Jedoch ergab sich in dieser Zeit auch eine gravierende Änderung meines Traums. Da ich berufsbedingt immer größere Schwierigkeiten mit meinen Knien bekam, zwischenzeitlich auch eine Tomographie der Kniegelenke durchlief, stellte sich heraus, dass ich an beiden Knien keinerlei Knorpel mehr hatte. Der untersuchende Arzt riet mir damals davon ab, mit diesen Symptomen zu joggen oder gar längere Wanderungen zu unternehmen. Er gab mir allerdings den Tipp, dass Radfahren und Schwimmen für mich durchaus gute Alternativen seien. Also freundete ich mich nach und nach mit dem Gedanken an, meinen Traum mit dem Fahrrad zu verwirklichen. Mit viel Arbeit und auch privaten Veränderungen zogen die Jahre an mir vorbei, und schließlich setzte ich mir wieder einmal ein Ziel in meinem Leben, nämlich das Datum, an dem es losgehen sollte. Es war der 1. 4. 2019.
Kapitel 2
Die Vorbereitung
Wie geht man so ein Vorhaben an? Diese Frage beschäftigte mich lange, doch aus meinem Berufsleben kannte ich natürlich solche Überlegungen. Da hatte ich oft Situationen, in denen ich gelernt hatte, einen Punkteplan zu erstellen und einen Punkt nach dem anderen abzuarbeiten. Bei meinem Vorhaben ergaben sich folgende: Fahrrad, Strecke, Gepäck bzw. Ausrüstung, Gesundheit, Impfungen und Informationen über die Länder, die auf meiner Strecke lagen. So begann ich ca. 1,5 Jahre vorher, mich intensiv mit meinem Traum zu beschäftigen und zu planen. Zuerst informierte ich mich über das Rad, da dies einer der wichtigsten Punkte war. Wie sich herausstellte, kann man hier viel richtig, aber auch viel falsch machen. Ich war nicht unbedingt ein großer Radfahrer und hatte auch keine Ahnung, welche Unterschiede es bei den Rädern gab.
Ich ging zu einem nahegelegenen Fahrradfachhandel und lernte Gerhard kennen, wirklich ein Mann vom Fach, der auch schon längere Touren gefahren war. Nach mehreren Überlegungen stellten wir schließlich ein Rad zusammen, das nicht nur den extremen Strapazen einer solchen Reise standhalten konnte, sondern auch einen soliden und wenig anfälligen Standard bot. So verzichtete ich bewusst auf eine Federung an Hinter- und Vorderrad, auf Scheibenbremsen und Kettenantrieb, allesamt Komponenten, die auf einer Strecke von ca. 25000 km durchaus Probleme machen könnten, und das in Ländern, wo ich unter Umständen extreme Schwierigkeiten mit der Ersatzteilbeschaffung haben würde. Am Schluss stand auf dem Bestellschein ein Trekkingrad der Firma Campus mit Nabendynamo im Vorderrad für die Stromversorgung der Beleuchtung sowie einer USB-Schnittstelle für das Laden von Handy, Tacho, iPad und Lautsprecherbox. Das Hinterrad wurde nicht mit einer Kette getrieben, ich entschied mich für einen Riemenantrieb, der natürlich nur mit einer Nabengetriebeschaltung funktioniert. Für den Riemen gab der Hersteller auf 25000 km Garantie. Er sollte diese Reise problemlos und ohne Wartung überstehen. Vorne und hinten noch stabile Gepäckträger zur Aufnahme meiner Satteltaschen, und schon stand fest, womit ich das Projekt „Weltumrundung“ angehen würde. Ich ließ mir das Fahrrad im April 2018 liefern, um noch einen Sommer lang täglich die 15 km in meinen Betrieb zu radeln und um nicht vollkommen untrainiert auf die Strecke zu gehen. Ansonsten machte ich nichts Spezielles. Ich sah meine Strecke als Training an und wollte vorher nicht zum Radprofi werden.
Nebenbei beschäftigte ich mich immer intensiver mit der Route, die ich fahren wollte, mit der Ausrüstung, Kleidung und den Packtaschen. Parallel dazu erstellte mir meine Hausärztin einen Impfplan und verabreichte mir zu gegebener Zeit die verschiedenen Spritzen gegen unterschiedlichste Fieber und Infektionskrankheiten. In meinem Betrieb richtete ich mir eine schöne Wand ein, die ich mit einer großen Weltkarte tapezierte. Darauf steckte ich nach und nach meine vorgesehene Strecke mit Nadeln und Faden ab. Ich kam auf eine ungefähre Tourenlänge von ca. 23500 km.
