»Beschwer dich nur nicht zu laut«, warne ich ihn. »Man könnte deine Worte als Tadel verstehen.«
Er wirft einen Blick über seine Schulter. Die Männer, neben denen er diesen Berg bestiegen hat, tragen reglose Masken. Sie haben Erfahrung darin, ihre Gedanken zu verbergen. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie nicht bemerken, was rund um sie herum vorgeht. Dann ist da noch Janifik, der als mein Diener abgestellt worden ist und sich ständig in meiner Nähe aufhält. Wie oft ich erschrocken bin, weil er plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht ist. Unter Umständen berichten die Männer oder Janifik meine Worte und Kritik direkt an den Fürsten, dabei möchte ich, dass er eine gute Meinung von mir hat.
Verfolgungswahn kann ich nicht gebrauchen. Ich sehne mich nach jemandem, dem ich blind vertrauen kann. Zum Glück habe ich Elevander, der mir zur Seite steht. Die Soldaten verstärken meine Unsicherheit noch.
Elevander macht einen Schritt zurück, bis er sich wieder nahtlos in seine Reihe fügt. »Ich weiß zu schätzen, wo ich bin«, sagt er mit einem Tonfall, der seinen Worten eine geheime Bedeutung gibt.
Erleichterung macht sich in mir breit, als er wieder zu einem von vielen wird, als er mit der Masse verschwimmt und dadurch nicht in Gefahr gerät, für ein unbedachtes Wort bestraft zu werden. Elevander will mich nur beschützen. Doch ich will auch auf ihn aufpassen.
Der Fürst brüllt einen Befehl. Sofort setzen sich die Männer wieder in Bewegung. Hastig schließe ich zu meiner Gruppe auf. Wir reiten wieder direkt in einer Reihe, haben aber auf dem jetzt breiteren Pfad genug Platz, um mehr Abstand nebeneinander zu halten. Der Weg schlängelt sich den Berg hinunter. Bis in das Moor, in dem Umock lebt, werden sie mir nicht folgen. Ich bin nicht in der Lage, den Schutzzauber für sie alle zu sprechen.
Die Serpentinen sind eine Herausforderung für Reiter und Tier, weshalb wir nur langsam vorwärtskommen. Auch der steile Abfall des Berges bremst uns. Hat zu Beginn des Abstiegs die Sonne gerade den Horizont berührt, schiebt sie sich jetzt gnadenlos tiefer. Nicht mehr lange, und die Dunkelheit senkt sich über die Umgebung. Wir müssen uns beeilen, wenn wir rechtzeitig ein provisorisches Lager errichten wollen.
Als sich endlich vor uns der Weg weitet und wir auf einer kleinen Ebene einlangen, fühle ich Erleichterung. Der Gedanke, nach Sonnenuntergang unterwegs sein müssen, hat mich mit Sorge erfüllt. Wir haben uns auch beträchtlich dem Sumpf genähert. Ein Fußmarsch von vielleicht einer Viertelstunde trennt uns von den ersten Ausläufern der nebelverhangenen, abgestorbenen Baumlandschaft. Ich bin nicht böse, wenn wir dazu nachts reichlich Abstand halten.
Unser Fürst gibt den Befehl, einige Sträucher am Wegesrand auszureißen, um Platz für unsere Männer zu machen. Dann wendet er sich an mich. »Seid Ihr mit diesem Lagerort zufrieden?«
Ich schließe die Augen, stelle eine Verbindung zu meinem Großvater her. Tagsüber habe ich ihm, wie sonst auch immer wieder, Informationen über den Verlauf unserer Reise zukommen lassen. Er weiß also, wo wir uns befinden. Das ermöglicht es ihm, in den Zeiten zwischen unseren stummen Unterhaltungen Erkundigungen einzuholen. Jetzt sendet er mir Bilder, durch die ich die Gunst des Fürsten für mich gewinnen kann.
Mit einem vorsichtigen Lächeln wende ich mich an den Mann, der mich neugierig beobachtet. »Ich denke, er ist nahezu ideal. Allerdings sollten wir uns ein paar Armlängen in den Wald schlagen. Dort finden wir eine Lichtung, die für unsere Zwecke geeignet ist.«
Wir werden keinen anderen Wanderern begegnen. Hier kommt nur vorbei, wer eine Abkürzung erhofft oder Umock um die Erfüllung eines Wunsches bitten will. Ich weiß nicht, ob der König der Nebelseelen tatsächlich im Austausch für die Seele des Bittstellers dessen Träume wahr werden lässt. Wer würde schon seine Seele vor seinem Tod verschachern, nur um lächerlichen Tand zu erhalten, den er nicht in die Anderswelt mitnehmen kann? Ich könnte mir nichts vorstellen, wofür ich die Reinheit meiner Seele opfern würde.
