Langsam freundete ich mich mit meiner Navi-App an, die viel mehr zu bieten hatte, als nur die Straßen anzuzeigen. Ich lernte jeden Tag dazu und fühlte mich nicht mehr so als Fahrrad-Greenhorn. Am 13. 4. 2019 fuhr ich also weiter in Richtung Osten, von wo auch der Wind wehte. Eigentlich konnte man nicht von Wind sprechen, da es bei schönem Wetter den ganzen Tag sturmartig blies.
Des Öfteren schrie ich gegen den Himmel und fragte unseren Schöpfer, warum er mir das antat. Oft musste ich im ersten Gang fahren oder gar absteigen und einige Meter schieben, da ich nicht gegen den Wind ankam.
Ich kämpfte mich so weiter über Hatvan nach Miskolc in Richtung slowakischer Grenze bei Kosice. Wider besseres Wissens hoffte ich, dass, auch wenn ich nichts mehr kannte, im Hinterland von Ungarn vielleicht doch noch was Interessantes käme. Dem war nicht so. Die Landschaft war weit und endlos zu überblicken. Highlights, Fehlanzeige. Die Felder waren gut und frisch bestellt, die Dörfer ärmlich und klein und die Leute desinteressiert bis unfreundlich. Wer sich allerdings an riesigen Feldern, aufgeteilt in Mais, Raps und Weizen, erfreuen kann, der sollte eine Reise nach Ungarn einplanen. Einziges „Highlight“ in Ungarn war, dass ich gleich von Samstag auf Sonntag keine Herberge fand, um zu übernachten.
Also musste in freier Wildbahn mein Zelt zum ersten Mal herhalten. Ich stellte es etwas abseits der Strecke hinter Hecken auf. Es war sehr kalt in dieser Nacht. Deshalb stand ich um 6 Uhr auf, kochte mir mit meinem letzten Wasser einen Tee und packte zusammen. So saß ich am Sonntag bereits um 6.55 Uhr wieder auf meinem Rad und fuhr. Dann nahm der Wind erneut zu, natürlich von vorne. Wie wild ging ich gegen den kalten Nordostwind an. Am späten Abend saß ich in einer Ortschaft an einer Bushaltestelle und machte mir Gedanken, wo ich übernachten sollte, da wieder weit und breit nichts in Sicht war. Ich beschloss, noch ein paar Kilometer zu fahren, bis es richtig dunkel wurde, um mich dann mit meinem Schlafsack unter irgendein Dächlein zu legen. Zum Zeltaufbauen hatte ich echt keinen Bock mehr.
Nach wenigen Metern um die nächste Kurve jedoch leuchtete so ein Blinkwerbeschild, wie man es aus amerikanischen Filmen kennt, rot in die Nacht: „Hotel“. Tatsächlich kam ich unter. Lustig an diesem Hotel war, dass der recht junge Besitzer erst in seinem Buchungsbuch nachschauen musste, ob noch ein Zimmer frei war. Ein Blick von mir über die Theke in sein Buch reichte, um zu erkennen, dass keine Zimmer belegt waren. Auch hingen alle Schlüssel im Schlüsselschrank. Er wollte sich ein bisschen wichtigmachen, und ich spielte das Spiel natürlich dankbar mit.
Am nächsten Morgen ging es weiter in Richtung slowakischer Grenze, wo die Grenzstadt Kostice liegt. So wie mich der Wind schon gestern den ganzen Tag bestraft hatte, so bestrafte ich ihn heute mit Missachtung und trat meist nur im 3. Gang meiner 14-Gangschaltung in die Pedale. Ich kämpfte mich Richtung Kostice. Um ca. 13 Uhr fuhr ich über die Grenze. So langweilig wie mich Ungarn entließ, so langweilig empfing mich die Slowakei. Ein weiterer Abschnitt war geschafft, und ich befand mich im 4. Land meiner Reise.
Kapitel 7
Kurzer Auftritt in der Slowakei
Mein Kurzbesuch in der Slowakei dauerte nur zwei Tage mit einer einzigen Übernachtung. Da ich recht früh am Tag die Grenze passierte, kam ich noch ein ordentliches Stück weit. Die Landschaft war eben, so wie ich es von Ungarn her kannte. Bis zur Stadt Kosice hatte ich noch starken Gegenwind, dem ich aber nach Kosice meine linke Seite zeigte. Ich fuhr nämlich nach rechts Richtung Osten. Allerdings ging es dann in die Berge, aber ohne Gegenwind war das fast kein Problem. Eine ordentliche Steigung schlängelte sich durch eine schöne Wald-und Wiesenlandschaft, die mich bis zum Abend begleitete. Auf dem Gipfel angekommen wurde es Zeit für mich, ein Nachtlager zu suchen.