Im Sommer 2018 war ich dann mit den groben Vorbereitungen so weit fertig, dass es bald losgehen konnte. Meine Nervosität stieg von Tag zu Tag. Nun arbeitete ich auf den Abschluss meines Berufslebens hin, den ich mir Ende Dezember 2018, also mit 60 Jahren, gesetzt hatte. Ein schlechtes Gewissen hatte ich deshalb nicht. Schließlich hatte ich in den letzten 45 Jahren so viel gearbeitet, dass ich mir diesen Ausflug finanziell und auch als Frühaussteiger locker leisten konnte. Familiär sah die Sache jedoch etwas anders aus, was nach und nach in den nächsten Kapiteln ersichtlich wird.
Kapitel 3
Die letzten Wochen vor dem Start
Mein Vorhaben hatte sich natürlich im Laufe der Zeit in meinem ziemlich großen Bekanntenkreis herumgesprochen. So kamen die unterschiedlichsten Feedbacks. Viele sahen darin eine sagenhafte, wenn auch schwierige Reise. Andere meinten, das Vorhaben sei nicht realisierbar, und wieder andere bezeichneten mich als verrückt. Manche aus dem engeren Bekanntenkreis prognostizierten eine totale Veränderung meiner Person und meiner Familie. Eine so lange Reise würde nicht spurlos an einem vorübergehen. Realitätsverlust, Schwierigkeiten beim Wiedereintritt ins normale Leben und Heimweh, alles wurde diskutiert und kritisiert. Es wurde sogar darüber gesprochen, dass mir meine geliebte Arbeit und mein Geschäft fehlen würden, da ich im Bekanntenkreis als Workaholic galt. Allgemein wurde die Geschichte aber so betrachtet, dass man abwarten müsse. Vielleicht waren das auch nur alles Sprüche von mir, die sich noch legen würden, und die Sache verliefe im Sand. Nur meine Frau wusste: Wenn ich etwas sage, dann meine und mache ich das auch. Sinnloses, träumerisches Geschwätz war nie mein Ding. Trotz aller Skepsis waren dann aber die Geschenke, die ich zu meinem 60. Geburtstag erhielt, also 4 Monate vor meinem Start, alle auf die Fahrradtour abgestimmt. Vom Flickzeug bis zum alten Ledersattel, der später noch eine wichtige Rolle spielen sollte, war alles dabei.
Die Zeit danach verging wie im Flug. Weihnachten, Neujahr und die „Fasnet“, die bei uns im Elztal streng gefeiert wird, gingen an mir vorbei, als hätte jemand der Zeit ein Doping verpasst. Oft dachte ich, dass ich nicht mehr alles gerichtet bekomme. Fahrradkleidung für jedes Wetter kaufen, Medikamente und Verbandszeug besorgen, Werkzeug richten, Ersatzteile zum Mitnehmen festlegen, letzte Impfungen, großer Gesundheitscheck, Camping- und Kochausstattung und ein Minimum an normaler Kleidung aussuchen, all das stand auf meiner Checkliste. Als ich alles zusammen hatte, konnte ich dann Mitte März zum ersten Mal probeweise packen. Nach häufigem Ein- und Auspacken hatte ich schließlich in einer bestimmten Reihenfolge alles so in meinen zwei vorderen, zwei hinteren Satteltaschen und einer Gepäckrolle verstaut, dass ich jeden Gegenstand mühelos finden konnte.
Da stand es dann, mein Rad, aufgesattelt und beladen mit 35 kg Gepäck. Nur mit dem Nötigsten, aber allem, was ich für die Dauer meiner Reise brauchte, machte ich am 29. 3. 2019 eine erste kurze Testfahrt, um zu sehen, wie sich mein Gefährt im bepackten Zustand fahren ließ. In meiner Euphorie, die ich zu dem Zeitpunkt verspürte, fühlte sich die Sache gut an.
Blieb nur noch eines zu tun. Das Richten meiner wichtigsten Tasche, der Lenkertasche, in der ich alles ganz Wichtige verstaute: mein Bordbuch, eine in Leder gebundene Mappe, die ich von meinem Sohn Bastian und seiner Frau zum Geburtstag bekommen hatte, mit Fächern für Ausweise, Bargeld, Bankkarten und einem Notizblock, in dem ich jeden Kilometer meiner Reise dokumentieren wollte, außerdem ein Taschenmesser, ein Geschenk von meinem Stammtisch zum Abschied, eine Nacht- und eine Sonnenbrille, Pfefferspray für alle Arten von Angriffen und sonstiges Kleingerödel, was man so braucht. Zur Navigation hatte ich für die erste Zeit eine große Europakarte, mein Handy und mein iPad eingepackt.
Dann war es so weit. Das letzte Wochenende brach an. Ich verabschiedete mich am Freitagabend bei meinem engsten Freundeskreis mit einem kleinen Umtrunk im Bistro meines ältesten Bruders Werner. Am Samstag und Sonntag plagten mich selbst die Gedanken und Bedenken meiner Freunde, die letzten, die einsahen, dass es mir ernst und die Reise nicht mehr zu stoppen war. Susi z. B. brachte die gefährlichen Länder ins Spiel, während mir die meisten die lange Strecke und die von mir angesetzte Zeit nicht zutrauten.
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