Die Arbeitsfrage lautet: Was wäre mit Ihren Ressourcen, Ihrem Wissen und Ihren Kontakten alles möglich?
Vielleicht sind Sie leidenschaftlicher Tortenbäcker, ihre beste Freundin arbeitet als Hochzeitsfotografin und Ihr Bruder verfügt über eine riesige Küche, die er so gut wie nie benutzt, seit die Kinder aus dem Haus und die Ehe geschieden ist. Dann wäre es mit Ihren Mitteln möglich, eine Hochzeitstortenmanufaktur auf die Beine zu stellen und Ihr Hobby zum Beruf zu machen.
Erst im zweiten Schritt geht es um die Frage, welche der möglichen Ziele Sie auch tatsächlich erreichen wollen. Gewöhnen Sie sich dabei ruhig an, mehrere Optionen gleichzeitig zu verfolgen.
Sie sehen: Mittelorientierung bedeutet keineswegs, ziellos zu handeln. Wir alle brauchen ein Ziel, um überhaupt loszugehen.
Der Unterschied zur Zielorientierung, die in der Managementtheorie postuliert wird, liegt darin, dass Sie nicht schon am Anfang ein fixes Ziel definieren, das dann um praktisch jeden Preis erreicht werden muss. Stattdessen erarbeiten Sie erste Zielvorstellungen, die die grobe Richtung vorgeben. Einmal unterwegs, konkretisieren Sie Richtung und Ziele schrittweise, verschieben sie aber auch mal oder geben sie zugunsten eines anderen Ziels auf.
Wie ein Kurhaus am Rande der Republik zum Schauplatz für Deutschlands bestes Festival wurde
Karl-August Tapken hat in seinem Leben wahrscheinlich nie etwas von Effectuation gehört. Trotzdem setzte der Gastwirt aus Friesland nach bester Effectuator-Manier seine Mittel ein, um etwas Neues zu schaffen, und legte damit den Grundstein für ein einmaliges Festival, das 2017 als »bestes Festival des Jahres« ausgezeichnet wurde und auch lange nach seinem Tod noch jedes Jahr Tausende Besucher an den Jadebusen in Niedersachsen zieht.
Und das kam so: Von seinem Vater hatte Tapken zusammen mit seinen Geschwistern ein jahrhundertealtes Kurhaus direkt am Strand von Dangast geerbt. Er war ein liberaler, unkonventioneller Mensch und so avancierte sein Betrieb in den 1970er-Jahren zu einem beliebten Treffpunkt für Künstlerinnen und Freigeister, die die Gasträume als Ateliers nutzen durften und mit ihren Aktionen immer wieder für überregionalen Medienrummel sorgten. In jener Zeit führte Tapkens Schwester Ulrike den köstlichen Rhabarberkuchen ein, für den das Kurhaus noch immer bekannt ist.
Doch die bunten Siebziger gingen vorbei und viele traditionelle Gasthäuser mussten ums Überleben kämpfen. Wieso nicht das Kurhaus Dangast? Weil Karl-August Tapken seine Mittel – ein Gasthaus direkt am Strand, Kontakte zur Kunstszene, Rhabarberkuchen und ein offenes Herz – bestmöglich einsetzte, um am Ende der Welt einen Zentralisationspunkt für Kunst, Kultur und Zusammensein zu schaffen. Lesungen, Ausstellungen, Feste und Konzerte fanden schon immer in und um den Gasthof der Tapkens statt – aber wieso nicht gleich den ganzen Strand für eine riesige Open-Air-Veranstaltung nutzen?
So entstand die Idee für das »Watt en Schlick«-Festival, das jedes Jahr namhafte Künstler und Musikfans anzieht, die mit Schlick an den Füßen und Wind im Gesicht ein rauschendes Fest feiern und den Weg nach Dangast auf sich nehmen, um die Musik und die Weite des Wattenmeers zu genießen – und den legendären Rhabarberkuchen, der dann sogar direkt am Strand serviert wird.
Das Prinzip vom leistbaren Verlust
Sarasvathys Forschung hat noch etwas anderes Überraschendes gezeigt: Erfolgreiche Unternehmer zeichnen sich gerade nicht durch eine überdurchschnittlich hohe Risikobereitschaft aus, wie es das gängige Klischee vom Unternehmertyp vermuten lässt. Vielmehr setzen sie nur das aufs Spiel, was sie zu verlieren bereit sind.
