Am nächsten Tag fuhr ich dann ein schönes Stück entlang der Traun, bis sie sich in der Nähe von Linz mit der Donau vereinigt, wobei ein gewaltiger Strom entsteht. Von hier an war es dann für lange Zeit vorbei mit steilen Steigungen, denn ich radelte überwiegend flussabwärts am Donauufer entlang. Der Uferweg, der ja bekanntlich bis zum Schwarzen Meer an der Donau entlangführt und oft als schön und romantisch beschrieben wird, konnte von mir lediglich die Note 3 von 6 bekommen. Lange Strecken führen über angelegte Dämme, die schnurgerade an der von Menschenhand begradigten Donau verlaufen. Nur selten kamen Waldwege oder Engstellen vor, wo sich die Wassermassen ihren Weg durch die hüglige Landschaft zum Schwarzen Meer suchen müssen. Kam aber so ein Abschnitt, dann war es ein Traum, bei angenehmen Temperaturen durch diese Gegend zu radeln, in der, wie schon die ganze Strecke bis hierher, das Frühjahr die Landschaft in einen blühenden Großgarten verwandelte. Nur wenn ich über 600 bis 700 Höhenmeter kam, bemerkte ich, dass das Jahr noch nicht sehr alt war. Die Fahrt an der Donau entlang blieb dennoch unspektakulär, da hier in der Gegend Radreisende nicht selten sind. So fuhr ich locker, ohne mich großartig anstrengen zu müssen, am Flussufer bis nach Wien. An einem Tag schaffte ich sogar einmal 142 km und hatte somit einen ersten Streckenrekord, der lange Zeit Bestand hatte. Am 9. Tag kam ich bereits am Mittag in Wien an. Die Innenstadt mit dem Rad zu erkunden, ließ ich ausfallen, da ich schon mehrere Male dort gewesen war. Zudem hatte ich immer noch einen ordentlichen Respekt, mit meinem vollbepackten Rad eine Großstadt zu durchqueren. Deshalb blieb ich am Donauufer. Leider fand ich hier nur Industrie und Lastkähne vor. Vom Wiener Charme war nicht viel zu sehen. Nach einer kleinen Mittagspause fuhr ich dann raus aus der Stadt in Richtung ungarischer Grenze. Die Landschaft war relativ flach, und ich hatte ausnahmsweise keinen starken Gegenwind. Gedankenversunken und angetan von der Weite dieser Gegend, die allerdings durch unzählige Überlandleitungen und noch mehr Windräder gestört war, bemerkte ich, dass ich an diesem Tag noch die Grenze zu Ungarn erreichen konnte. Ich legte einen Gang zu und trat, was das Zeug hielt. Selbst überrascht von meiner guten Kondition erreichte ich dann abends um 18 Uhr die Grenze zu Ungarn. Der Grenzübertritt war auch hier noch kein Problem. Es galt auch das Zahlungsmittel, das ich gewohnt war. Ganz schnell wurde mir klar, dass ich hier jedoch mit 10 Euro weiter als in Deutschland kam. Das Zimmer, das ich 5 km nach der Grenze fand, kostete 18 Euro und war in einem gepflegten Haus. Drumherum war weit und breit nichts, nur dieses Haus, und so verbrachte ich den Abend im Garten alleine, da ich der einzige Gast war. Nun lagen zwischen mir und meiner Heimat schon ein Land und 960 km.
Kapitel 6
Ungarn, klein, aber weit
Ich befand mich nun also in Ungarn. Von hier an war es vorbei mit der deutschen Sprache. Das führte allerdings nicht dazu, dass ich mir wirklich wie ein Ausländer vorkam. Die Leute waren ähnlich reserviert wie in Deutschland und Österreich, so dass es zu sehr wenigen Kontakten kam. Bis nach Budapest, mein nächstes größeres Ziel, waren es noch 185 km. Für eine Etappe zu viel, aber für eine ordentliche und eine kurze Schlussetappe gerade richtig. Ich beschloss, ziemlich weit zu radeln, um am nächsten Tag stressfrei nach Budapest zu kommen, damit ich genügend Zeit hatte, eine geeignete Unterkunft in der City zu finden. In Budapest wollte ich schließlich einen ganzen Tag Pause einlegen.
Aber zuvor stellte sich noch ein besonders nettes Ereignis ein. Ich fuhr also am Morgen des 10. 4. 2019 ohne besonderes Ziel los, nur mit dem Gedanken, so weit wie möglich an Budapest ranzukommen. Der Weg führte mich über endlose Ebenen mit nur leichten Steigungen, die ich mittlerweile annähernd schmerzfrei und entspannt fuhr. Es lief gut, und das Einzige, das es nach wie vor zu bemängeln gab, war das unschöne Bild der unzähligen Überlandleitungen und Windräder. Ich fand die gleiche Landschaft vor, wie ich sie inzwischen schon gewohnt war. Endlose, ebene Felder, und es winkten mir nicht, wie im Film Sissi, die Bäuerinnen in ihren weißen Schürzen und weißen Häubchen zu, sondern die riesigen Flügel der Windräder, die die Landschaft billigend duldete.