»Seid Ihr sicher, dass es eine Lichtung mitten im Wald gibt?«, fragt der Fürst nach. »Es führt kein Pfad dorthin. Wir müssten Bäume abholzen, damit die Reitechsen hindurch können.«
»Die Lichtung befindet sich direkt vor uns. Nur ungefähr zehn Armlängen in diese Richtung. Schickt Botschafter aus, damit sie meine Aussage bestätigen. Es werden uns nicht viele Bäume im Weg sein. Das versichere ich Euch.«
Der Blick des Fürsten ruht noch einmal mit unangenehmer Intensität auf mir. Dann nickt er und gibt die Befehle weiter. Zum Glück sind die Aussagen meines Großvaters genau. Ich bin ein weiteres Mal der Enthüllung als Scharlatan entkommen.
Es dauert ungefähr eine Stunde, bis alle Männer auf der Lichtung angekommen, die Reitechsen versorgt und die Zelte für die Truppen aufgestellt sind.
In der Mitte der Lichtung hat man Lagerfeuer entzündet. In deren Nähe und damit gut beleuchtet und gewärmt, steht das Zelt, das der Fürst bewohnen wird. Daneben übernachten seine Ratgeber. Mir wird wieder eine Sonderstellung eingeräumt. Mein Zelt steht weder bei diesen wichtigen Männern, noch ist es Teil des Ringes von auf dem Boden ausgerollten Decken, der das Lager umgibt. Dort werden die Soldaten sich zur Ruhe begeben, um den Fürsten vor Angriffen zu schützen, während ich zehn Armlängen von den anderen in einem Zelt nächtigen werde. Es ist deutlich kleiner als die der Ratgeber. Ich muss allerdings meinen Kopf nicht direkt auf das Gras betten und habe ein Dach über dem Kopf. Viel mehr kann ich nicht verlangen.
Überall, wo ich meine Hilfe anbiete, werde ich abgewiesen. Jeder bedenkt mich mit einem vorsichtigen Blick, als könnte ich versehentlich Decken in Brand stecken oder die Reitechsen verschrecken. Ich komme mir wieder einmal überflüssig vor und bin froh, dass ich zumindest heimlich mit einem Zauber einen Krug heilmachen kann, der während der Reise zerbrochen ist. Wieso muss ich immer der Außenseiter bleiben?
Als es schließlich den Anschein hat, als wäre alles für die Nacht vorbereitet, nähere ich mich den Feuern in der Mitte des Lagers. Über den Flammen werden Schwimmechsen gebraten. Der Duft steigt mir sofort in die Nase und erinnert mich daran, dass ich seit Stunden nichts zu mir genommen habe. Die Soldaten haben große Exemplare dieser Flussbewohner erlegt. Ihr Geschmack erinnert an den von Hähnchen, aber viel würziger. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Ob die fast eine Armlänge großen Tiere dieser Gegend ähnlich lecker sein werden?
Ich nähere mich den Feuern. Bevor ich mich erkundigen kann, wie lange es noch dauert, bis ich vom Fleisch kosten darf, erscheint Janifik neben mir. Abgestellt, um mir zu dienen, scharwenzelt er um mich herum, sobald meine Füße festen Boden berühren. Ich sollte dankbar dafür sein, dass er sich so viel Mühe gibt. Dennoch fühle ich mich von seiner ständigen Nähe erdrückt. Der bewundernde Ausdruck in seinen Augen macht mir klar, welch große Hoffnungen er in mich hegt. Denen kann ich unmöglich gerecht werden.
»Wünscht Ihr zu speisen?«, fragt der Mann, der vermutlich sogar ein paar Jahre älter ist als ich. »Man hat mir gesagt, dass die Echsen in einer halben Stunde fertiggegart sind. Ich kann Euch in der Zwischenzeit Suppe und Brot organisieren.«
»Das ist sehr freundlich von Euch, aber nicht notwendig.«
Bestürzung zeigt sich in seinem Blick. Er tritt näher an mich heran. »So dürft Ihr mich nicht ansprechen. Ich bin nur ein einfacher Soldat, während Ihr der Vertreter des Großen Zaubermeisters seid.«
Müde unterdrücke ich ein Seufzen und nicke. »Es tut mir leid. Natürlich hast du recht. Ich werde auf meine Worte achten.«
Man muss mir meine Erschöpfung ansehen, denn Janifik schiebt mich zu einem Holzstamm und deutet mir, mich zu setzen. Meine Knochen protestieren. Jetzt kann ich nichts für sie tun. Morgen wartet zusätzlich noch eine längere Wanderung auf mich.
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