Ich hatte Glück. Gerade als ich im ordentlichen Schuss den Berg runterfuhr, tauchte auf der rechten Seite an der Straße ein Restaurant mit Übernachtungsmöglichkeit auf. Probleme mit der Währung kannte ich immer noch nicht, da auch hier mit Euro bezahlt wurde, nur die Verständigung gestaltete sich von jetzt an immer schwieriger. Mit Englisch, was auch nicht unbedingt meine Stärke ist, das sei an dieser Stelle vorab schon mal erwähnt, kam ich nicht sehr weit. Ich bilde mir aber ein, dass ich ein Verständigungsgenie mit Armen, Beinen und Mimik bin. So kam ich auch hier in der Slowakei zurecht.
Ich hatte schon fast die Hälfte meiner Strecke zur ukrainischen Grenze, die für mich mit deutschem Reisepass visumfrei war, geschafft. Am nächsten Morgen erwartete mich herrliches Wetter und zu meiner Freude eine ca. 20 km lange leichte Abfahrt. Es lief sehr gut, und ich dachte mir: Wenn das so weitergeht, komme ich heute noch ein schönes Stück in der Ukraine voran. Der Wind war mir auch wohlgesinnt und blies leicht schräg von hinten. Alles passte gut, und ich näherte mich recht früh dem Grenzübergang bei Uschhorod.
Dann kam die große Ernüchterung. Schon von weitem konnte ich eine riesige Schlange von wartenden Pkw und Lkw sehen. Als Radreisender hast du hier aber einen großen Vorteil. Dran vorbei und immer schön lächeln und grüßen. So fuhr ich vor bis zum Ersten in der Schlange und stellte mich frech dazwischen. Ein Soldat, der mich sah, kam mit finsterer Miene auf mich zu und erklärte mir mit ein paar wenigen deutschen Worten, die er kannte, dass an diesem Grenzübergang keine Fahrräder abgefertigt würden, nur Maschinen. Er meinte damit motorisierte Fahrzeuge. Ich wollte ihm noch erklären, dass ich auch so eine Art Maschine sei, ließ es aber bleiben, da er nicht besonders spaßig wirkte.
Ich fragte ihn aber noch, wo ich denn einreisen könne, und er zeigte mir auf meiner Karte den Grenzübergang bei Ubl’a. Wunderbar, dachte ich, der befand sich ca. 50 km nordöstlich von meinem Standort. Um dort hinzukommen, musste ich wieder ca. 15 km auf selber Strecke zurück und dann über einen Berg zur Grenze.
Nutzte nichts, ich fuhr los und hatte natürlich den Wind, den ich vorher im Rücken gehabt hatte, nun im Gesicht. Was so schön am Morgen begonnen hatte, entwickelte sich im Tagesverlauf wieder zu einer harten Tour. Der Berg, den ich überfahren musste, schien nicht aufzuhören. Je näher ich der Grenze kam, umso schlechter wurde das Wetter. Dicke, schwarze Wolken zogen sich am Himmel zusammen und verbreiteten in mir Unruhe. Die Grenze war noch nicht geschafft, und eine Übernachtungsmöglichkeit hatte ich auch noch nicht ausgemacht. Gegen 18 Uhr erreichte ich dann endlich den kleinen Grenzübergang bei Ubl’a, der mitten im Wald lag. Eine ordentliche Schlange von wartenden Autos überholte ich abermals und reihte mich ganz vorne ein. Eine Grenzbeamtin, die sich nach ca. 10 Minuten endlich aus ihrem Häuschen bequemte, nachdem sie mit einem Schwätzchen mit ihrem Kollegen fertig war, ging zu einem anderen Häuschen, um mir eine Nummer zu holen. Mit dieser Nummer sollte ich mich wieder in einem anderen Gebäude melden.
Als ich dort reinkam, schlief der Zivilist tief und fest. Geschützt durch eine dicke Glasscheibe hörte er auch mein vorgetäuschtes Husten nicht. Um ihn nicht zu erschrecken und ihn damit vielleicht zu erzürnen, ging ich wieder raus und machte mich bei den beiden bewaffneten Soldaten, die auf dem Parkplatz patrouillierten, bemerkbar. Einer von beiden kam auf mich zu. Ich machte mit ein paar Handzeichen verständlich, dass der Kollege da drin einen totenähnlichen Schlaf abhielt. Er ging mit mir rein und klopfte mit dem Kolben seiner Maschinenpistole ordentlich gegen die Glasscheibe. Ich dachte, dass der Mann jetzt gleich unglaublich erschrecken würde. Dieser wachte aber schön langsam, sozusagen in Zeitlupe, auf und hatte in der nächsten Sekunde seine Finger auf der Tastatur seines PCs, der mindestens aus dem vorigen Jahrhundert war. Er begann, etwas einzugeben, als hätte er nie geschlafen. Dann tippte er ein paar Daten meines Ausweises ein und schon 5 Minuten später bemerkte er, dass ich bei ihm falsch war. Prima! Am richtigen Häuschen standen dann schon drei an, und bei jedem dauerte es gut und gerne 10 Minuten. Als ich endlich dran war, musste ich eine Gebühr von 20 Euro bezahlen.
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