Damit haben sie einen pragmatischen Weg gefunden, Entscheidungen unter Unsicherheit zu treffen: Weil sie verstanden haben, dass Pläne schieflaufen können, überlegen sie sich, wie hoch der Verlust im äußersten Fall sein dürfte.
Auch damit handeln sie ganz anders, als es im Lehrbuch steht. Die klassische Unternehmerlogik besagt nämlich, dass ein Einsatz sich immer dann lohnt, wenn der erwartete Nutzen nur hoch genug ist. Es wird also die unbekannte Zukunft zum Ausgangspunkt für unternehmerisches Handeln in der Gegenwart gemacht. Dass das ganz schön unsicher ist, haben auch die Verfechter dieser Logik gemerkt und sich hübsche mathematische Formeln ausgedacht, mit denen sich die Zukunft berechnen lässt. Ihr Motiv ist nachvollziehbar: Wenn man seine Entscheidungen mit einer Zahl, schwarz auf weiß und nach objektiven Regeln ermittelt, begründen kann, fühlt man sich deutlich besser. Der Haken ist leider, dass Erwartungen – und seien sie noch so gut begründet oder »berechnet« – nun mal enttäuscht werden können.
Als Unternehmer müssen Sie natürlich trotzdem für die Zukunft planen und können nicht einfach abwarten, wohin die Geschichte Sie treibt. Aber Sie sollten sich dabei nicht von irgendwelchen mythischen Vorhersagen leiten lassen, sondern von dem, was Sie heute schon kontrollieren können.
Begrenzen Sie Ihren Einsatz und legen Sie die Schwelle fest, bis zu der Sie maximal gehen werden. Auf diese Weise bleiben Sie handlungsfähig – auch in unsicheren Zeiten, in denen Vorhersagen nur schwer zu treffen sind.
Anstatt erst verschiedene Szenarien durchzuspielen und aufwendige Prognosen zu erstellen, können Sie sofort mit ersten Schritten loslegen, mit den gewonnenen Erfahrungen Unsicherheiten reduzieren und dadurch aus einer großen Entscheidung viele kleine machen. Außerdem wird selbst Scheitern zu einem Ertrag: Sie wissen in diesem Fall immerhin, wie es nicht funktioniert, und können ein oder zwei Schritte zurückgehen.
Das Prinzip vom leistbaren Verlust können Sie ganz einfach anwenden, auch ohne viel theoretisches Vorwissen. Es bietet sich besonders dann an, wenn unsicher ist, was die Zukunft bringt.
Ihr Einsatz kann dabei aus folgenden Ressourcen bestehen:
Zeit
Geld und andere materielle Ressourcen
Energie
Ihr Ruf (Was denken die anderen, wenn Sie krachend scheitern?)
Opportunitätskosten (Was könnten Sie stattdessen tun?)
Ideen
Selbstvertrauen
Wie viel Sie von welcher Ressource einsetzen können oder wollen, hängt zum einen davon ab, wie knapp die fragliche Ressource ist, zum anderen davon, wie stark Sie der Verlust treffen würde. Hier kommen also subjektive und emotionale Faktoren ins Spiel, die in der klassischen Managementlogik in der Regel komplett außer Acht gelassen werden. Dort gilt der zu leistende Einsatz als objektive Größe.
Um Ihren leistbaren Verlust zu definieren und trotz Unsicherheit zu einer Entscheidung zu kommen, stellen Sie sich diese Fragen:
Was würde passieren, wenn Sie Ihren gesamten Einsatz verlieren würden? Müssten Sie dann wieder bei null anfangen? Und hätten Sie überhaupt noch genug Reserven für einen Neuanfang?
Wie können Sie Ihren Einsatz so gering wie möglich halten?
Können Sie ein großes Projekt in viele kleine Projekte unterteilen, deren Scheitern Sie leicht verschmerzen könnten?
Bloß nichts dem Zufall überlassen, so lautet ein viel beschworenes Mantra von Unternehmern. Aber warum eigentlich nicht? Im Grunde wissen Sie es doch längst: Sie können noch so gut planen, sich noch so gründlich vorbereiten – gegen den Zufall sind Sie niemals ganz gefeit. Warum also so viel Energie darauf verschwenden, ihn auszuschalten?
Читать дальше