende Bürgerinnen und Bürger zu machen.
»Ziel Politischer Bildung ist kritisches Bewusstsein, selbstständiges Urteil und politisches Engagement. Voraussetzung für demokratisches Engagement ist, dass dem Bürger die Zusammenhänge zwischen individuellem Schicksal und gesellschaftlichen Prozessen und Strukturen bewusst werden« (Drechsler, Neumann u. Hilligen 2003, »Statt eines Vorwortes«).
Die politische Bildung hat sich in den letzten Jahren stets weiterentwickelt. Sie nutzt alle ihr zur Verfügung stehenden Kanäle (Bücher, soziale Medien, Workshops, Unterrichtseinheiten etc.), um die Menschen zu erreichen. Sie ist in immer mehr Bereichen eine Querschnittsaufgabe (in der Sozialen Arbeit, in Unternehmen, in der Bundeswehr etc.) und dadurch zunehmend aufsuchend tätig. Politische Bildung versucht stets, die Betroffenheit des Einzelnen (»Was hat Politik mit mir ganz persönlich zu tun?«) zu wecken, aber ihre Methoden und Inhalte sind zielgruppenorientiert und weniger selbstreflexiv ausgerichtet. Ungestellt bleiben meist Fragen wie: »Wer bist du, welche Geschichte(n) hast du im Gepäck, und was kannst du ganz konkret in die Gesellschaft einbringen?« Dadurch bleibt Politik für viele häufig abstrakt und wird nicht Teil des persönlichen Bewusstseins.
Читать дальше