Es lief wieder einwandfrei. In meiner Gutgläubigkeit, noch spät ein Zimmer zu finden, fuhr und fuhr ich dahin. Ein Blick auf mein Navi zeigte mir dann an, dass nun lange nichts mehr kommen würde. Das machte mich leicht nervös. Es war mittlerweile 19.30 Uhr, als ich in einem Dorf mitten im Gelände und abseits der Hauptroute, wo es auch wieder hügelig wurde, in dem kleinen Dorf Obarok ankam. Entkräftet sprach ich zwei junge Männer am Ortseingang an, ob es hier irgendwo ein Zimmer gebe. Ich merkte gleich, dass ich hier wirklich in der Pampa war. Ich stellte mich schon aufs Zelten ein, doch die Jungs telefonierten 2 bis 3 Mal, und dann kam eine Frau. Es war die Sekretärin des Bürgermeisters, die mich mitnahm.
Nun, dieses Dorf hatte keinen Laden, keine Kirche, keine Post, gar nichts, aber ein kleines Museum, in dem ein Zimmer integriert war, für den Fall, dass einmal ein Fremder auftauchte. Dieses Zimmer gab es schon seit 2010 und seither war noch nie jemand dagewesen. Ich war der Erste, der diese Übernachtungsmöglichkeit nutzte. Die Frauen und Männer, deren Zahl mittlerweile auf 6 angestiegen war, waren sichtlich begeistert, mich aufzunehmen. Das Ganze kostete 10 Euro. Ich erfuhr noch einiges über deutsch-ungarische Dörfer in dieser Gegend. Eine kleine Museumsbesichtigung war inklusive. Als sich alle verabschiedet hatten, machte ich mich über meine Essensvorräte her und kochte mir einen ordentlichen Teller Nudeln mit brauner Soße.
Gerade wollte ich mit meinem Festmahl beginnen, da klopfte es an der Tür. Die beiden Jungs, die mir das Zimmer vermittelt hatten, standen vor der Tür. Sie brachten mir ein warmes Abendessen vorbei, Kartoffeln mit Speck in Kraut. Sie erklärten mir noch, dass dies hier ein typisches Gericht sei und verabschiedeten sich ganz freundlich. Überrascht und angetan von dieser netten Geste machte ich mich über diese Gabe her und konnte feststellen, dass es hervorragend schmeckte.
Die Nacht war dagegen nicht ganz so gut, da es sehr kalt in dem kleinen Zimmer wurde. Der Gasheizung, die hin und wieder eine Stichflamme aus dem Gebläse stieß, traute ich nicht wirklich und ließ diese lieber ungenutzt.
Morgens um 8 Uhr stand die Sekretärin wie abgemacht pünktlich zur Schlüsselübergabe vor der Tür. Das Dorf war im 18 Jahrhundert von deutschen Siedlern gegründet worden, und daher sprach die Sekretärin des Bürgermeisters, die gleichzeitig auch die Deutschlehrerin der Dorfschule war, gut Deutsch. Leider wurden die deutschstämmigen Siedler nach dem 2. Weltkrieg allesamt vertrieben, doch die deutsche Kultur und Tradition wurden hier weiter gelebt und gepflegt. Es war ein schönes Erlebnis, und ich dachte mir: So kann es weitergehen.
Also machte ich mich am Donnerstagmorgen um 8 Uhr bei leichtem Nieselregen an die letzten 50 km nach Budapest. Sie fielen mir sehr schwer. Viele Steigungen, schlechter Fahrbahnbelag und leichte Schlappheit machten mir zu schaffen. Aber ich wusste ja, dass ein Tag Auszeit vor mir lag. Das trieb mich förmlich in die ungarische Metropole, die so ganz anders war als die Welt am Abend zuvor. Das Dorf Obarok war klein und ländlich arm, während es in Budapest wieder alles gab, was das Herz begehrt. 11 Tage und bereits 1160 km lagen hinter mir. Ich war weit vor meinem Plan, denn ich hatte ja ursprünglich nur mit einem Schnitt um die 60 km pro Tag gerechnet. Meine Muskulatur machte gut mit, und an Gewicht hatte ich auch schon einiges verloren.
Ich überprüfte das aber nicht, wichtiger war mir, dass sich mein Hinterteil so langsam an den Sattel gewöhnt hatte und die ersten wunden Stellen bereits am Heilen waren. Ich fand ein schönes Zimmer, nicht weit vom Zentrum. So konnte ich die Stadt am nächsten Morgen zu Fuß erkunden. Mir war klar, dass ich möglicherweise für lange Zeit eine meiner Leibspeisen, das Gulasch, nicht mehr bekommen würde. Also gab es für mich nichts anderes, als in einem urgemütlichen ungarischen Lokal ein ungarisches Gulasch zu essen. Mmm, das war gut! Dazu ließ ich den Abend mit einem Feierabendbier ausklingen und machte mich in meinem Zimmer an die Routenplanung für den nächsten Tag.
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